Die ägyptische Reaktion auf die jüngsten Sinai-Anschläge

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Sicherheitszaun an der Grenze zu Ägypten. Foto: Idobi, Wikipedia | CC BY-SA 3.0
Sicherheitszaun an der Grenze zu Ägypten. Foto: Idobi, Wikipedia | CC BY-SA 3.0
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Von der Weltöffentlichkeit relativ und den Schweizer Medien völlig unbemerkt, hat Ägypten damit begonnen, entlang der Grenze zum Gazastreifen eine Sicherheitszone zu errichten. Den Hintergrund dafür bilden zwei blutige Terroranschläge auf ägyptische Militäreinrichtungen, welche über 30 Soldaten das Leben kosteten.

Terror gegen die ägyptische Armee

Am 24. Oktober zündeten Jihadisten eine Autobombe bei einem schwerbewachten Checkpoint nahe der Ortschaft Sheikh Zuweid im Norden des Sinai. Als zusätzliche ägyptische Sicherheitskräfte an der Stelle des Anschlags eintrafen, griffen die Islamisten diese mit Panzerfäusten und weiteren schweren Waffen an. Dabei wurden insgesamt mindestens 28 Soldaten getötet. Weitere drei Soldaten starben bei einem islamistischen Angriff auf einen Checkpoint bei El Arish.

Als Reaktion auf die Anschläge rief Ägypten einen dreimonatigen Ausnahmezustand in der nördlichen und zentralen Region des Sinai aus, inklusive einer vierzehnstündigen Ausgangssperre von 17 Uhr abends bis 7 Uhr morgens. Ägyptens Präsident Sisi erklärte, man werde alles tun, um „die Gefahr des Terrorismus und dessen Finanzierung zu bekämpfen“. Ägypten befinde sich in einem „existenziellen Kampf mit dem Terrorismus“, doch werde letztendlich obsiegen.

In den Tagen nach der Attacke griffen ägyptische Apache-Kampfhubschrauber und Spezialeinheiten der Armee verschiedene Ziele südlich von Rafah und Sheikh Zuweid in unmittelbarer Nähe des Gazastreifens an.

Mögliche Involvierung Gazas

Während die Urheberschaft der Angriffe noch nicht restlos geklärt ist, liegt gemäss von der Times of Israel zitierten ägyptischen Medienberichten die Verantwortung bei der salafistischen Terrorgruppe Ansar Bait Al-Maqdis („Anhänger des Tempels“ (gemeint ist der Tempelberg in Jerusalem, Anm. Audiatur)). Diese operiert seit dem Sturz Mubaraks auf der Sinai-Halbinsel und führte verschiedene Anschläge sowohl gegen ägyptische als auch israelische Ziele durch.

Ägyptische Sicherheitsbeamte erklärten zudem, die am Anschlag beteiligten Terroristen seien in Gaza vom Mumtaz Durmush, dem Anführer der Terrororganisation „Armee des Islam“, ausgebildet worden. Die verwendeten Sprengstoffe würden zudem ursprünglich aus israelischen Beständen stammen. Wie eine Terrororganisation aus Gaza in ihren Besitz gekommen sein soll, bleibt unklar. Als Reaktion auf die anscheinende Involvierung Gazas schloss Ägypten den Grenzübergang Rafah auf unbestimmte Zeit und erklärte, die Gespräche zwischen Hamas und Israel hinsichtlich des jüngsten Konflikts würden verschoben.

Die Hamas wiederum wies jegliche Verantwortung für den Anschlag von sich und ein Sprecher des Gaza-Innenministeriums beeilte sich zu erklären, dass die Schmuggeltunnels zwischen Gaza und dem Sinai nicht mehr länger existierten, seit „die ägyptische Armee sie vor über zwei Jahren geschlossen hat“. Die Beziehungen zwischen Gaza und Ägypten sind seit der Entmachtung von Muslimbruder Mohammed Mursi, der die Präsidentschaftswahlen nach Mubaraks Sturz gewann, merklich angespannt und Vertreter der Sisi-Regierung haben die Hamas und andere militanten Organisationen in Gaza verschiedentlich beschuldigt, dem Terror in der Sinai-Region Vorschub zu leisten. Die Hamas, der palästinensische Ableger der Muslimbruderschaft, hatte den Militärcoup gegen Mursi scharf kritisiert. Ägypten wiederum hat im Frühling 2014 die Hamas offiziell verboten.

Errichtung der Pufferzone

Die Etablierung einer Sicherheitszone zum Gazastreifen ist eine konsequente Weiterführung von Sisis Politik vis-à-vis der Hamas. Die 500m breite und 13km lange Pufferzone wird die Grenze zwischen Ägypten und Gaza vollständig abdecken. Sie beinhaltet Wassergräben, um die Errichtung neuer Tunnels zu verunmöglichen und soll dem Schmuggel von Waffen und Personen zwischen Sinai und Gazastreifen ein Ende setzen. Die „temporäre geografische Umverteilung“ bedeutet die Zerstörung von Hunderten von Gebäuden und die Zwangsevakuierung von mehreren Tausenden Personen. Mit anderen Worten: Ägypten verschärft die Abriegelung des Gazastreifens massiv.

Auf der Webseite des Gatestone Institutes kritisiert der palästinensische Journalist Khaled Abu Toameh die Gleichgültigkeit gegenüber der ägyptischen Vorgehensweise, und brandmarkt sie als Doppelmoral. Dieselbe Weltöffentlichkeit, welche „Israel des ‚Genozids‘  an den Palästinensern im Gazastreifen beschuldigt“, werde die Häuserzerstörung und Zwangsevakuierungen im Sinai weiter ignorieren.

Labile Sicherheitssituation im Sinai

Die Anschläge im Sinai sind ein Rückschlag für Sisis Anti-Terrorstrategie. Während die Region nach dem Sturz Mubaraks und der Präsidentschaft Mursis vollends in Chaos und Rechtslosigkeit abzurutschen drohte, hat sich die Lage nach der Machtübernahme von Präsident Sisi zwischenzeitlich gebessert. Eine aktuelle Studie der RAND Corporation zur anhaltenden Bedrohung durch Salafi-Jihadisten zeigt auf, wie die Turbulenzen nach der Entmachtung Mubaraks zu einer Zunahme der Anzahl Salafi-Jihadisten und der Herausbildung neuer Terrororganisationen wie Ansar Bait Al-Maqdis und Majlis Mujaheddin al-Shura führten, die beide über Verbindungen zu Al-Qaida verfügen.

Mit dem Machtantritt Sisis setzte gemäss der Studie aber eine gegenläufige Trendwende ein, die mit dessen Nulltoleranzstrategie – zuvor hatte Muslimbruder Mursi über lange Zeit mehr als nur ein Auge zugedrückt – gegenüber salafistischen Extremisten zusammenhängt. Die jüngsten Attentate sind jedoch Beweis dafür, dass die Sinai-Region noch lange nicht befriedet ist.

Über Michel Wyss

Michel Wyss ist freischaffender Analyst bei der Audiatur-Stiftung und beschäftigt sich hauptsächlich mit Sicherheitspolitik im Nahen Osten. Er absolviert derzeit ein MA-Studium in Government mit Fokus auf Internationale Sicherheit am Interdisciplinary Center in Herzliya, Israel und ist als Research Assistant beim International Institute for Counterterrorism (ICT) tätig.

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