Der Anschlag auf die iranische Botschaft in Beirut: Zwei Fliegen mit einer Klappe

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Der Konflikt in Syrien ist innerhalb von zwei Jahren von gewaltlosen, politischen Demonstrationen zu einem militarisierten und konfessionell geprägten Bürgerkrieg angewachsen, der bis heute andauert. Darüber hinaus wurde der Syrienkonflikt durch die massive Einmischung von aussen in einen regionalen Stellvertreterkrieg verwandelt. Das ist nicht nur bedingt durch die humanitäre Krise in Syrien, die der Konflikt ausgelöst hat und dem politischen und ökonomischen Druck, mit dem sich Syriens Nachbarn konfrontiert sehen, während sie versuchen, die stetig steigende Zahl an Flüchtlingen zu akkommodieren. Vor allem jedoch droht mit dem Krieg in Syrien die Destabilisierung des gesamten Nahen Ostens. Der Anschlag vom 19. November 2013 auf die iranische Botschaft in Beirut ist ein Beispiel für den stetig wachsenden Preis, den die Region für den syrischen Bürgerkrieg bezahlt. Oder einfach gesagt: Der Glaube, dass ausländische Akteure im Syrienkonflikt sich aktive beteiligen können ohne bei sich zuhause Kosten dafür abzurechnen, wurde zerschmettert.

Der Libanon ist im Besonderen betroffen: Der syrische Bürgerkrieg hat die bereits wankenden Beziehungen zwischen den politischen und konfessionellen Kräften, die sich entweder im Widerstand gegen Assad befinden, wie die „14. März-Koalition“, oder ihn unter Anführung der Hisbollah unterstützen, noch weiter verschlechtert. Das erschwerte die Beziehungen zwischen den sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften im Libanon und führte zu einem politischen Stillstand.

Darüber hinaus hat der syrische Bürgerkrieg ein Gefühl von Hilfslosigkeit und Unmut in der sunnitischen Gemeinschaft weiter angefacht, zumal die wichtigste politische Figur im Libanon Saad Harari, sich im Ausland aufhält. Das führte zu einer Stärkung radikaler Salafistenprediger, die einen Einfluss auf die zunehmenden Anzahl libanesischer Sunniten haben, die am syrischen Bürgerkrieg teilnehmen. Angesichts dessen sollte der Selbstmordschlag vom 19. November in Beirut, für den der libanesische Ableger der Abdullah Azzam-Brigaden die Verantwortung übernahm, als äusserst besorgniserregend betrachtet werden. Die Abdullah Azzam-Brigaden sind mit Al Qaida verbunden und seit 2009 in der Region aktiv ist und über verfügen wie im Libanon über einige lokale Ableger.

Die Hisbollah im Libanon und ihre lokalen Unterstützer stehen zunehmend Herausforderungen salafistisch-jihadistischer Gruppen gegenüber, die Angriffe auf die Organisation aktiv planen und durchführen. Damit beabsichtigen sie die Hisbollah für ihre Involvierung im syrischen Bürgerkrieg zu bestrafen und sie von der fortwährenden militärischen Unterstützung des Assad-Regimes abzuschrecken. Bereits in der Vergangenheit zündeten diese Gruppen Autobomben und feuerten Raketen auf die Hisbollah Hochburg in Südbeirut, das Dahiya Quartier, sowie in das Beka-Tal. Durch Angriffe auf die von der Hisbollah kontrollierten Gebiete wollen die Jihadisten sowohl der Organisation physischen Schaden zufügen, als auch den Mythos ihrer Unverletzbarkeit brechen.

Der Angriff auf die iranische Botschaft steht somit für einen neuen Höhepunkt der Herausforderung der Hisbollah durch die Jihadisten und ist als eine deutliche Warnung zu verstehen: Nicht nur ist die Hisbollah in ihrem eigenen Land nicht mehr sicher, auch sind die Kapazitäten der Gruppe zum Schutze ihrer eigenen Verbündeten anzuzweifeln. Mit dem Anschlag konnten die Angreifer ihre Macht demonstrieren und den Mythos der militärischen Unbesiegbarkeit der Hisbollah und des Iran schwächen. Schliesslich repräsentiert der Anschlag auf die Botschaft eine Entwicklung und Eskalierung im modus operandi der jihadistischen Gruppen, nicht nur wegen des Einsatz von Selbstmordattentätern – ein eindeutiges Markenzeichen der Al Qaida – sondern auch weil der Angriff auf das diplomatischen Anwesen des Iran einer Kriegserklärung gegen die Hisbollah und ihren mächtigen Schirmherrn in Teheran gleichkommt.

In der Vergangenheit reagierte die Hisbollah auffallend zurückhaltend auf Angriffe gegen ihre Gemeinschaft. Generalsekretär Hassan Nasrallah rief zu Besonnenheit und dem Vermeiden von direkter und gewalttätiger Reaktionen innerhalb des Libanon auf. Erstmalig wurde sogar der libanesischen Armee erlaubt, das Dahiya-Quartier zu betreten. Nasrallahs Strategie ist, die Ruhe im Libanon aufrechtzuhalten und zugleich an Assads Seite in Syrien weiterzukämpfen. Der Hisbollah-Anführer hat mehrfach wiederholt, dass seine Organisation keine Ausdehnung der Konfrontation zwischen pro- und anti-Assad Kräften auf den Libanon wünscht. Zugleich aber, während einer seiner jüngsten Reden anlässlich des Ashura-Festes, bekräftigte der Generalsekretär seine Entschlossenheit, den Kampf fortzuführen und das syrische Regime bis zum Sieg Assads über die Rebellen zu unterstützen. Trotz den Aufrufen zu Besonnenheit innerhalb des Libanon hat die Hisbollah-Rhetorik wenig dazu beigetragen, die Situation entschärfen. Viel mehr hat die Organisation einen zunehmend antagonistischen und sektiererischen Ton angeschlagen, um ihre Entscheidung zur Intervention in Syrien zu rechtfertigen. Nasrallah warnte mehrfach vor der Gefahr der syrischen gegen Assad gerichteten „takfir-Opposition“ [takfir steht für die Praxis, einen Muslimen zum Ungläubigen zu erklären, Anm. Audiatur].

Der Hisbollah-Mix aus Trotz und Aufrufe zur Besonnenheit hat nicht dazu beigetragen, die Kritik der Anti-Assad-Gruppen im Allgemeinen und der Salafisten im Besonderen abzuschwächen. Die Kritik an der Einmischung der Hisbollah in Syrien wurde besonders ersichtlich, nachdem sich die direkte militärische Unterstützung für das Regime bei der Sicherung der Kontrolle über den strategisch bedeutenden Ort al-Qasayr im Westen Syriens als entscheidend erwies. Daraufhin hat sich  das salafistisch-jihadistische Lager entschieden, den Krieg direkt zur Hisbollah zurückzutragen, nicht zuletzt weil sie meint, dass die Hisbollah beabsichtige, den Präzedenzfall von Qusayir bei der Schlacht um Qalamoun zu wiederholen. Sollte das Assad-Regime den Kampf um dieses Gebiet gewinnen, wäre dies ein Wendepunkt im Bürgerkrieg.

Der Angriff auf die iranische Botschaft ist also eine neue Stufe in einem gefährlichen Radikalisierungsprozess, begleitet von den sich graduell verschlechternden Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Gemeinschaften. In unmittelbarer Zukunft wird das den Libanon in eine extrem prekäre Situation versetzen: es besteht das Risiko einer anhaltenden internen Paralyse, sowie einer verheerenden sozioökonomischen Krise und einer Erosion des fragilen Sozialgefüges des Landes. Ein ausgewachsener Bürgerkrieg liegt nicht im Interesse der wichtigsten politischen Akteure –  Hisbollah – des Libanon, doch könnten radikalisierte Al Qaida-Anhänger das Land in eine neue Spirale der internen Gewalt stossen.

Für die Hisbollah wird es künftig zunehmend schwieriger und verlustreicher, gleichzeitig ihre militärische Intervention in Syrien und ihr ziviles Engagement im Libanon aufrechtzuerhalten. Der Selbstmordanschlag in Beirut hat dem Mythos den Garaus gemacht, dass Gruppen wie die Hisbollah und ihre Schirmherren wichtige Akteure in einem externen Konflikt sein und sich immer noch vor Vergeltung schützen können.

Das Schlachtfeld des Stellvertreterkrieges hat sich ausgeweitet. Er wird hauptsächlich weiterhin in Syrien ausgetragen, doch ist es unmöglich, die regionale Ausweitung des Konfliktes weiter zu negieren. Der Bürgerkrieg, der keine Anzeichen auf ein baldiges Ende zeigt, wird weiterhin einen negativen Einfluss auf die konfessionellen Beziehungen in der gesamten Region haben; radikale Gruppierungen wie jene, die hinter dem Attentat auf die iranische Botschaft steht, werden weiter operieren und zwar mit zunehmender Stärke und mehr Mitgliedern.

Aus Israels Perspektive sind die anhaltenden Spannungen zwischen dem Iran, der Hisbollah und dem transnationalen Jihadisten-Netzwerk nicht zwingendermassen eine positive Entwicklung. Wie der Anschlag gezeigt hat, können Instabilität und Extremismus exportiert werden und der Aufstieg eines salafistisch-jihadistischen Lagers, aktiver, organisierter und entschlossener handelt, wird für Israel über längere Zeit Probleme schaffen.

Originalversion: The Bombing of the Iranian Embassy in Beirut: Hitting Two Birds with One Stone by Yoram Schweitzer & Benedetta Berni, © INSS Insight No. 488, November 21, 2013.

Wie aktuell die Einschätzungen der beiden Autoren insbesondere auch bezüglich Israel ausfallen, zeigte sich just vor einigen Tagen, als im Westjordanland ein Terroranschlag durch Salafisten vorzeitig verhindert wurde:

Jerusalem Post: Israeli special forces kill 3 Salafi jihadi terrorists in West Bank, 26. November 2013.

Times of Israel: Salafist jihadist, until now unknown in West Bank, rear their heads, 27. November 2013.