Wer hat die Araber auf diesen Tiefpunkt gebracht?

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"A map of the Arab World with flags" Licensed under Creative Commons Attribution 3.0 via Wikimedia Commons
Lesezeit: 4 Minuten

Es ist nicht ein Paradigma allein, das den staatlichen Zerfall, die soziale Zersplitterung und die Bürgerkriege in den etlichen arabischen Gesellschaften erklären könnte; auch lässt sich das Scheitern verschiedener politischer Ideologien, welche die arabische Welt im letzten Jahrzehnt beherrscht haben, nicht auf einen allumfassenden Grund reduzieren, ob nun wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch oder kulturell.

Mannigfaltige Gründe haben Syrien, Irak, Libyen, Jemen, Ägypten, Bahrain und den Libanon auf ihren Tiefpunkt gebracht – sie reichen von repressiver Autokratie, Allianzen zwischen rücksichtslosen politischen Eliten, korrupten Handelsklassen und wirtschaftlichen Monopolen, reaktionäre Interpretationen des Islam wie sie durch Visionen und Praktiken islamistischer Bewegungen reflektiert werden bis hin zu chauvinistischem oder Über-Nationalismus, und ja bis hin zu einem kulturellen Erbe, das in einem religiösen Konservatismus verwurzelt ist, der Werte wie Ignoranz, Fatalismus, Abhängigkeit und Angst vor Autorität erzeugt hat.

Sogar Jahrzehnte nach ihrer Unabhängigkeit kämpfen einige arabische Staaten immer noch mit ihrer Identität, besonders heterogene Staaten wie der Irak und Algerien. Sogar das grösstenteils homogene Ägypten kämpfte mit Themen der Identität und kultureller und politischer Orientierung, besonders während der kurzen Herrschaft der Muslimbruderschaft.

Die Araber und der Rest

Die Araber waren nicht die einzigen Opfer der Kolonialisierung. Ägypten und Indien waren beispielsweise von der der gleichen Macht kolonialisiert und erlangten ihre Souveränität nach dem Zweiten Weltkrieg. Beide Länder wurden von einem demografischen Übergewicht heimgesucht. Doch während Indien eine demokratische Herrschaft aufrechterhielt, wurde Ägypten grösstenteils von einem starken militärischen Führer beherrscht.  Indien produzierte Wissenschaft und Wissen – an seinen Universitäten und in Bangalore, die Hauptstadt der Hochtechnologie und das trotz seiner wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit. Solche Universitäten gibt es in Ägypten nicht.

1960 standen das pro Kopf BIP von Südkorea und Ägypten fast gleich, 155$ und respektive 149$; auch die Bevölkerung der beiden Ländern war fast gleich gross, 25 Millionen und 27 Millionen respektive. 2012 erreichte das pro Kopf BIP in Südkorea 16.684$ bei einer Bevölkerung von 50 Millionen. Im Vergleich stieg das pro Kopf BIP von Ägypten nur auf 1.976$ und seine Bevölkerung verdreifachte sich auf 82 Millionen.

Was in Ägypten schief und in Südkorea richtig gelaufen ist, ist eine Geschichte des politischen Willens und guter und schlechter Regierungsführung. Südkorea investiert erheblich in Bildung und Unternehmen und revolutioniert die industrielle Produktivität durch Stärkung der Frauen und ihre Einbeziehung in den Arbeitsmarkt. Im Gegensatz dazu hat Ägypten die Qualität seines Bildungssystems nicht verbessert und in nicht-wettbewerbsfähige Industrien investiert.

Nicht alle Autokraten sind gleich

Arabische Staaten haben mehr als ihren Beitrag an militärischen Diktatoren geleistet; Diktatoren, die ihre absolute Macht durchsetzten, ihre Gesellschaften schwächten und Wirtschaften ruinierten. Sie herrschten im Namen des arabischen Nationalismus und manipulierten religiöse Autokraten und Symbole, während sie konfessionelle, ethnische und Stammeskluften ausnutzen.

Die Militärherrschaften und Autokraten in Asien, wie Park Chung-hee in Südkorea und Lee Kuan Yew in Singapur, denen angerechnet wird, ihre Länder auf den Pfad der Industrialisierung und des Reichtums gebracht zu haben, sehen harmlos aus im Vergleich mit arabischen Despoten wie Saddam Hussein und Assad.

Es kann auch anders gehen. Mit dem politischen Erbe Tunesiens lässt sich teilweise erklären, warum Tunesien von allen durch Aufruhr berührten Ländern, sich auf dem Weg der guten Regierungsführung befindet. Der tunesische Präsident Habib Bourguiba (1957-1987) verbannte Polygamie, führte verschiedene Gesetz und säkulare Reformen durch, die Frauen das Wahlrecht und Zugang zu höherer Bildung gewährte, das Recht Scheidung einzureichen und ihnen Zugang zum Arbeitsmarkt gab.

Das moderne Tunesien hat eine säkulare Tradition und Gemeinwesen aufrechterhalten, das toleranter als seine Nachbarn ist. Dieses Erbe des Säkularismus und der Stärkung der Frauen, ist einer der Gründe, warum die Islamisten nach dem Sturz von Präsident Bin Ali auf Abstand gehalten und davon abgehalten wurden, politische Macht zu monopolisieren.

Selbstkritik nach Niederlagen und Desastern

Nach der Niederlage von 1967 wurde Beirut zum Zentrum einer lebendigen und hemmungslosen Debatte unter arabischen Intellektuellen über die Bedeutung und die Gründe dieses unvorstellbaren Desasters. Es wurde klar, dass die Niederlage nicht nur militärisch, sonder auch politisch und kulturell war. Die Niederlage war symptomatisch für das Scheitern der arabischen Regime, praktikable, moderne und demokratische Gemeinwesen zu schaffen, die frei von überholten politischen und religiösen Dogmen sind. Mit den Bürgerkriegen und Besatzungen und dem Anstieg des Konfessionalismus, verlor Beirut seinen Liberalismus und Offenheit zu verlieren.

Heute kollabiert die Welt von Millionen von Arabern; ganze Gesellschaften werden von den Flammen des Sektierertums, der politischen Zersplitterung und der wirtschaftlichen Benachteiligung verzerrt. Wenn sich aber arabische Intellektuelle und Aktivisten nicht, wie in Beirut nach 1967, in einer hemmungslosen Debatte engagieren, werden Araber weiterhin in einer endlosen politischen Wildnis Marke Eigenbau umherirren. Sucht man heute nach einer lebendigen Debatte woran die arabische Welt kränkelt und nach einer offenen, liberalen arabischen Stadt für Intellektuelle zur kritischen Selbstbeobachtung, man sucht sie vergeblich.

Auszug aus dem Originalbeitrag: Who Brought the Arabs to This Nadir? By Hisham Melhem © Al-Arabiya, September 27, 2014.

5 Kommentare

  1. Auf NOW (früher NOW Lebanon) erschien eine Rezension zu Melhams Beitrag."Denial is not only pointless; it's no longer possible without becoming downright delusional. The profound crisis in the contemporary Arab social order and political culture is simply a fact. It can, and must, be analyzed and interrogated. But it cannot be dismissed or even downplayed."
    Nachzulesen unter diesem linK: https://now.mmedia.me/lb/en/commentaryanalysis/56

    Ihrem Kommentar nach, gehören Sie wohl eher zu der Gruppe, die die Krise der arabischen Gesellschaft herunterspielt.

  2. Im Prinzip sind die Araber, oder besser die Muslims, seit der Gründung vom Islam auf demselben gesellschaftlichen und politischem Tiefpunkt geblieben. Nur selten gab es ein blühendes Staatswesen. Es gab nie annähernd etwas ähnliches wie die Aufklärung.
    Die Hauptursachen sehe ich darin, dass sich ihre Ideologie und Religion nie einem sich ändernden Umfeld angepasst hat und dass Moslems nicht willens waren und sind, auf Grund ihrer überhöhten Selbsteinschätzung Verantwortung zu übernehmen.
    Schuldig sind immer andere, egal an was und egal warum.

  3. Herr Werner T. Meier, der guten Ordnung halber, Audiatur ist kein Sprachrohr von Israel. Sie sind ja, obwohl ich Sie für einen Judenhasser und Israelhasser halte, auch nicht das Sprachrohr der schweizerischen Antisemiten.

  4. Schade, dass Sie sich über den Inhalt des Beitrags weniger Gedanken gemacht haben. Es kann nur besser werden.

  5. Al Arabiya ist ein Saudi-Staatssender.
    Wenn Audiatur, ein Sprachrohr Israels das weiterverbreitet finden sich ZWEI Theokratien in EINEM Tiefpunkt wieder.

    Gratulation, mit Euch kann es jetzt nur noch aufwärts gehen.

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