Während die östlichen orthodoxen Christen kürzlich ihre heilige Osterwoche feierten, musste einmal mehr eine historische Kirche in Istanbul – der einst prunkvollen christlichen Stadt Konstantinopel – einen Missbrauch durch die gegenwärtigen Behörden über sich ergehen lassen.
„Die Hagia Sophia, eine historische Kathedrale und ein Museum in Istanbul, erlebte am Samstag die erste Koran-Rezitation seit 85 Jahren“, berichtete die staatliche Anatolische Nachrichtenagentur der Türkei. „Als Teil der Gedächtnisfeiern zum Geburtstag des islamischen Propheten Mohammed eröffnete der Rat für religiöse Angelegenheiten dort die Ausstellung ‚Die Liebe des Propheten‘.“
Obgleich Christen heute in der Türkei nur eine winzige Minderheit darstellen, blickt das Christentum in Kleinasien, dem Geburtsort vieler christlicher Apostel und Heiliger – darunter Paulus von Tarsus, Timotheus, Nikolaus von Myra und Polykarp von Smyrna – auf eine lange Geschichte zurück.
Alle der sieben ökumenischen Konzilien wurden dort abgehalten, wo heute die Türkei ist. Auch zwei der fünf Zentren (Patriarchate) der alten Pentarchie – Konstantinopel (Istanbul) und Antiochia (Antakya) – befinden sich dort. Antiochia war der Ort, wo die Anhänger Jesu zum ersten Mal „Christen“ genannt wurden.
Die Türkei beherbergte auch die Sieben Kirchen Asiens, zu denen die Offenbarung des Johannes gesandt wurde. Zahlreiche Kirchen wurden in den folgenden Jahrhunderten überall in der Region gegründet. Eine davon, die Hagia Sophia, war einst die grösste Kathedrale der christlichen Welt – bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen am 29. Mai 1453, auf die drei Tage hemmungsloser Plünderung folgten.[1]
Die Hagia Sophia wurde dabei nicht verschont. Die Plünderer bahnten sich den Weg zu der Kathedrale und schlugen ihre Türen ein. Die in der Kirche gefangenen Gläubigen und Flüchtlinge wurden unter den osmanischen Invasoren als Beute verteilt.
Der Historiker Steven Runciman schreibt in seinem Werk The Fall of Constantinople, 1453:
„Sie erschlugen jeden, den sie auf der Strasse trafen – Männer, Frauen und Kinder ohne Unterschied. Das Blut rann in Strömen die Strassen hinunter, von den Anhöhen von Petra bis hinab zum Goldenen Horn. Doch bald war die Lust auf ein Gemetzel gestillt. Die Soldaten begriffen, dass die Gefangenen und wertvolle Gegenstände ihnen einen grösseren Profit bringen würden.“[2]
Nach dem Fall der Stadt wurde die Hagia-Sophia-Kirche zu einer Moschee umgewidmet.
Dass es eine Moschee gibt, die den Namen Hagia Sophia (griechisch: Ἁγία Σοφία, „Heilige Weisheit“) trägt, ist dann möglich, wenn sie in den Besitz einer islamischen Theokratie fällt. Es ist so, wie wenn eine Moschee „die armenische Moschee des Heiligen Kreuzes“ genannt würde.
In den 1930er Jahren machte die türkische Regierung aus ihr ein Museum – auch dies würde ein wahrhaft demokratischer Staat nicht tun. Eine der Gemeinsamkeiten des Osmanischen Reichs und der modernen Türkei scheint die Intoleranz gegenüber Kirchen zu sein.
2013 drückte der stellvertretende türkische Ministerpräsident, Bulent Arinc, seine Hoffnung aus, dass die Hagia Sophia als Moschee genutzt werden möge, und sprach von ihr gar als der „Hagia-Sophia-Moschee.“
„Die Türkei will nicht etwa deshalb Kirchen in Moscheen umwidmen, weil es einen Bedarf nach mehr Moscheen gäbe“, schreibt Constantine Tzanos. „Die Botschaft, die von denjenigen gesendet wird, die die Umwidmung christlicher Kirchen zu Moscheen erreicht haben und die auch die Umwidmung der Hagia Sophia verlangen, ist die, dass die Türkei ein islamischer Staat ist und keine andere Religion toleriert wird.“
Im November 2014 reiste Papst Franziskus in die Türkei, es war das vierte Mal, dass ein Papst in das Land kam. Während seines Aufenthalts sagte der Sprecher des türkischen Aussenministeriums, Tanju Bilgic, Reportern, auf der Agenda befinde sich das Thema einer „Allianz der Kulturen, der Dialog zwischen ihnen, Fremdenfeindlichkeit, der Kampf gegen Rassismus und politische Entwicklungen in der Region“.
Es wäre gut gewesen, wenn auf der Agenda von Papst Franziskus auch die Kirchen der Türkei gestanden hätten, die zerstört, beschädigt oder zu Ställen und anderem verwandelt wurden – so, wie die historische armenisch-gregorianische Kirche in der Provinz Izmir (Smyrna). „Einige Bürger halten ihre Kühe und Pferde in der Kirche; die Nachbarn beschweren sich derweil, dass sie zu einem Ort für Drogenabhängige und Alkoholiker geworden sei“, berichtet die ZeitungMilliyet.
Ein anderes Opfer der Intoleranz der Türkei gegenüber Kirchen ist die Byzantinische Agios-Theodoros-Kirche in Istanbul, die schon während der Regentschaft des osmanischen Sultan Mehmed II. zum ersten Mal zu einer Moschee umgewandelt wurde; sie wurde nach Mollah Gurani benannt, dem vierten Scheich-ul-Islam (der Autorität, die während des Osmanischen Reichs die religiösen Angelegenheiten von Muslimen regelte).
Im März 2014 wurde berichtet, dass der Eingangsbereich der früheren Kirche/Moschee zu einem „Wohnhaus“ geworden ist und das obere Stockwerk zu einem „Apartment“. Im Garten wurde eine Baracke errichtet, das frühere Zimmer des Priesters ist nun eine Toilette.
Auch Jahrhunderte später scheint sich an den Gepflogenheiten der osmanischen Türken nichts geändert zu haben. Heutzutage gibt es in der Türkei im Verhältnis zur Einwohnerzahl weniger Christen als in ihren Nachbarländern – ausgenommen Syrien, der Irak und der Iran. Die Hauptursache dafür waren die Massaker bzw. Genozide an den Assyrern, Armeniern und Griechen zwischen 1915 und 1923.
Mindestens 2,5 Millionen einheimische Christen Kleinasiens wurden getötet – entweder an Ort und Stelle, oder sie wurden Opfer von Deportationen, Sklavenarbeit und Todesmärschen. Viele von ihnen starben in Konzentrationslagern an Hunger oder Seuchen.
Viele Griechen, die die Massaker überlebt hatten, wurden 1923 im Zuge des erzwungenen Bevölkerungstransfers zwischen der Türkei und Griechenland aus ihren Häusern in Kleinasien vertrieben.
Auf die physische Vernichtung der christlichen Armenier folgte die Zerstörung der Kultur. Während der ganzen Geschichte der türkischen Republik wurden zahllose christliche Kirchen und Schulen entweder zerstört oder in Moscheen, Lagerhäuser, Ställe und anderes verwandelt.
Der Kolumnist Raffi Bedrosyan berichtet in Armenian Weekly:
„Nur noch 34 Kirchen und 18 Schulen sind in der heutigen Türkei übrig geblieben, die meisten in Istanbul; in den Schulen gibt es weniger als 3.000 Schüler.“
„Die jüngere Forschung beziffert die Zahl der armenischen Kirchen in der Türkei vor 1915 auf etwa 2.300. Die Zahl der Schulen vor 1915 wird auf fast 700 geschätzt, mit 82.000 Schülern. Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kirchen und Schulen unter der Hoheit des Istanbuler Armenischen Patriarchats und der apostolischen Kirche; sie enthalten noch nicht die zahlreichen Kirchen und Schulen der protestantischen und der katholisch-armenischen Gemeinden.“
Die christliche Minderheit in der Türkei geniesse nicht dieselben Rechte wie die muslimische Bevölkerungsmehrheit, sagt Walter Flick, ein Wissenschaftler der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in Deutschland. „Die Türkei hat fast 80 Millionen Einwohner“, sagt Flick. „Es gibt nur etwa 120.000 Christen, das sind weniger als ein Prozent der Bevölkerung. Christen werden ganz klar als Bürger zweiter Klasse angesehen. Ein echter Bürger ist Muslim, und diejenigen, die keine Muslime sind, gelten als verdächtig.“
Laut einer Umfrage von 2014 glauben 89 Prozent der Türken, dass sich eine Nation durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion definiere. Die Frage, ob eine bestimmte Religion [Islam] wichtig sei für die Idee der Nation wurde in 38 Ländern gestellt; mit ihren 89 Prozent „Ja“-Stimmen rangiert die Türkei auf Platz eins in der Welt.[3]
„Ankaras Politik gegenüber den Christen des Landes hat in gewisser Weise den osmanischen Normen und Praktiken eine moderne Fassade gegeben, es ist eine kultiviertere Art der Brutalität“, schreiben die Politikwissenschaftlerin Dr. Elizabeth H. Prodromou und der Historiker Dr. Alexandros K. Kyrou. „In den Worten eines Kirchenvertreters, der aus Sorge um seine Gemeinde anonym bleiben will: Christen sind in der Türkei eine bedrohte Art.“
Am 4. April 1949 erklärten die Unterzeichner der Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO):
„Die Parteien dieses Vertrags bekräftigen erneut ihren Glauben an die Ziele und Grundsätze der Satzung der Vereinten Nationen und ihren Wunsch, mit allen Völkern und Regierungen in Frieden zu leben. Sie sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten. Sie sind bestrebt, die innere Festigkeit und das Wohlergehen im nord-atlantischen Gebiet zu fördern. Sie sind entschlossen, ihre Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zu vereinigen.“
Teil der Europäischen Union und der NATO zu sein, verlangt, die jüdischen, christlichen, hellenischen und säkular-humanistischen Werte zu respektieren, die die westliche Zivilisation auszeichnen, und die zu den Bürgerrechten, der Demokratie, der Philosophie und der Wissenschaft beigetragen haben, aus denen jeder Nutzen ziehen kann.
Traurigerweise ist es der Türkei, die seit 1952 Mitglied der NATO ist und als Anwärterin auf die Mitgliedschaft in der EU gilt, weitgehend gelungen, das gesamte christliche kulturelle Erbe Kleinasiens zu zerstören.
All das erinnert an die Taten von ISIS und anderen dschihadistischen Armeen im Nahen Osten. In der Türkei ist die verbleibende christliche Bevölkerung, die Enkel der Überlebenden des Völkermords, immer noch Diskriminierung ausgesetzt. Die alten Angewohnheiten der osmanischen Türken scheinen nicht auszusterben.
Zusammenfassung eines Originalbeitrags von: Uzay Bulut via Gatestone Institute. Bulut ist eine türkische Journalistin, gebürtige Muslima und lebt in Ankara. Übersetzung Stefan Frank
[1] Runciman, Steven: The Fall of Constantinople, 1453. Cambridge University Press, Cambridge 1965.
[2] Ebd.
[3] 2014 führten Professor Ersin Kalaycioglu von der Universitat Sabanci und Professor Ali Carkoglu von der Universität Koc eine Umfrage durch. Die Erhebung trug den Titel „Nationalismus in der Türkei und weltweit“ und basierte auf der Befragung von türkischen Bürgern (über 18 Jahren) in 64 verschiedenen Städten in der Türkei. „Laut [türkischen] Bürgern auf der Strasse ist ein Türke jemand, der Muslim ist“, sagt Professor Carkoglu.