Palästinasolidarität: Von der „Volksbefreiung“ zum Kampf für die „Ummah“

1
ProPalästina Demo auf der Rathausbrücke in Zürich, 18.07.2014
ProPalästina Demo auf der Rathausbrücke in Zürich, 18.07.2014
Lesezeit: 5 Minuten

Wer sich Bilder und Videos der pro-palästinensischen bzw. anti-israelischen Proteste der letzten Wochen anschaut, dem dürften einige Details auffallen, die diese aktuellen Demonstrationen von bisherigen unterscheidet. Neben den gängigen Palästina- und Hamas-Flaggen war etwa in Zürich und anderswo eine Vielzahl an weissen Flaggen mit schwarzer Aufschrift, der Shahada (das islamische Glaubensbekenntnis) zu sehen. Dabei handelt es sich um die sogenannte al liwa-Flagge, auch bekannt als die Flagge des Kalifats, welche die Taliban nach ihrer Machtübernahme in Afghanistan in 1997 verwendeten. Zusammen mit den alle anderen Parolen übertönenden „Allahu Akhbar“-Rufen sind sie ein deutlicher Hinweis darauf, wie sehr sich das Gesicht der Palästinasolidarität in den letzten Jahrzehnten verändert hat.

In den 1950er Jahren hatten Altnazis und Hitlerbewunderer wie der Nazi-Banker François Genoud damit begonnen, die sich allmählich formierende palästinensische Nationalbewegung finanziell und auch mit Waffen zu unterstützen. Genoud hatte als Agent für Nazideutschland gearbeitet, war bekannt mit dem Jerusalemer Grossmufti Haji Amin Al Husseini und höchstwahrscheinlich der Hauptverantwortliche für die Verwaltung der geheimen Nazi-Vermögen in der Schweiz nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Genoud hatte zudem mit der Publikation der Tagebücher von Josef Goebbels ein Vermögen gemacht, das er nun einsetzte, um nationalistische und linke Bewegungen in der arabischen Welt zu unterstützen

Zeitgleich änderte auch die Sowjetunion, ein früher Unterstützer Israels, ihre Haltung gegenüber der arabischen Welt und verfolgte von nun an einen antizionistischen und pro-arabischen Kurs. Nach dem israelischen Sieg im Sechstagekrieg, begannen sozialdemokratische und linke Parteien in Europa allmählich, ihre israelfreundlichen Positionen zu überdenken. Nach Israels Gründung hatten sie sich mit dem kleinen und damals sehr säkularen und durch die Kibbutz-Bewegung geprägten Israel identifiziert, das einer arabischen Übermacht gegenüberstand. Nun aber präsentierte sich insbesondere die Neue Linke – geprägt vom Schrecken des Stalinismus –als Avantgarde, die „Volksbefreiungsbewegungen“ in aller Welt zum neuen revolutionären Subjekt ihrer Begierde erhob. Eine äusserst militante Form des Antizionismus veranlasste einige Mitglieder linksradikaler Gruppierungen dazu, sich in PLO-Trainingscamps an schweren Waffen ausbilden zu lassen oder gemeinsam mit palästinensischen Terroristen Flugzeuge zu entführen. Andere wiederum führten Anschläge auf israelische und jüdische Einrichtungen in Europa durch. Dabei verschwammen öfters die Grenzen zwischen Antizionismus und Antisemitismus, wie das Beispiel der Flugzeugentführung von Entebbe zeigt: Zwei Mitglieder der Revolutionären Zellen führten eine Selektion durch, bei der sie alle nichtjüdischen und nichtisraelischen Passagiere freiliessen, Juden und Israelis aber als Geisel behielten. Diese wurden später von einer Spezialeinheit der israelischen Armee befreit.

Der Zusammenbruch der Sowjetunion und das Ende des Realsozialismus hatten auch Auswirkungen auf die Palästinasolidarität. Linksradikale Terrorgruppierungen konnten nicht mehr weiter auf staatliche Unterstützung zählen und gehörten bald der Vergangenheit an. Andererseits war die antizionistischen Positionen der radikalen Linken längst massentauglich geworden und „Solidarität mit dem palästinensischen Volk“ eine Selbstverständlichkeit für die Mehrheit der Sozialdemokraten und Grünen. Die Friedensverhandlungen in Oslo (1992) jedoch versprühten einen gewissen Optimismus hinsichtlich einer möglichen Beilegung des Konfliktes, weshalb hartgesottene Palästinafreunde auf weniger Unterstützung zählen konnten als in den Jahren zuvor.

Das Scheitern von Oslo fiel zeitlich ziemlich genau mit der Entstehung der Antiglobalisierungsbewegung zusammen, was der Palästinasolidarität erneuten Auftrieb verlieh. Das Ergebnis war ein immer diffuser wirkendes Erscheinungsbild. Nun demonstrierten linksgrüne Politiker (früher selber in kommunistischen Splittergruppen aktiv), christliche Friedensfreunde, Linksautonome und die einen oder anderen Verschwörungstheoretiker vereint für „Solidarität mit dem palästinensischen Volk“ und „Frieden in Nahost“. Die palästinensische Nationalbewegung begann gegen Ende der zweiten Intifada zu realisieren, dass es ihr niemals gelingen würde, Israel militärisch zu besiegen und so suchte man in Ramallah fieberhaft nach neuen Wegen, um den jüdischen Staat doch noch in die Knie zu zwingen. Das Ergebnis waren Kampagnen wie BDS und weitere Initiativen, die darauf abzielten, Israel international zu isolieren. Palästina-Aktivisten sprachen in der Öffentlichkeit nun mehrheitlich nicht mehr vom „revolutionären Befreiungskampf des palästinensischen Volkes“, sondern lieber von „gewaltlosem Protest“ und dem „humanitären Völkerrecht“. Ihr Ziel allerdings, Israels Existenz zu beenden, ist dabei dasselbe geblieben.

Das öffentliche Interesse an den Aktivitäten der Palästinasolidarität hat in den letzten Jahren aber merklich abgenommen, trotz gegenteiliger Selbstversicherung. Grössere israelische Militäroperation wie Ende 2008, bei der Gaza-Flottille 2010, im November 2012 oder die aktuelle Krise in Gaza bilden die Ausnahme und ermöglichen die Mobilisierung einer grösseren Anzahl von Protestierenden. Islamistische Parolen und Transparente waren dabei Jahren immer zu hören und sehen, doch niemals waren sie so dominant wie im Juli 2014. Mit ihnen finden auch wüste antisemitische Äusserungen wieder ihren Weg an die Öffentlichkeit, denn die islamistische Klientel findet wenig an der Unterscheidung zwischen „Israelkritik“ und ordinärem Judenhass. Dies birgt ein Dilemma für die „traditionellen“ Palästinafreunde: Sie können nicht einerseits mit Islamisten demonstrieren und andererseits behaupten, sie seien gegen Rassismus und Antisemitismus. Daniel Vischers Distanzierung von Antisemitismus und islamisch-fundamentalistischen Kreisen in einem Debattenbeitrag im Tagesanzeiger wirkt wenig glaubwürdig, wenn seine Gesellschaft Schweiz Palästina (GSP) eine Demonstration gemeinsam mit dem Islamischen Zentralrat IZRS und Mili Görüs organisiert. Und auch die Diktion der GSP („Entführung jugendlicher Siedlerkolonisten“) ist wenig hilfreich.

Umgekehrt beschweren sich Fans des IZRS mit einem Faible für den Islamischen Staat in Syrien und Irak in den sozialen Medien darüber, dass an der Pro-Gaza-Demonstration in Zürich „halbnackte Frauen“ anwesend waren. Auch an den Palästinaflaggen stören sie sich, denn arabischer Nationalismus als Produkt des „westlichen Imperialismus“ ist den Islamisten ein Dorn in Augen, wie Qasiim Illi in seiner Rede ausführte. Aus islamistischer Perspektive ist der Konflikt zwischen Israel und Palästina ein existenzieller, nicht bloss ein Kampf um Territorium. Israels blosse Existenz auf „islamischem Land“ entweiht dieses und ist deshalb ein Affront gegen die gesamte „Ummah“ (die muslimische Gemeinschaft als Ganzes), der um ihrer Willen beseitigt werden muss. Es braucht wenig Fantasie, um zu erkennen, dass die Forderung Schweizer Palästinafreunde nach einer „demokratischen Ein-Staaten-Lösung“ nicht mit der Vision eines islamischen Kalifats zu vereinen ist. Palästina-Aktivisten ziehen ihre ohnehin schon geringe Glaubwürdigkeit weiter in Mitleidenschaft, wenn sie solche Widersprüche nicht adressieren.

1 Kommentar

  1. Wie gehen muslimische "Bekämpfer Israels" eigentlich mit folgenden Suren aus dem Koran um?

    Sure 5,20 – 5,25
    O mein Volk, betretet das heilige Land, das Allah für euch bestimmt hat, und kehret (Ihm) nicht den Rücken; denn dann werdet ihr als Verlorene umkehren."
    Sie sagten: "O Moses, siehe, dort lebt ein tyrannisches Volk, und wir werden es (das Land) nicht betreten, ehe jene es nicht verlassen haben. Doch wenn sie es verlassen, dann wollen wir dort einziehen."
    Es sagten zwei Männer von denen, die gottesfürchtig waren, und denen Allah Seine Gnade erwiesen hatte: "Zieht durch das Tor ein und wendet euch gegen sie; seid ihr eingezogen, dann werdet ihr siegreich sein. Und vertraut auf Allah, wenn ihr Gläubige seid."
    Sie sagten: "O Moses, nimmermehr werden wir es betreten, solange jene dort sind. Gehe denn du mit deinem Herrn und kämpft; wir bleiben hier sitzen."
    Er sagte: "Ich habe nur Macht über mich selbst und meinen Bruder; darum scheide Du uns von dem aufrührerischen Volk."
    Er sprach: "Wahrlich, es (das Land) soll ihnen vierzig Jahre lang verwehrt sein; sie sollen auf der Erde umherirren. Und betrübe dich nicht wegen des aufrührerischen Volkes."
    Mit dem fett gemachten Text ist im Koran ja eindeutig der Stamm der Juden gemeint.
    Also, nicht der Zionismus, sondern der Verfasser des Korans schenkt den Juden geheiligtes Land und fordert sie auf, daran festzuhalten. Aber wo ist das geheiligte Land nach Auffassung der Koranausleger? Man höre und staune:
    Al Qurtobi führt in seiner Koranexegese, die von der sunnitischen Welt anerkannt und hoch verehrt wird, einige Aussagen von Gelehrten an. Der eine behauptet, das geheiligte Land sei die Umgebung von El-Tor in der Sinai-Halbinsel. Andere sehen das geheiligte Land in Damaskus, Palästina und Teilen des Jordanlandes.

    Sure 7,137
    Und Wir gaben dem Volk, das als schwach galt, die östlichen Teile des Landes zum Erbe und dazu die westlichen Teile, die Wir gesegnet hatten. Und das gnadenvolle Wort deines Herrn wurde damit an den Kindern Israels erfüllt, weil sie geduldig waren; und Wir zerstörten alles, was Pharao und sein Volk geschaffen und was sie an hohen Bauten erbaut hatten.
    Und auch hier wird im koran den juden israel zugesagt

    Sure 17,104
    Und Wir sprachen nach ihm zu den Kindern Israels: "Wohnt in dem Lande; und wenn die Zeit des Jenseits kommt, dann werden Wir euch als eine gesammelte Schar herbeibringen."

Kommentarfunktion ist geschlossen.