IS lässt Gewalt einfach aussehen

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Das zuletzt veröffentlichte Video von ISIS zeigt wohl die bis heute schrecklichste Enthauptung und kehrt damit zur Schock-Methode zurück. Es lohnt sich innezuhalten und die Logik zu bedenken, die hinter der inszenierten Massenenthauptung steckt. Der Vergleich zum Auftakt des Irak-Kriegs 2003 sagt viel aus über ISIS und ihre Ehrfurcht vor dem intimen Töten (intimate killing). Das Töten von Angesicht zu Angesicht ist nicht das Gleiche wie Töten aus der Entfernung. Es ist lustvoll andersartig. Und es ist schwieriger.

In den letzten Monaten haben ISIS Kämpfer das Töten als scheinbar leicht dargestellt. Und sie haben die Kunst des intimen Tötens gemeistert. Sie inszenierten die Enthauptungen von James Foley, Steven Sotloff, David Haines, Alan Henning, und jetzt Peter Kassig, die schockierende Beispiele dafür sind. Aber sie sind nur die Spitze des Eisbergs der Verdorbenheit und Sadismus.

Von aussen betrachtet, scheinen die Handlungen dieser Gruppe wahnsinnig. Sie sind es aber nicht. Es scheint ein Prinzip für diese Brutalität zu geben. Sie soll polarisieren. Sie soll Menschen zwingen, Partei zu ergreifen. Sie soll einen grösseren Krieg provozieren – einen Krieg, von dem ISIS überzeugt ist, gewinnen zu werden.

„Wir müssen diesen Kampf gewalttätiger machen,“ schrieb 2004 der islamistische Stratege Abu Bakr Naji in seinem Buch „The Management of Savagery.“ Naji argumentierte, dass die gnadenlose Gewalt für die Schaffung eines „reinen“ sunnitischen Kalifats notwendig sei. Sanftheit, so warnte er, bedeutet Versagen.

Laut gängiger Meinung wird die Grausamkeit der ISIS ihr Verderben sein wird – gewöhnliche Muslime würden verprellt. Und ohne ihre Unterstützung könne die Gruppe keinen Erfolg haben. Aber diese Meinung übersieht, dass es dem ISIS Jihad nicht darum geht, Herzen und Köpfe zu gewinnen. Es geht darum, Herzen und Köpfe zu brechen. ISIS will seine Gegner und Feinde nicht überzeugen. Er will über sie herrschen, wenn nicht sogar sie alle zusammen zerstören. Und seine Strategie, das zu erreichen, scheint darauf zu gründen, ihren Willen durch intimes Töten zu zerstören. Darum geht es teilweise in den inszenierten Enthauptungen: Unterschwellig wird damit die Fertigkeit in der Kunst des intimen Tötens kommuniziert. Und das bereitet vielen Menschen Angst, weil sie nur ahnen können, wie schwierig das ist. ISIS hat den Schock des intimen Tötenn zu einer mythischen Aura umgewandelt. Ein von der ISIS in Kobani geflohener Kurde beispielsweise berichtete einer britischen Zeitung, „IS sind Tiere. Sie sind keine Menschen. Sie befinden sich in einem Blutrausch wie ich es noch nie gesehen habe – als ob Töten Spass mache. Sie ergötzen sich daran, Köpfe abzuschlagen – es ist wie ihr Markenzeichen.“

ISIS ist grausam und angsteinflössend. Trotz ihrer jüngsten Rückschläge auf dem Kampffeld, ist genau das der beherrschende mediale Narrativ über ISIS – in und ausserhalb der muslimischen Welt. Es ist genau der Narrativ, den ISIS vorantreiben will.

Auszug aus der Originalversion: ISIS and the Intimate Kill. The Islamic State has made violence look easy. That’s what makes the group so terrifying by Simon Cottee © The Atlantic, November 17, 2014.

Über den Autor:
Simon Cottee ist Dozent für Kriminologie an der University of Kent. Demnächst erscheint sein Buch The Apostates: When Muslims Leave Islam.