Ein „friedlicher Extremist“ und die unvermeidliche „Gewaltspirale“

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Printscreen Tages-Anzeiger Online 05.11.2014
Printscreen Tages-Anzeiger Online 05.11.2014
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In den vergangenen Wochen musste in Israel eine drastische Zunahme palästinensischer Terroranschläge und Attentatsversuche verzeichnet werden. Am 22. Oktober rammte ein Palästinenser sein Fahrzeug in wartende Passagiere an einer Tramhaltestelle in Jerusalem; dabei starben ein Baby und eine junge Ecuadorianerin. Eine Woche später versuchte ein palästinensischer Attentäter, den jüdischen Aktivisten Rabbi Yehuda Glick zu erschiessen.

Am 5. November wiederum rammte in Jerusalem erneut ein Palästinenser ein Auto in eine Menschenmenge (das Ziel war auch diesmal eine Tramhaltestelle) und tötete dabei einen drusischen Polizisten und verletzte über ein Dutzend weitere Personen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass der Attentäter nach dem erfolgten Anschlag sein Fahrzeug verliess und weitere Personen mit einer Eisenstange angriff. Am selben Abend steuerte ein Palästinenser im Westjordanland sein Fahrzeug in eine Gruppe von IDF-Soldaten. Am 10. November schliesslich kam es in Tel Aviv und dem Westjordanland zu zwei separaten Anschlägen, bei denen zwei palästinensische Attentäter Israelis mit Messern attackierten. Dabei verstarben eine junge Israelin im Westjordanland und ein israelischer Soldat in Tel Aviv.

Es ist instruktiv, die Schweizer Berichterstattung zu diesen Vorfällen zu verfolgen. Alle sind sie sich nämlich einig, dass es der Tempelberg sei, der „Juden und Muslime in Rage“ (Tagesanzeiger, 05.11.2014) versetze. Carlo Strengers Meinungsbeitrag mit dem Titel „Jerusalems Tempelberg fordert neue Opfer“ (NZZ, 03.11.2014) steht stellvertretend dafür. Strenger spannt darin den Bogen vom „Islamischen Staat“ zu „nationalreligiösen Rechtsradikalen“ in Israel als Beweis dafür, dass „religiöser Fanatismus im Aufstieg begriffen“ sei.

Als Vertreter der „nationalen Rechtsradikalen“ gilt im natürlich Yehuda Glick, ein „militanter Aktivist“, der in der israelischen Öffentlichkeit als „radikal und rechtsextrem“ betrachtet wird. Dazu reicht gemäss Strenger offenbar bereits aus, sich dafür einzusetzen, dass ausser Muslimen, wie bisher, auch Juden (und auch Christen) das Recht haben sollten, auf dem Tempelberg zu beten.

Glicks Ansichten sind bestimmt strittig und dürften auch durchaus nicht denen der Mehrheit der Israelis entsprechen. Ihn aber als „radikalen und militanten Extremisten“ den Terroristen des Islamischen Staat IS gleich zu stellen, ist nichts anderes als infam. Interessanterweise fällt ein Porträt in der Zentralschweiz am Sonntag bei der Beurteilung Glicks wesentlich differenzierter aus, hält es doch etwa fest, dass der vermeintlich rechtsextreme Rabbi sich für die Gleichstellung von Frauen und Homosexuelle einsetze und dem die Vision eines Gebetshauses für „alle Menschen an diesem Ort“ vorschwebe (Zentralschweiz am Sonntag, 02.11.2014).

Beim Titel aber scheint man auch bei der Zentralschweiz von allen guten Geistern verlassen worden zu sein, lautet dieser doch tatsächlich „Friedlicher Extremist heizt den Nahen Osten wieder auf“. Es ist wahrlich nichts Neues, dass viele Schweizer Redaktionsstuben der absurden Idee aufsitzen, dass Israel der Nukleus der Unruhen im Nahen Osten darstellt. Doch diese Schlagzeile illustriert einmal mehr die Ignoranz gegenüber dem alltäglichen Grauen in Syrien und Irak, während die Wurzel für alles Schlechte in der Region im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern verortet wird.

Richtig peinlich wird es für die Schweizer Medien allerdings bei der Berichterstattung über die jüngste palästinensische Anschlagserie. Da ist etwa in den Titeln die Rede von einem „Auto“, das „schon wieder in Menschenmenge“ fährt (Tagesanzeiger, 05.11.2014), während jegliche Hinweise auf die Urheberschaft und Motive fehlen. Stattdessen heisst es in der Meldung lapidar, die Autofahrer seien „offenbar gezielt“ in Gruppen von Passanten gefahren.

Selbstverständlich wurde umgehend auch wieder die sogenannte „Gewaltspirale“ (NZZ Online, 06.11.2014) bemüht, ganz als ob beide Seiten an der jüngsten Eskalation der Gewalt beteiligt wären. Auch in der Beurteilung der Hintergründe ist man sich einig, es sei der Streit um den Tempelberg und eine Gruppe „ultranationaler Juden“, die auf eine „jüdische Kontrolle“ dränge (St. Galler Tagblatt, 07.11.2014).

Zwar hat Ministerpräsident Netanyahu wiederholt klar gemacht, dass sich am Status des Tempelbergs nichts ändern werde, doch offenbar sind die Schweizer Medien nur zu gerne bereit, der Propaganda der Palästinensischen Autonomiebehörde aufzusitzen.

Absolut keine Erwähnung findet nämlich die PA-Aufhetzungskampagne, welche die Attentatsserie der vergangenen Wochen begleitet und wohl auch lancierte. Einzig Susanne Knaul erwähnt „Fotomontagen, auf denen das Gaspedal durch ein Gewehrmagazin ersetzt ist, oder auf denen vor der Al-Aqsa Moschee ein Soldat an der Kühlerhaube eines Autos ‚klebt‘“, die von Palästinensern getwittert würden. Hinter diesen Fotomontagen stecken aber offizielle Fatah-Organe, wie von Palestinian Media Watch nachgewiesen. Derweil kursiert in palästinensischen Social Media-Kanälen ein Song, der zu weiterem Terror gegen Israelis aufruft und die PA-Sicherheitskräfte veröffentlichten einen Cartoon, der die Vergewaltigung der Al-Aqsa-Moschee durch einen israelischen Soldaten (inkl. der klassischen antisemitischen Stereotype) zeigen soll.

PA-Präsident Abbas wiederum pries den Attentäter von Yehuda Glick als „Shahid“ (arab. für Märtyrer), während sich seine Fatah-Partei zum „heroischen Akt“ bekannte. Zudem strahlte die offizielle PA-Fernsehstation wiederholt einen Ausschnitt aus einer aktuellen Rede von Abbas‘ aus, die als impliziter Aufruf zu Gewalt gegen Israelis in Jerusalem verstanden werden kann.

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Palästinensische Autonomiebehörde die Bedeutung des Tempelbergs und der Al-Aqsa-Moschee bewusst dazu missbraucht, um anti-israelische Ressentiments und Gewalt zu schüren. Die Erinnerung an die Schrecken während der Zweiten Intifada sollten Grund genug sein, ein solches Ansinnen um jeden Preis zu unterbinden. Die Schweizer Medien wiederum sind dazu angehalten, den palästinensischen Narrativ kritisch zu hinterfragen, statt diesen widerspruchslos zu übernehmen.

Carlo Strenger, den wir eingangs erwähnten, hat den Terroristen, der versucht hat, Rabbiner Glück zu ermorden, in einer bizarren Weise entschuldigt. Er hält beide für Opfer des „eifersüchtigen Gottes des Alten Testaments“, der am Tempelberg „nicht mehr Kälber und Schafe, sondern Menschen fordert“. Er bemüht das klassische antijüdische Klischee, den negativen Mythos vom „Gott des Alten Testaments“, um den Terroristen zu entlasten. Geht’s eigentlich noch?

1 Kommentar

  1. Es ist kaum zu fassen. Man vergisst immer wieder wie der Antisemitismus tief in unseren Genen verankert ist. Aber wir brauchen Oel und machen gute Geschäfte – also was soll das Töten in Syrien, Irak, Iran oder Ukraine – wegschauen und anschliessend einige Zelte und Wasserflaschen schicken.

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