Die NZZ über Israels „intransparente Macht“

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Ein Tourist, der die Schweiz nur von Bergtouren kennt, würde selbst einen Bericht über das Bankenviertel in Zürich mit Musik vom “Schwyzerörgeli” untermalen und mit Fotos von Alphornbläsern garnieren. Genauso hartnäckig hält sich das Klischee, dass Juden in Israel ausschliesslich schwarze Hüte tragen und Klezmer spielen. Die NZZ- Korrespondentin Monika Bolliger hat sich mit  Enthusiasmus auf den Brennpunkt des Nahostkonflikts gestürzt: Jerusalems Tempelberg. Dieser wird von Muslimen übrigens „Haram Asch Scharif“, das „erhabene Heiligtum“ genannt, und nicht nur „Aksa“. Shofarbläser

Unter dem Titel „Provokationen auf dem Tempelberg. Brandstifter am Mittelpunkt der Welt“ (NZZ, 28.02.2014) hat die Redaktion der NZZ den Bericht geschmackvoll mit einem Bild ultraorthodoxer Ostjuden und der goldenen Kuppel des Felsendoms geschmückt. Das Foto illustriert eine Fata Morgana der sprachgewaltigen Journalistin: „Israels Nationalreligiöse fordern immer lauter Souveränität auf dem Tempelberg, wo auch das muslimische Heiligtum der Aksa liegt.“ Schon mit der Überschrift stellt sie klar, dass Juden provozieren und die „Brandstifter am Mittelpunkt der Welt“ sind. Dass diese schwarzberockten Ostjuden mit den grossen Hüten und Schläfenlöckchen erbitterte Widersacher der „Nationalreligiösen“ sind, scheinen weder Bolliger noch die Redaktion zu wissen.

Tatsächlich liegt die Souveränität, also die staatliche Hoheit, seit der Eroberung und Annektierung Ost-Jerusalems 1967 bei Israel. Seither sind israelische Polizisten an den Eingängen zum Tempelberg postiert und es befindet sich eine Polizeistation auf dem Gelände. Die „Nationalreligiösen“ sind nicht identisch mit dem „Tempel-Institut“ wie der Artikel suggeriert. Und neben dem muslimischen Heiligtum der Aksa Moschee befindet sich „auch“ das jüdische Allerheiligste, wo einst der von den Römern im Jahr 70 n.Chr. zerstörten salomonischen Tempels gestanden hat. Drei Ungenauigkeiten allein im Leitsatz des Artikels!

Im Zentrum des NZZ Berichts steht ein Besuch beim sogenannten „Tempel-Institut“. Das ist die politische Schau einer extremistischen Randgruppe, die im Widerspruch zum Staat Israel, der Mehrheit der Israelis, des Rabbinats und orthodoxer Juden den Neubau des zerstörten Tempels bewirbt. Bolligers Gesprächspartner, der Fundamentalist Yehuda Glick, wartet nach eigenen Angaben sehnlich auf die Ankunft des Messias. Dann fällt der fertige Tempel vom Himmel. Um für diesen Augenblick gewappnet zu sein, hat das Institut vorsorglich alle Gerätschaften für die sofortige Erneuerung des Tempeldienstes rekonstruiert. Das „Institut“ ist bestenfalls ein Kuriosum. Diese touristische Attraktion zieht zudem nicht nur Amerikaner mit Turnschuhen an, sondern auch christliche Pilger. Fasziniert könne diese Modelle der Tempelgeräte, Harfen Davids und Priestergewänder aus jener Zeit bewundern, als Jesus im Tempel lehrte.

Genauso wie die Juden auf das Ende der Tage und die Ankunft ihres Messias warten, rechnen auch Christen jederzeit mit dem „Jüngsten Tag“ und der Rückkehr ihres Messias Jesus. Moslems glauben an den Mahdi, dessen Ankunft zumindest gemäss Fundamentalisten wie dem ehemaligen iranischen Präsidenten Ahmadinidschad durch atomares Chaos in der Welt beschleunigt werden könnte. Drei parallele Glaubenssätze, wobei die NZZ nur bei Juden „Provokateure“ und „Brandstifter“ ausmacht.

Der Jerusalemer Tempelberg wird von der muslimischen Behörde Wakf verwaltet, während Israel die Souveränität hält. Gemäss israelischem Verständnis von Religionsfreiheit, wonach alle Heiligen Stätten für Angehörige aller Religionen zugänglich sein sollten, hat Israel den Wakf nach der Eroberung Ostjerusalems 1967 erstmals nach 1.300 Jahren gezwungen, das heilige Areal auch „Ungläubigen“ zu öffnen, jüdischen wie christlichen Touristen.

Sahm_Tempelberg Polizisten
Israelischer Polizist auf dem Tempelberg Foto: Ulrich Sahm

Aus Rücksicht auf „muslimische Gefühle“ hat Israel jedoch nicht-muslimischen Besuchern die Ausübung religiöser Riten verboten. Die israelischen Polizisten am Mughrabi-Tor, dem einzigen Zugang für Nicht-Muslime, durchsuchen die Taschen der Besucher nach Sprengstoff und Waffen, sowie Bibeln und Gebetsbüchern. Die gelten hier als besonderer Explosivstoff und werden deshalb konfisziert. Bolliger lässt unkommentiert ein Zitat von Glick stehen, wonach „extremistische Moslems“ die Regel der Taschendurchsuchungen „bestimmt“ hätten. Das ist jedoch faktisch falsch ist, da die Polizisten auf Weisung der Regierung und nicht des Wakf handeln. Es sollte eigentlich nicht die Aufgabe einer NZZ-Korrespondentin sein, falsche oder politisch motivierte Behauptungen irgendwelcher Extremisten ungeprüft im Raum stehen zu lassen. ‘

Der Anlass für Bolligers Bericht war die Aufregung in der arabischen Welt, ausgelöst durch israelische Abgeordnete. Diese forderten, auch Juden Gebete auf dem Tempelberg zu gestatten. Doch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat schon erklärt, dass sich an dem „Status Quo“ nichts ändern werde. Damit hat sich auch die Aufregung in der arabischen Welt wieder gelegt, bis zum nächsten Anlass.

Bolliger betreibt eine absurde Geschichtsklitterung, wenn sie schon für die Zeit der Gründung Israels 1948 die Entstehung einer „neuen jüdischen Strömung“ postuliert, „deren Verfechter sich von einer Randgruppe zu einer breiten Bewegung entwickelt“ hätten, jüdische Gebete auf dem Tempelberg zuzulassen. Sie vergisst, dass der Tempelberg bis 1967 für Juden jenseits der alten Waffenstillstandslinie in Jordanien unerreichbar war.

Die muslimische Verwaltungsbehörde Wakf auf dem Tempelberg wird von Jordanien finanziert und geleitet, während die Palästinensische Autonomiebehörde PA dort bisher keinerlei Vollmachten hat. Die Hüterschaft des jordanischen Königs hat Jitzhak Rabin im Vorfeld des Friedensvertrags mit Jordanien bestätigt. Auch PA-Präsident Mahmoud Abbas hat Jordaniens Vorrecht inzwischen anerkannt.

Die Klagemauer ist nicht die „zentrale heilige Stätte des Judentums“, weil sie „die nach Überlieferung erhalten gebliebene westliche Grenzmauer des Tempelkomplexes“ sei, wie Bolliger schreibt. Sondern Juden beten dort, weil die Muslime und zuvor Römer und Christen ihnen das Betreten des Tempelbergs verboten haben und nicht, weil sich das „während Jahrhunderten etabliert“ habe. Ein ähnliches Verbot hat sich auch in Mekka und Medina in Saudi Arabien „etabliert“. Die Klagemauer ist dem jüdischen Allerheiligsten – das sich im zerstörten salomonischen Tempel befand – am nächsten und deshalb eine Art stellvertretendes Heiligtum. Unklar ist, wieso Bolliger hier von „Überlieferung“ spricht, als gäbe es keine historischen Fakten. Es ist kein Ruhmesblatt für die NZZ, sogar die archäologisch nachgewiesene Existenz des Tempels in Frage zu stellen und die mächtigen, vor 3.000 Jahren durch Salomon und dann von König Herodes vor 2.000 Jahren aufgeschichteten Steinquadern als „Überlieferung“ darzustellen.

Muslime werden von Bolliger nicht als „Provokateure“ und „Brandstifter“ bezeichnet, obgleich sie kräftig bemüht sind, jegliche Spuren dieser jüdischen Vergangenheit zu zerstören, abzutragen und per Lastwagen auf Schutthalden zu entsorgen. Allein die Juden seien Provokateure, wenn sie ihre Religionsfreiheit einfordern.

Der Vorschlag israelischer Abgeordneter, die Verwaltungsvollmacht des Wakf zu beschränken, hat auch praktische Hintergründe, wie die Rettung von Weltkulturerbe. Denn im Islam geht man recht unbekümmert mit archäologischem Erbe um, siehe die Buddha-Figuren in Afghanistan, historische Städte wie Aleppo in Syrien und sogar das geplanten Schleifen des Geburtshauses des Propheten Mohammad in Mekka.

Laut Bolliger sei die zweite Intifada (Oktober 2000) ausgebrochen, „als der damalige Oppositionsführer Sharon mit einer Polizeieskorte demonstrativ auf dem Tempelberg spazierte“. Zweifelsfrei belegt ist, dass die palästinensische Behörde dem Besuch Scharons auf dem Tempelberg formal zugestimmt hat und dass Jassir Arafat den „Spaziergang“ lediglich als Startzeichen für den von langer Hand vorbereiteten blutigen Aufstand missbraucht hatte.

Es gäbe noch viele weitere Kritikpunkte. Bolliger verliert kein Wort darüber, dass schon 1929 Hitlers Freund, Mufti Hadsch Amin el Husseini, Pogrome gegen Juden provozierte, indem er Muslime mit antijüdischen Verleumdungen wegen des Tempelbergs aufgestachelt hat.

Bolliger zitiert einen namenlosen Palästinenser, der ihr offenbar den ideologischen Leitfaden für den Artikel vorgegeben haben: „Das Gefühl, einer intransparenten Macht ausgeliefert zu sein, welche sie (die Muslime) wegdrängen möchte, befeuert wilde Verschwörungstheorien, einschliesslich Ideen einer heimlichen jüdischen Weltregierung.“

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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5 Kommentare

  1. Die NZZ hier in ihrer Gesamtheit als anti-israelische, pro-palästinensische und inkompetente Zeitung zu betrachten, widersteht mir zutieftst. Die NZZ bemüht sich um eine ausgeglichene Berichterstattung, ganz im Gegensatz zum Tagesanzeiger, dessen in höchstem Grade antisemitischen Äusserungen längst nicht mehr publiziert werden sollten. Sie machen hier eine Mücke zu einem Elephanten

  2. @Alexander Scheiner: Ich bin (nur) zum Teil mit Ihnen bezüglich der Beurteilung von M. Bolliger und ihrer Israel-Berichterstattung einverstanden. Dieser Artikel über den Tempelberg ist in der Tat aber ein "journalistischer Pfusch", bei dem eine seriöse Recherche der entsprechenden Thematik einfach fehlt! Schlimmer und wesentlich problematischer jedoch als M. Bolliger betrachte ich die generelle Einstellung der NZZ-Chefredaktion bezüglich Israel und dem ganzen Palästinakonflikt!

  3. Welch ein Glück, dass es einen Ulrich Sahm gibt, und jemanden der sein wunderbaren Artikel veröffentlicht.
    Hoffentlich gibt es auch viele Leser.

    Danke lieber Herr Sahm

  4. Leider ist in der Schweiz Antisemitismus, auch versteckt hinter Israelkritik, Antizionismus, Antiisraelismus und Human-Rights, politisch und gesellschaftlich durchaus tragbar geworden. Um ihre Auflage zu stützen, quirlt auch die NZZ in der braunen Gülle fleissig mit.
    Den ihr lieb gewordenen Bock hat die „Journalistin“ Bollinger wieder einmal abgeschossen. Nicht genug, dass sie von Israel und arabischen Ländern keine Ahnung hat, ihre Berichte sind schlicht unwahr, verdreht und lassen bereits bewiesenen Tatsachen einfach unbeachtet. Mit ihren Berichten stützt sie konsequent die anti-israelische Seite und ist damit als Journalistin eine Freude für den antisemitischen NZZ-Leser.
    PS: Als betroffener Leser bemühe ich mich um korrektes Deutsch, jedoch nicht um sogenannte politische Korrektheit. Ich kein Politiker.

  5. Dass die NZZ – gelinde gesagt – weder besonders juden-und/oder israelfreundlich ist, das ist bekannt. Dass ihre Korrespondenten dermassen unwissend sind über die Orte, wo sie seit Monaten, wenn nicht Jahren leben, ist für eine Qualitätszeitung erstaunlich. Auch wenn diese Unwissenheit nur in Bezug auf den Nahen Osten und da vor allem auf Israel besteht. Oder ist das keine Unwissenheit, sondern gewollte Desinformation? Auch das würde mich nicht wundern, "liebe" NZZ.
    lg
    caruso

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