„Wir haben keine Strategie“

1
Lesezeit: 4 Minuten

Das Eingeständnis des amerikanischen Präsidenten Barack Obama, „Wir haben keine Strategie“, hätte der von Religion und Ideologie befreite kapitalistische Westen schon vor Jahrzehnten zu seinem Dogma erheben können.

Der Inbegriff des Bösen, die Nazis, war mit militärischer Gewalt besiegt worden.  Vergessen ist, dass Deutschland doppelt besetzt und geteilt war. Dass es auf angestammte Territorien verzichten musste, von Elsass über Schlesien bis Danzig und Königsberg. 14 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen wurde ein Rückkehrrecht in ihre verlassenen Heime versagt. Dennoch verübten die Deutschen weder Terror noch „legitimen Widerstand“.

Die Welt war aufgeteilt in zwei Machtblöcke  und mit dem guten alten Kommunismus gab es ein funktionierendes Feindbild. Im Westen lebten die Menschen in Frieden, Freiheit und Wohlstand. Genau diese Idylle streben vermeintlich auch die Palästinenser im Gazastreifen und im besetzten Westjordanland an. Allein Israel hindere sie daran mit Siedlungen, Grenzkontrollen, Blockade des Gazastreifens und „unverhältnismässigen“ Zerstörungen. Was jedoch Nahostexperten, EU-Beamte und UN-Vertreter als Forderung an Israel aufgrund der eigenen „Erfahrung“ formulieren, hat nicht einmal in Europa Bestand.

Revolutionärer Pfiff brachte Leben in die Langeweile

In Westeuropa mangelte es an revolutionären Pfiff. Den braucht der Mensch wohl wie Essen, Trinken und Sex. Dany der Rote (Daniel Cohn-Bendit, Anm. Audiatur-Online) erlöste mit seiner „Revolution“ 1968 die Europäer aus der Langeweile. Junge Menschen gingen auf die Strasse. Sie himmelten Che Guevara und Mao Tse Tung an, der immerhin für den grössten Massenmord mit 80 Millionen Toten seit dem 2. Weltkrieg verantwortlich war. Der Jubel für Ho Chi Min von Nord-Vietnam und die Verherrlichung der revolutionären Vietkong symbolisierten eine Aufhebung der westlichen Weltordnung unter der Führung der USA.

Der revolutionäre Stachel veränderte im friedlichen Europa das Verhältnis zum Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, der Voraussetzung für Frieden und Demokratie.Es waren die Zeiten der RAF, deren Mitglieder in PLO-Camps trainierten, der palästinensischen Flugzeugentführungen und des weltweiten Terrors von Jassir Arafat. Höhepunkt war der Überfall auf die israelische Delegation bei den olympischen Spielen in München 1972 und die schnelle Freilassung der überlebenden Täter.

Jassir Arafat stand an der Spitze „reichsten Terrororganisation der Welt“ und ging mit unfassbarer Brutalität gegen Juden, Israelis und andere „unschuldige Zivilisten“ vor. Aber der Westen liess sich vom romantischen Stachel seiner „Befreiungsorganisation“ anstecken, belohnte ihn 1974 mit einem Auftritt vor der UNO und setzte mit der Amnestie für palästinensische Massenmörder alle rechtsstaatlichen Prinzipien ausser Kraft.

Von diesen und anderen Ereignissen lässt sich eine gerade Linie zu der Ratlosigkeit des Westens gegenüber IS ziehen, wobei das gebrochene Verhältnis zu Israel immer wieder im gespenstischen Mittelpunkt steht.

Regelverstoss bei Hilfe für Palästinenser

So pumpte die EU Milliarden in die palästinensische Autonomie, obgleich jedem bekannt war, dass viele Millionen auf Arafats Konten in der Schweiz und in private Taschen flossen oder für Waffenkäufe und für die Finanzierung von Terror missbraucht wurden. Bis heute zahlt die EU den schlimmsten palästinensischen Terroristen in israelischen Gefängnissen Monatsgehälter. Die Amerikaner üben Druck auf Israel aus, palästinensische Gefangene vor Ablauf ihrer mehrfachen lebenslänglichen Strafen freizulassen, nur um den „gemässigten“ Präsidenten Abbas zur Wiederaufnahme der Friedensgespräche zu locken, als wäre die Errichtung eines palästinensischen Staates allein ein israelisches Interesse.

Inzwischen stellt sich heraus, dass einer der im Rahmen des Gefangenenaustausches für den Soldaten Gilad Schalit freigelassenen und in den Gazastreifen abgeschobenen Häftlinge, Mahmoud Kawasmeh, mit Hilfe der Hamas-Bewegung das Geld für die Entführung und Ermordung der drei israelischen Talmudschüler im Juni organisiert und besorgt hatte. Die Hamas hat die „Verantwortung“ für jene Entführung übernommen. Das löste bekanntlich die Kettenreaktion zum jüngsten Gazakrieg mit über 2.000 Toten aus.

Und schon spendieren die EU und UN fleissig, um die Palästinenser mit „Wiederaufbau“ für die letztlich selbstverschuldeten Schäden zu kompensieren, anstatt rechtsstaatliche Verhältnisse durchzusetzen und so den nächsten Waffengang zu verhindern.

Es geht hier nicht darum, den amerikanischen Aussenminister John Kerry zu beschuldigen, durch Druck auf Israel Palästinensern einen Freibrief für Selbstmordattentate und Terror gegeben zu haben, indem Täter entgegen allen Rechtsprinzipien für straffrei erklärt wurden. Es geht hier um die seit den 1970ziger Jahren im Westen akzeptierte Vorstellung eines „legitimen Widerstands“.

Keine einheitlichen Werte

Genau das ermöglicht Massenmorde und schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie bei der IS, der Hisbollah im Libanon der Hamas und anderen radikalen „bewaffneten Armen“,  die Terroristen und bewaffnete Trupps ausschicken. Auch der künftige palästinensische Staat kann keinen Bestand haben, solange bewaffnete Gruppen jeden Friedensvertrag  hintertreiben können.

Als mit der wirtschaftlich besiegten Sowjetunion auch der Kommunismus zusammengebrochen war, bahnte sich in Jugoslawien ein Chaos an. Dem schauten die pazifistischen Europäer machtlos zu, bis die USA mit Militärgewalt dem mörderischen Spuk ein Ende bereiteten. Der Preis für den nun gewonnenen „Frieden“ war eine Auflösung Jugoslawiens in ethnische Einzelteile. Aus unerfindlichen Gründen wird diese „Lösung“ heute für die vor hundert Jahren von Briten und Franzosen künstlich geschaffenen Staaten Syrien und Irak ausgeschlossen.

Doch wenn Obama im Nahen Osten, im Libanon, bei den Palästinensern, im Irak und Syrien bei Wiederaufbau und Hilfe auf Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien pocht und der Westen es zulässt, dass gemäss dem jugoslawischen Beispiel die künstlichen Staaten Syrien, Libyen oder Irak in ethnisch einheitliche Einzelstaaten zerfallen,  so könnte das auch eine „Strategie“ sein, um die apokalyptische Gefahr von IS in den Griff zu bekommen.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

Alle Artikel

1 Kommentar

  1. Ausgezeichneter Artikel! Nur:
    … Mao Tse Tung an, der immerhin für den grössten Massenmord mit 80 Millionen Toten SEIT?? dem 2. Weltkrieg verantwortlich war …
    … obgleich jedem bekannt war, dass viele Millionen?? (MILLIARDEN) auf Arafats Konten in der Schweiz und in private Taschen flossen …

Kommentarfunktion ist geschlossen.