Eine merkwürdige Allianz – Überlegungen zum Islam, Iran und der Linken

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Massendemonstration 1978, Foto XcepticZP. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons.
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Einst bildeten radikale Muslime und Linke im Iran eine “merkwürdige Verbindung”. Geeint durch ihre Ablehnung des Schahs war eine Allianz zwischen ihnen eine natürliche Entwicklung. Nir Boms und Shayan Araya erkunden historische Zusammenhänge dieses Phänomens.

„Das ist die merkwürdigste Verbindung, die man sich vorstellen kann“, sagte der israelische Ministerpräsident Netanyahu auf CNN, als er die Allianz zwischen der radikalen Linken in Europa und dem radikalen Flügel des Islam beschrieb. „Radikale Muslime steinigen Frauen, exekutieren Homosexuelle, sind gegen Menschenrechte, gegen Feminismus usw.  Die radikale Linke sollte eigentlich für das Gegenteil einstehen.“

Wenn man Netanyahus Worten lauscht, könnte man annehmen, dass diese Verbindung zwischen der radikalen Linken und dem radikalen Islam ein neues Phänomen ist. Doch so besorgniserregend diese auch sein mag, neu ist sie sicherlich nicht. Vor mehr als drei Jahrzehnten verhalf diese „merkwürdige Verbindung“ aus Linken und islamistischen Radikalen zum Triumph der Islamischen Revolution im Iran, die den iranischen Monarchen stürzte und 1979 die Herrschaft des mittlerweile verstorbenen Schahs beendete. Die Allianz aus Linken und Islamisten spielte eine entscheidende Rolle beim Aufbau der Islamischen Republik Iran, deren Gründer Ayatollah Khomeini sie unterstützte. Dieser wiederum dezimierte flugs seinen einstigen Verbündeten, die radikale Linke.

Die Wurzeln dieser Allianz reichen jedoch weiter zurück und zwar auf die Gründung der säkularen und pro-westlichen Pahlavi Dynastie im Iran. Doch erst 1963, eine Zeit der Reform im Iran, reichten sich radikale Islamisten im Iran und radikale Linke die Hand und formten eine konkrete Allianz, die später mit Ayatollah Khomeini nach Europa emigrieren sollte.

Modernisierung und ihre Verbündeten

1963 war das Jahr der „Weissen Revolution“ im Iran. Diese umfasste einige Reformen, die das Land in wichtigen Bereichen modernisieren sollte: eine Landreform, Bildung, der Status der Frau und Wirtschaft. Es war ein ehrgeiziges Unterfangen, das allerdings nicht vollumfänglich umgesetzt wurde. Das Programm sah folgende Reformen vor: eine Landreform, die das alte Feudalsystem abschaffen sollte; die Nationalisierung der Wälder; Privatisierung und Verkauf von staatseigenen Betrieben an den Privatsektor; Implementierung eines Gewinnbeteiligungsplanes für Industriearbeiter und die Gründung von Abteilungen für Alphabetisierung, Gesundheit und Wiederaufbau und Entwicklung zur Verbesserung des Dorf- und Landlebens.

Mit der Weissen Revolution erhielten Frauen das Wahlrecht, das Heiratsalter wurde auf 18 angehoben und der rechtliche Status von Frauen bei Scheidung und im Sorgerecht wurde verbessert. Zum Vergleich: In der Schweiz wurde das Frauenstimmrecht erst 1971 eingeführt (und im Kanton Appenzell sogar erst 1990!). Natürlich waren diese Ideen nicht frei von Fehlern und Problemen. Doch weshalb schloss sich die iranische Linke im Iran der Opposition an, um die Modernisierung zu stoppen?

Einige Kleriker im Iran opponierten gegen diese Reformen, weil diese unislamisch seien. Ayatollah Khomeini führte die Opposition an und initiierte am 5. Juni 1963 einen Aufstand. Im Verlauf der Zusammenstösse gelangen es den Behörden den Widerstand unter den religiösen Studenten im Seminar in Qom niederzuschlagen, wobei einige Studenten getötet wurden. Khomeinis Aktivitäten führten ihn 1964 schliesslich ins Exil im Irak. Es mag zwar einfach sein, seine Beweggründe zu verstehen, schliesslich war Khomeini ein Islamist, der entschieden gegen jegliche Versuche war, von islamischen Doktrinen abzukehren, sowie gegen eine pro-westliche Agenda. Aber dies erklärt nicht, wie die drei anscheinend widersetzlichen Lager – die religiöse Rechte, die liberale Linke und die radikale Linke – unter einer Ägide zusammenfanden.

Es geht um Land, Dummkopf!

Betrachtet man die Reformen zwischen 1963 und 1978 scheint es schwierig, die Motivation ihrer Gegnerschaft unter den Linken zu begründen. Dazu sollte die Wahrnehmung und Interpretation der Weissen Revolution seitens der Linken und Liberalen im Iran und später auch im Ausland analysiert werden.

Ironischerweise war der Auslöser für diese „merkwürdige“ Allianz das Programm zur Landreform, das den Feudalismus beseitigen sollte. Die Regierung kaufte von den feudalen Grundherren Land zu einem was als fair betrachteten Marktprei. Später verkaufte die Regierung dieses Land wiederum an Bauern, die dieses Land seit Generationen bestellt hatten zu 30% unter dem Marktpreis und mit staatlichen Krediten zu niedrigen Zinsen und 25-jähriger Laufzeit. Mithilfe dieses Plans konnten Millionen von Bauernfamilien ihr eigenes Land besitzen, das sie seit Generationen kultiviert hatten. Das Programm zur Landreform brachte Freiheit und relativen Wohlstand für Millionen von Bauern und dem Schah eine Welle der Beliebtheit.

Radikale Muslime hatten aus mehreren Gründen etwas gegen die Landreform. Die Mullahs waren im Kollektiv einer der grössten Landbesitzer im Iran und konnten der Vorstellung, dass ihr unrechtmässig erworbenes Land an Bauern verteilt werden sollte, selbstverständlich nichts abgewinnen. Auch erfüllte sie die Vorstellung einer säkularen Regierung und Monarchen, die unter ihren Kernwählern – arme, doch konservativ und gottesfürchtige Bauern –  an Beliebtheit gewannen mit grossem Unbehagen. Schliesslich wollten sie nicht, dass die Landreform zudem einen ihrer engsten Verbündeten und finanziellen Unterstützer schwächt: Feudalfamilien, die seit Jahrhunderten ein wichtiger Verbündeter, sowie eine Quelle für Einkommen und Unterstützung des religiösen Establishment gewesen waren.

Diese Überlegungen brachten die Mullahs in eine heikle Lage. Einerseits konnten sie nicht direkt gegen die Landreform opponieren ohne ihr Gesicht zu verlieren und von den Massen beschuldigt zu werden, ihre eigenen finanziellen Interessen oder die ihrer sagenhaft reichen feudalen Unterstützer in den Vordergrund zu stellen. Andererseits konnte sie es aber auch nicht riskieren, ihre finanzielle und politische Grundlage zu verlieren. Das religiöse Establishment suchte logischerweise nach Argumenten gegen die Reform, angefangen beim Scharia Gesetz bis hin zu möglichen Schäden für den landwirtschaftlichen Ertrag des Landes.

Die Nationale Front, eine Gruppe Linksliberaler oder Sozialdemokraten, war in ähnlicher Weise gegen diesen Schritte. Sie wurde vom ehemaligen iranischen Premierminister Dr. Mossadegh ins Leben gerufen und war gegen die bestehende Vorherrschaft und Kontrolle des Westens über die natürlichen Ressourcen Irans. 1953 erliess Dr. Mossadegh das Nationalisierungsgesetz des Öls, was umgehend zum Verlust beinahe jeglicher britischer und amerikanischer Öleinnnahmen und im Gegenzug zu einem militärischen Putschversuch führte, der von CIA und dem MI6 ermöglicht wurde.

Doch die Mitglieder der Nationalen Front waren wegen den Ereignissen von 1953 verbittert, da die Regierung ihren Helden der Macht enthob und sie auch dem verstorbenen Schah niemals dafür vergaben. Wie die Mullahs standen auch sie in engem Kontakt mit dem feudalen Establishment. Mossadegh selbst entstammte einer aristokratischen Familie und sein Onkel, Prinz Farmanfarma, war wohl der einflussreichste Grossgrundbesitzer seiner Zeit. Die Nationale Front stand vor dem gleichen Dilemma wie die Mullahs: Wie widersetzt man sich der Weissen Revolution ohne sein Gesicht zu verlieren und wie ein Heuchler auszusehen? In einer ähnlichen Zwickmühle befand sich die radikale Linke. Zu diesen Lagern gehörten verschiedene kommunistische Gruppierungen; die grösste und zugleich älteste war die „Tudeh“ Partei, die eine unerschütterliche pro-sowjetische Haltung vertrat. Als Kommunisten konnten sie das Feudalsystem nicht verteidigen, doch lehnten sie dessen Abschaffungsvorschlag vom Schah ab, der dadurch unter ihrer grössten potenziellen Basis, den Bauern, an Beliebtheit gewonnen hätte.

Die Reformen der Weissen Revolution betrafen auch einen weiteren wichtigen Aspekt auf der Agenda der Linken – die Arbeiterrechte. Ein Reformprogramm sah beispielsweise eine Gewinnbeteiligung für Industriearbeiter vor in Form von Aktienbesitz. Ein Erfolg dieser Pläne hätte die Position der Linken bei ihrer Basis- den Bauern und Industriearbeitern – schwächen können.

Die Antwort der radikalen Linken schwankte zwischen der Unterstützung von Aspekten der Weissen Revolution, während man aber deren Umsetzung angriff bis zur kompletten Ablehnung durch Brandmarkung der Massnahmen als auferlegte amerikanische Pseudo-Reformprogramm, das die Massen hinters Licht führen und das Land schwächen sollte. Kritik an der starken Hand des Schahs betreffend interne Sicherheit und Regimezensur halfen, diese Taktik zu stärken. Der politisch kluge Khomeini, ein rangmittlerer aufsteigender Star in den klerikalen Kreisen, der die Dynamiken beobachtete, wartete der Linken mit einer Lösung des Dilemmas auf. Er empfahl dem religiösen Establishment und indirekt auch anderen, dass es zu ihrem politischen Vorteil sei, gegen die Weisse Revolution auf Verfassungsebene zu opponieren. Der Schah verabschiedete die Prinzipien seiner Weissen Revolution mit einem Volksreferendum 1963. Die Ergebnisse lösten eine Kontroverse aus, doch Khomeini brachte ein weiteres unschlagbares Argument vor: da die iranische Verfassung von 1906 keine Regelung für ein Referendum als Mittel der neuen Gesetzesverabschiedung vorgab, nannte er den gesamten Vorgang verfassungswidrig.

Teilweise hatte Khomeini recht mit seinem Argument, dass die 1906 iranische Verfassung das Thema Referendum nicht behandelt. Aber das geht an der Sache vorbei. Khomeinis Argumentationslinie bot einen goldenen Weg, der es ermöglichte, gegen die beliebten Reformen des Schahs zu opponieren ohne sich gegen die Idee dieser Reform zu stellen, die von einem grossen Teil der iranischen Bevölkerung begrüsst wurde.

Khomeinis Vorschlag gefiel der Nationalen Front und den Linken sehr gut. Schritt für Schritt, in Form eines ungeschriebenen Konsens, wurden sie von einem Narrativ angezogen, der für alle funktionierte: die Weisse Revolution wurde eine verfassungswidrige, halbherzige Reform genannt, die dem Iran von der Kennedy-Regierung auferlegt wurde. Mit dieser Lesart konnten sie die ganze Idee der Weissen Revolution angreifen sowie der Glaubwürdigkeit des Schahs und seiner Absichten Schaden zufügen ohne gegen das Prinzip von Reformen zu sein und zu riskieren, jene zu entfremden, die davon profitieren würden. Die Allianz zwischen den scheinbar oppositionellen Lagern stärkte sich im Laufe der Zeit und ermöglichte Khomeini, an politischen Einfluss zu gewinnen, sowohl im Iran als auch im Ausland.

Eine Allianz ist geboren

In Europa und den USA gab es lange Zeit eine Schwäche für revolutionäre Regimes. Aus diesem Grund waren Philosophen wie Jean-Paul Satre, Simone de Beauvoir und Michel Foucault, sowie weitaus weniger bekannte Persönlichkeiten Anführer und aktive Mitglieder eines – inoffiziellen – Unterstützungskomitees Khomeinis in Europa.

Die französischen Sozialisten unter der Führung von François Mitterrand verkündete ihre „resolute Unterstützung“ für die Bewegung. Die Sozialistische Partei Frankreichs organisierte eine öffentliche Kundgebung zur Unterstützung und ihr Geschäftsführer salutierte dem Sieg der Islamischen Revolution am 14. Februar 1979 und nannte sie „eine Volksbewegung mit aussergewöhnlicher Dimension in der zeitgenössischen Geschichte.“

Satre, Foucault und viele andere linksgerichtete Intellektuelle hatten einen gnadenlosen Hass auf die bürgerliche Gesellschaft und Kultur, kombiniert mit einer spontanen Sympathie für Randgruppen. Das scheint im Kern ihres Verhältnisses gegenüber islamischen Radikalen zu stehen. Wie sonst kann man das Verhalten von angesehene Intellektuellen wie Michel Foucault – bekennender Schwuler und Apologet sadomasochistischen Verhaltens –  erklären, die zu den enthusiastischen Unterstützern der radikal konservativen Islamischen Revolution im Iran geworden sind?

Aber Frankreich war nicht allein. Der dänische Historiker und ehemalige Trotzkist, Torben Hansen – ein weiterer Augenzeuge der iranischen Revolution – schrieb in Beiträgen für The Class Struggle über Khomeinis islamische „persische Philosophie der Rebellion“. Hansen, der schliesslich seine Meinung änderte, war so überzeugt von Khomeinis Weg, dass er sich Gert Petersen, dem Führer der dänischen sozialistischen Arbeiterpartei, anschloss und bei einer Demonstration vor der US-Botschaft und aufPersisch rief „marg bar –Amrika“, oder „Tod Amerika“.

Auch in Amerika wurden Personen wie Professor Richard Folk, Andrew Young und Senator Edward Kennedy sowie einflussreiche Liberale zu lautstarken Unterstützern oder Sympathisanten der Islamischen Revolution.

Eine wahrlich merkwürdige Verbindung

Die radikalen Muslime hassten den Schah wegen seiner säkularen Politik und westlichen Perspektive, die das traditionelle religiöse Establishment und Werte unterminierten, die sie seit 1400 Jahren förderten. Die radikale Linke hasste ihn, weil er die bürgerliche Gesellschaft symbolisierte und wegen seiner überzeugten pro-westlichen Perspektiven und seiner Allianz mit Amerika. Radikale Linke und Islamisten gleichermassen wollten ein Ende des westlichen Einflusses im Iran und betrachteten den Schah als die wichtigste Hürde in ihrem grossen Plan. Da für beide Gruppen die Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft und ein Ende des westlichen Einflusses oberste Priorität hatte, war eine Allianz zwischen ihnen eine natürliche Entwicklung.

Dr. Nir Boms ist Mitbegründer von CyberDissidents.org. Shayan Arya ist iranischer Aktivist und Mitglied der Constitutionalist Party of Iran (Liberal Democrat).

Gekürzte Fassung der Originalversion: Strange Alliances: A Rumination on Islam, Iran, and the Left by Nir Boms and Shayan Arya © Dante Magazine. April 27, 2013.

1 Kommentar

  1. was heisst hier merkwürdig? So erzählt ist die Geschichte ja noch fadengerade.

    Merkwürdig wird es erst wenn mann beifügt, dass beim erwähnten CIA/MI5 – Putsch 1953 gegen Mossadegh auch Khomeini schon mit dabei war – auf der Seite von CIA/MI5, noch nicht als grosse Nummer aber als Jungstar im Schiitischen Klerus.

    Wie bei Bin Laden war es auch hier nicht die Linke, sondern die Kolonialmächte USA und UK, die den politischen Islam zuerst hervorbrachten.

    (Das mit Hamas lasse ich auf dieser Website aus)

    Schönen Abend
    Werner T. Meyer

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