Am besten, der Jude ist an allem schuld

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Recep Tayyip Erdogan. Foto Cologny - World Economic Forum Annual Meeting Davos 2006. Lizenziert unter CC BY-SA 2.0 über Wikimedia Commons.
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Anfang Juli sorgte der türkische Vize-Regierungschef Besir Atalay für einige Aufregung, als er verkündete, wer hinter den wochenlangen Protesten gegen Erdogan von Anfang Juni steckte: Die jüdische Diaspora, die gemeinsam mit der „internationalen Presse“ und anderen „ausländischen Kräften“ mit einer „Verschwörung“ versucht habe, die Türkei zu destabilisieren. „Ein krasser Fall von Antisemitismus“, wie man auch beim Tagesanzeiger weiss.

Nun steht Atalay keineswegs allein mit dieser Meinung da. Bereits Mitte Juni hatte Erdogan vor der „Finanzlobby“ und „ausländische „Aktienspekulanten“ gewarnt, die sich über Jahre „am Schweisse seines Volks bereichert“ hätten. Während ein Grossteil von Erdogans Anhängerschaft diese Chiffren ohne jede Mühe entziffert haben dürfte, hilft Atalay noch dem dümmsten AKP-Wähler und dem unbedarftesten Journalisten aus Westen auf die Sprünge: Die Juden – wer sonst – sind schuld.Ganz offensichtlich  ist diese Denkweise in der Region weit verbreitet. In Syrien stecken die „Zionisten“ wahlweise mit den Rebellen oder mit dem Assad-Regime unter einer Decke und auch während den Protesten gegen Mubarak vor über zwei Jahren und nun gerade gegen Mursi (jener Mursi, der Juden öffentlich als „Affen und Schweine“ bezeichnete) wusste zumindest ein Teil der Demonstrierenden sehr genau, wer denn da im Hintergrund schaltet und waltet.

Verschiedene Wissenschaftler haben auf die Implikation hingewiesen, die eine solche Denkweise mit sich bringt. Dan Diner formuliert es in seinem 2005 erschienen Buch „Versiegelte Zeit – Über den Stillstand in der islamischen Welt“ mit Bezug auf Bassam Tibi folgendermassen: „Diese Art der Selbstdeutung enthüllt ein erhebliches Säkularisierungsdefizit, weil sich die Bilder von Komplott und Verschwörung an die Stelle einer sozialwissenschaftlich angeleiteten Aufklärung über Phänomen gesellschaftlicher Komplexität setzen. Nach dieser Betrachtungsweise ist für die Ränke und Machenschaften der durch den Westen ins Herz der arabischen Welt implantierte jüdische Staat Israel ursächlich.“

Zwar finden Verschwörungstheorien auch im Westen ihre Anhänger, verglichen damit sind sie in der arabisch-muslimischen Welt geradezu prävalent und zirkulieren längst nicht nur in zweifelhaften Internetforen und den dazugehörigen Stammtischen. Bassam Tibi hat bereits 1993 in „Die Verschwörung, das Trauma arabischer Politik“ verdeutlicht, dass längst nicht nur militärische Niederlagen als Verschwörung von aussen interpretiert werden, sondern etwa auch wirtschaftlicher Misserfolg.

Es ist nimmt deshalb auch nicht weiter Wunder, dass das antisemitische Machwerk „Die Protokolle der Weisen von Zion“ in der arabischen Welt eine hohe Beliebtheit geniesst, genauso wie entsprechende TV-Adaptionen. Nicht zuletzt haben aber auch die Orientalismus-These von Edward Said und der darauffolgende „postkoloniale Diskurs“ dazu beigetragen, dass diese Denkweise fortbesteht: Einerseits wird der Kolonialismus als alleiniger Verursacher allen Übels benannt – eine These, die auch in der westlichen Hemisphäre an Akzeptanz gewonnen hat. Andererseits werden jegliche Auseinandersetzungen mit den Defiziten in der arabischen Welt schon im vornerein verunmöglicht und solche „westliche Zumutungen“ als neokolonialistischer Akt diskreditiert.

Dan Diner ist zuzustimmen, wenn er die fehlende Säkularisierung als eine der Hauptgründe für die Probleme in der muslimisch-arabischen Welt vermutet. Der „arabische Frühling“ hat denn auch demonstriert, dass diesen Defiziten nicht einfach mit demokratischen Wahlen beizukommen sind. Im Gegenteil, gerade diese Denkweise, die in allem Übel eine Verschwörung von aussenstehenden Kräften zu erkennen glaubt, ist eines der grössten Hindernisse für eine erfolgreiche demokratische Transformation der Region. Insofern ist es auch kein gutes Zeichen, dass Verschwörungsdenken unter den Machthabern der Türkei – einst das vermeintliche Paradebeispiel für einen laizistischen Staat – derzeit Hochkonjunktur zu haben scheint. Neben Erdogan und Atalay hat sich gerade der AKP-Sprecher Hüseyin Çelik dementsprechend geäussert. Gegenüber Journalisten sagte er, „einige westliche Länder“ seien für den ägyptischen Militärcoup verantwortlich, in dem sie zuerst die Protestierenden mobilisiert und dann den Machtwechsel inszeniert hätten.

Über Michel Wyss

Michel Wyss ist freischaffender Analyst bei der Audiatur-Stiftung und beschäftigt sich hauptsächlich mit Sicherheitspolitik im Nahen Osten. Er absolviert derzeit ein MA-Studium in Government mit Fokus auf Internationale Sicherheit am Interdisciplinary Center in Herzliya, Israel und ist als Research Assistant beim International Institute for Counterterrorism (ICT) tätig.

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2 Kommentare

  1. Freitagsgebet am 28. Juni 2013 in der Omayyaden Moschee in Damaskus (wurde im syrischen Fernsehen ausgestrahlt): Um Einfluss auf die Welt zu gewinnen und ihre Wünsche umzusetzen, haben die Juden zwei grundlegende Ziele gesetzt: 1. die Völker der Welt zu trennen, sie gegeneinander auszuspielen und einen Krieg zu entfachen und innere Unruhen auszulösen; 2. die Völker der Welt auseinanderzureissen, ihre denkbilder, moralischen Werte und Gesetzes zu zerstören und von Allahs Weg abkommen. http://youtu.be/RhwdxVRShMA

    Das lässt wohl wenig Freiraum für andere Übeltäter!

  2. Gibt es etwas mehr oder weniger Schlimmes in der Welt, woran
    nicht der "Jud'" schuld ist?
    lg
    caruso

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