Keine „Lösung“ in Sicht

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Unter dem Titel „Das Elend wird bleiben“ hat Sandro Benini im Tagesanzeiger einen bemerkenswerten Leitartikel veröffentlicht: „Ein Politiker würde es niemals sagen, aber leider ist es wahr: Für die Krise im Mittelmeer gibt es keine Lösung. Die üblichen, mit Schuldzuweisungen angereicherten journalistischen «Man müsste, man sollte, man könnte» – Formeln wirken ebenso hilflos wie die Massnahmen, welche die Regierungschefs der EU-Länder … angekündigt haben.“

„Keine Lösung“ gibt es auch für die Probleme auf der anderen Seite des Mittelmeeres. Viele europäische Politiker reden gerne eine „Zwei-Staaten-Lösung“ für Nahost  herbei, als ob es sich bei Israel und Palästina um die Schweiz und Liechtenstein oder Spanien und Andorra handeln würde. Bei Umwelt, Energie, Autobahnmaut oder Asylfragen wünscht man den offenen Diskurs. Aber im Umgang mit Nahost wird Meinungsvielfalt ausgeschlossen und im Laufe der Jahre wurde der Fokus immer mehr eingeengt.

Noch bis in die 90er Jahre hinein war die Rede von einem „arabisch-israelischen“ Konflikt. 2006 führte Israel Krieg gegen die Hisbollah-Miliz im Libanon und gelegentlich kommt es zu Beschuss aus Syrien. Beteiligte Länder waren und sind bis heute neben Libanon, Syrien, Jordanien und Ägypten auch ferne Staaten wie Marokko, Saudi Arabien, Iran und Irak.

Der Begriff „Palästinenser“ hat sich erst in den letzten Jahrzehnten langsam durchgesetzt. Heutzutage sind mit „Nahost“ nur noch Israelis und Palästinenser gemeint. Eine Schlichtung des Streites zwischen Israelis und Palästinensern würde noch längst keinen „Frieden“ in der Region ergeben, wie man sich das naiv in Europa vorstellt. Niemand käme heute auf die Idee, Friedensverhandlungen Israels mit Syrien, Irak oder Libanon zu fordern.

Was spricht für die „Zwei-Staaten-Lösung“
Israel könnte „jüdischer und demokratischer“ Staat bleiben, solange niemand das vermeintliche „Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge“ einfordert. Eine Überschwemmung Israels mit rund 5 Mio. Menschen ergäbe automatisch eine arabische Mehrheit.

Israels „Besatzung“ wäre beendet und die Palästinenser könnten Herren im „eigenen Haus“ sein, in Territorien, die sie „beanspruchen“. Doch auch hier ist vieles unklar. Um „lebensfähig“ und „zusammenhängend“ zu sein, müsste eine territoriale Schneise zwischen Gazastreifen und Westjordanland geschaffen werden, weil sonst der Staat Palästina nicht überleben könne. Wenn der palästinensische Staat ohne  „zusammenhängendes Territorium“ nicht mehr „lebensfähig“, wieso gilt dann das gleiche Prinzip nicht auch für Israel, denn dann wäre Israel „zweigeteilt“. 

Sollte die Waffenstillstandslinie von 1949 zur Grenze erklärt werden, wie es die Palästinenser fordern und wie es die Europäer mit einer Kennzeichnung von Produkten aus dem „jenseits“ der „illegalen Siedlungen“ in den besetzten „palästinensischen Gebieten“ einfordern, wäre Israel nördlich von Tel Aviv in seinem dichtest bevölkerten Landesteil nur noch knapp 15 Kilometer breit. Selbst im Zeitalter grenzüberfliegender Raketen wäre das nicht mehr zu verteidigen. Aussenminister Abba Eban redete von einer „Auschwitzgrenze“.

Welcher Staat ist legitim
Israel-Kritiker behaupten, dass der jüdische Staat keine Legitimität habe. Dabei ist in der gesamten Region Israel als zeiter Staat mit einem UNO-Beschluss errichtet worden. Alle anderen Länder sind künstliche Produkte europäischer Kolonialstaaten, wie man schon an ihren Linealgrenzen leicht erkennen kann.

Europäische Kritiker meinen zudem, dass sich die Idee der „Nationalstaaten“ überlebt habe. In Griechenland, im ehemaligen Jugoslawien und in der Tschechoslowakei scheint es mit der „Überwindung“ der Nationalstaaten noch nicht weit gediehen zu sein. Es fehlt also nur der palästinensische Staat. Da haben ultralinke Kritiker plötzlich viel Verständnis für Nationalismus, Patriotismus, Heimatgefühle und andere in Europa eher als peinliche Relikte einer schlimmen Vergangenheit in Verruf geratener Vorstellungen.

Nächste Frage ist, wer eigentlich vor Ort wirklich die Zwei Staaten-Lösung wünscht. In Israel hatte Jitzhak Rabin in seiner letzten Knesset-Rede vor seiner Ermordung behauptet, dass es „niemals“ einen palästinensischen Staat geben werde. Weder im gegenseitigen Anerkennungsbrief von PLO und Israel, noch in den Osloer Verträgen ist die Idee eines palästinensischen Staates schriftlich festgehalten worden. Benjamin Netanjahu hat erstmals als israelischer Ministerpräsident 2009 die Formel „Palästinensischer Staat“ und „Zwei-Staaten-Lösung“ ausgesprochen. Aber er knüpfte daran so viele Bedingungen, dass die Palästinenser seinen Vorschlag hohnlachend ablehnten.

Ist Frieden möglich?
Auf der palästinensischen Seite, bei der Hamas-Partei, die eine Mehrheit der Palästinenser  vertritt, wie bei der Fatah-Partei und führenden Politikern ist ein Wunsch nach „Frieden mit Israel“ nicht zu hören. „Kollaboration“ mit Israel gilt als „Hochverrat“. Hier fragt sich, ob die Europäer tatsächlich glauben, den Palästinensern eine “Lösung“ aufzwingen zu können, die grundsätzlich und mit Gewalt abgelehnt wird.

Der unsichere „status quo“ hat Bestand
Benini konstatiert bei der Flüchtlingsfrage, dass es „keine Lösung“ gebe. Genauso nüchtern müsste man den seit 100 Jahren schwelenden Konflikt in Nahost betrachten. US-Aussenminister John Kerry behauptete, dass der status quo „keinen Bestand“ habe. Doch faktisch besteht er fast ein halbes Jahrhundert, länger als die Besatzung und Teilung Deutschlands.

Inzwischen wurde eine palästinensische „Autonomie“ geschaffen, also eine Selbstverwaltung mit fast allen Zutaten eines Staates: Regierung, Parlament, Polizei (organisiert wie eine Armee), Flagge, Hymne, eigenen Gesetzen usw. Jeder Versuch, einseitig eine „Lösung“ zu finden, brachte mehr Leid. Die Rückkehr Arafats, die Errichtung einer Autonomie und die Räumung des Gazastreifens brachten den Israelis statt „Frieden“ eine blutige Intifada und mehrere Kriege mitsamt Raketenbeschuss.

Auch „Besatzung“ ist relativ. Allein der Zugang zum Ausland wird von Israel kontrolliert. Gleichwohl können jederzeit Tausende Palästinenser aus dem Westjordanland in alle Welt reisen. Die Grenzübergänge zum Gazastreifen können immer noch durch Schmugglertunnel nach Ägypten umgangen werden. Dort ist infolge des totalen Rückzugs der Israelis mitsamt Siedlungen und Militärs im August 2005 ein kompliziertes Kontrollsystem durch Ägypter, Polizisten der Autonomiebehörde und internationalen Beobachtern, darunter deutschen Bundespolizisten eingerichtet worden. Doch mit dem Putsch der Hamas 2007 sind die internationalen Beobachter weggelaufen und das Kontrollsystem ausser Kraft gesetzt worden. Seitdem ist der einzige offizielle Grenzübergang nach Ägypten die meiste Zeit geschlossen.

Zurück kann keiner
Da die Palästinenser Israel  auslöschen wollen, die Autonomie von Israels Gnaden nicht mögen und bisher keinen akzeptablen Vorschlag zur Lösung ihres „Problems“ präsentiert haben, könnte man auch das Rad der Geschichte zurückdrehen. Gaza könnte den Ägyptern zugeschlagen werden, wie vor 1967, und das Westjordanland den Jordaniern. Dummerweise wollen das weder die Ägypter noch das Haschemitische Königshaus in Jordanien. Man könnte auch über eine Abschaffung Jordaniens nachdenken. Mit 75% palästinensischer Bevölkerungsmehrheit könnte man anstelle Jordaniens eine palästinensische Republik einrichten, wie es Jassir Arafat während des „Schwarzen September“ von 1970 versucht hat. Viele Gründe sprechen dagegen, allen voran die Existenz eines jordanischen Königtums.

Nirgendwo in der Welt sind alle „Probleme“ gelöst. Wie bei der Flüchtlingsfrage im Mittelmeer kann auch in Nahost keine Lösung forciert werden, nur weil manche Leute blindlings eine solche einfordern. Natürlich ist der jetzige Zustand wenig erfreulich und für viele sogar unerträglich. Aber solange nicht alle Beteiligten das wirklich wollen, kann man den Konflikt gewiss nicht von Aussen mit der Installation einer unfertigen und wenig praktikablen “Lösung” beenden.

Rivlin gegen Zweistaatenlösung
Kurz vor seiner Abreise zu einem Staatsbesuch in Deutschland, wo Kanzlerin Angela Merkel und andere Politiker die „Zwei-Staaten-Lösung“ alternativlos für den einzigen Weg zum Frieden halten, auch wenn rund um Israel die arabische Welt im Chaos versinkt, hat sich der neue israelische Staatspräsident zum Thema geäussert. Reuven Rivlin hat sich gegen einen Palästinenser-Staat ausgesprochen, weil er diesen als «Gefahr für die Existenz Israels» betrachtet. In einem Interview der «Süddeutschen Zeitung» warf er den Freunden seines Landes vor, sie würden versuchen, Israel «die Zwei-Staaten-Lösung aufzuzwingen». Rivlin sagte: «Aber sie müssen auch verstehen, wo die roten Linien sind für Israel, damit es sich selbst verteidigen kann». Als Alternative schlug Rivlin eine Föderation mit den Palästinensern vor. Zugleich warf er den Palästinensern vor, kein ehrliches Interesse an einem Ausgleich mit Israel zu haben.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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2 Kommentare

  1. Für die PA und ihre Terrororganisationen PLO, Fatah und Hamas gibt es im von ihnen geschaffenen Konflikt nur die eine Lösung, nämlich eine Endlösung, gemäss den Nazis im 2. Weltkrieg.

    Dazu ist der vom neuesten Juden- und Israelhasser Papst Franz zum Friedensengel ernannte Herr Dr. Mahmud Abbas bestens geeignet. Der ist einer der profundesten Holocaustleugner, ein Erzantisemit und notorischer Lügner.

    An dieser Stelle möchte ich daran erinnern, dass die jüdische Palästinenserlobby immer noch stur zu den Feinden Israels und den Feinden des Judentums steht. Ihre Führer und Mitläufer sind leider immer noch in der jüdischen Gesellschaft der Schweiz integriert. Sie sind selbst hassende Juden und nützliche Idioten.

    “Zionism is the Jewish national liberation movement, and Israel is the national home of the Jewish people. To be an anti-Zionist is to reject the right of the Jewish
    people to freedom. To be anti-Israel is to be anti-Jewish. And a Jewish group
    cannot support an anti-Jewish group without losing its meaning, and betraying
    the Jewish people.” Caroline Glick

  2. Sehr gute Analyse! Die “Palästinenser” wollen keinen Frieden, haben kein Interesse daran, ihr Gemeinwesen (was immer und wo immer das sein soll) aufzubauen, sie können nur destruktiv sein, haben den Willen zu zerstören und viel zu oft auch die Mittel für ihr zerstörerisches Teufelswerk. Die Welt schaut zu und verurteilt Israel, wenn es sich verteidigt und im Vorfeld eine Strategie entwickelt, sich besser zu verteidigen. Die “Zwei-Staaten-Lösung” ist faktisch tot, da gibt es keine Möglichkeit, das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Gangbare Wege gäbe es mehrere, z. B. Gazastreifen plus zusätzliche ausgedehnte Gebiete in Ägypten als zusammenhängende Landmasse. Phantastische Strände, Touristik-Industrie aufbauen … Ist für die “Palästinenser” uninteressant, wird abgelehnt. Sie wollen nur zerstören, nicht aufbauen. Hassen die Juden mehr als sie ihre eigenen Kinder lieben. Leider alles altbekannt. Es hilft nur, die Übel an der Wurzel zu bekämpfen: Erziehung, Erziehung, Erziehung – und zwar hin zu universalen Menschenwerten, Wegkommen vom Hass. Und dann langsam, langsam, in kleinen Schritten eine Annäherung versuchen unter vollständiger Wahrung der berechtigten Sicherheitsinteressen Israels und des jüdischen Volkes.

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