Papst schliesst Kreis

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Foto L'Osservatore Romano
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Schweigend hat Papst Franziskus einen grossen Kranz mit gelben und weissen Blumen von zwei israelischen Jungen, darunter einem Äthiopier, auf dem Grab von Theodor Herzl niederlegen lassen. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu reichte dem Papst und Staatspräsident Schimon Peres ein Steinchen, dass sie nach jüdischer Sitte auf den schwarzen Marmor legten. Anders als bei allen anderen Stationen des Papstes wurden bei dieser kurzen und schlichten Station keine Worte gesprochen. Dennoch war es ein höchst symbolischer Akt, dem vor dem Besuch in der Holocaust Gedenkstätte Yad VaShem sogar noch ein nicht vorgesehener Punkt spontan eingeschoben worden ist. Auf Bitten Netanjahus besuchte der Papst überraschend das Denkmal für die Terror-Opfer Israels.

Die meisten Stationen des Papstes während seiner „Pilgerreise“ ins Heilige Land sind schon fast Routine, darunter Besuche an den Heiligen Stätten und die politischen wie ökumenischen Treffen. Wirklich „historisch“ war nur eine Station, die bisher kein Papst gewagt hatte: das Grab Theodor Herzls, dem Wiener Journalisten, Begründer des Zionismus und Verkünder des „Judenstaates“.

Papst Franziskus schloss damit einen Kreis. Am 26. Januar 1904, vor exakt 110 Jahren, hatte Herzl eine 25 Minuten lange Privataudienz bei Papst Pius X. In seinem „Zionistischen Tagebuch“ hatte Herzl diese historische und zugleich peinliche Begegnung festgehalten.

„Er empfing mich stehend u. reichte mir die Hand, die ich nicht küsste.“ Damit hatte es sich Herzl mit dem Papst vom ersten Augenblick an verdorben. Entsprechend frostig ging es weiter. Herzl entschuldigte sich für sein „miserables Italienisch“. Den Papst charakterisierte er als „grobschlächtiger Landpfarrer, dem das Christentum selbst noch im Vatican etwas Lebendes geblieben ist“.

Herzl legte sein Anliegen dar, die Juden, „denen es so schlecht ging“ zu unterstützen, nach Jerusalem zu gehen und in Palästina ein eigenes Land zu errichten. „Er (der Papst) aber – vielleicht durch den verweigerten Handkuss gereizt – antwortete streng u. bestimmt“, schreibt Herzl. „Wir können diese Bewegung nicht begünstigen. Wir werden den Juden nicht hindern können, nach Jerusalem zu gehen…Die Erde Jerusalems ist, falls sie nicht immer heilig war, geheiligt durch das Leben Jesu Christi… Die Juden haben unseren Herrn nicht anerkannt, weshalb wir das jüdische Volk nicht anerkennen können.“ Weiter drohte Pius X: „Wenn sie nach Palästina gehen und ihr Volk dort ansiedeln, werden wir Kirchen und Missionare bereithalten, es zum Christentum zu bekehren.“

„Gütlich“ versuchte Herzl, dem Papst eine „Exterritorialisierung“ christlicher Stätten anzubieten. Doch der Papst antwortete, dass Jerusalem nicht „in die Hände der Juden kommen dürfe“. Es sei nicht „angenehm“, dass, „die Türken unsere Heiligen Stätten besitzen. Das müssen wir eben ertragen. Aber die Juden in der Erlangung der heiligen Stätten begünstigen, das können wir nicht.“ Damals herrschten noch die türkischen Osmanen in Jerusalem.

Der – aus heutiger Sicht – politisch inkorrekte Schlagabtausch ging weiter. Zwischendurch erwähnt Herzl: „Der Papst hörte zu, nahm ab u. zu eine Prise (Schnupftabak), schneutzte sich in ein grosses rothes baumwollenes Taschentuch.“

Pius X erklärte Herzl weiter, dass die Juden die Gottheit Jesu verleugnen, solange sie bei ihrem Glauben blieben und auf den Messias noch warten, der für die Christen schon gekommen sei. Die jüdische Religion sei durch die „Lehre Christi ersetzt worden“.

Herzl konterte erfolglos: „Die Schrecken u. die Verfolgungen waren vielleicht nicht die richtigen Mittel, um die Juden zu belehren.“ Unbeirrt fuhr Pius X fort: „Erst nach drei Jahrhunderten war die Kirche entwickelt. Die Juden hatten also Zeit, sich ohne Druck zu seiner Gottheit zu bekennen. Aber sie taten es nicht, sie tun es noch heute nicht.“

In diesem Stil ging es weiter, bis Herzl sich verabschiedete, erneut ohne die Hand des Papstes zu küssen.

Weder Herzl noch der Papst waren sich der Tragweite dieses Gesprächs bewusst. Sie konnten nicht ahnen, dass nur 40 Jahre später die Juden dem schlimmsten Völkermord der Menschheitsgeschichte zum Opfer fallen würden. Und selbst, nachdem als sich Herzls Traum der Errichtung eines jüdischen Staates erfüllt hatte, nur drei Jahre nachdem die Krematorien von Auschwitz erloschen waren, hielt der Vatikan an seiner von Papst Pius X vorgetragenen Politik der Nichtanerkennung des jüdischen Volkes fest. Der Vatikan lehnte den Zionismus als Nationalbewegung der Juden ab und verweigerte bis 1993 dem jüdischen Staat die diplomatische Anerkennung.

Erst nach den Osloer Verträgen zwischen Israel und der PLO unter Jassir Arafat war auch der Vatikan politisch in Zugzwang geraten, seine fast 2000-jährige anti-jüdische Politik der Verfolgung und Nicht-Anerkennung zu revidieren.

Der Sinneswandel in Rom hatte 1962 mit „Nostra Aetate“ begonnen. Trotz Gesten der Vorgänger von Papst Franziskus und einem intensiven „Dialog“ mit dem Judentum, sind längst nicht alle theologischen Vorbehalte ausgeräumt.

Mit der Kranzniederlegung am Grabe Herzls hat der Papst nach 110 Jahren immerhin diesen Kreis geschlossen und die Anerkennung Israels als Staat der Juden vervollständigt.

 

1 Kommentar

  1. Herzls Audienz bei Pius X. kannte ich bis anhin nicht, ist aber fast unglaublich. Die Aussagen von Pius X. sind insofern schrecklich, als sie nur einige Jahrzehnte zurückliegen! Allerdings dürfen wir Juden nicht vergessen, dass in der Zwischenzeit einiges an Positivem passiert ist. Und dass der heutige Papst gerade auch das Grab von Herzl besucht und dort einen Kranz niederlegt, bestätigt und illustriert diese neue Sicht des Katholizismus aufs Judentum!

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