UNRWA gegen die Wiedereingliederung

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Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) hat seit den 1960er-Jahren der Wiedereingliederung palästinensischer Flüchtlinge in ihren arabischen Aufnahmeländern entgegengewirkt – obwohl das Teil ihres ursprünglichen Mandats war.[1] Wie sich die jeweiligen Interpretationen der Resolution 194 – auf die UNRWA begründet ist – verändert haben, so hat sich auch die UNRWA verändert, indem es sich auf eine Bildungsmission verlegt habe, weitläufige Neudefinitionen darüber ausgearbeitet habe, was einen Flüchtling ausmacht, und seine rechtlichen Mandate, Flüchtlinge zu „schützen“ und zu repräsentieren, ausgeweitet habe.

Verlagerung auf Erziehung

In seinem Bericht für das Jahr 1959, forderte der eintretende Leiter des UNRWA, John Davis, eine Neuorientierung des Auftrags der Institution und eine erweiterte Gewichtung auf „das Angebot allgemeiner Bildung, sowohl in Grund- und weiterführenden Schulen, […] der Lehre beruflicher Fähigkeiten und die Vergabe von Universitätsstipendien“[2], da die Flüchtlinge noch nicht autark seien.

Er stellte auch das Problem der palästinensischen Flüchtlinge in den Mittelpunkt der regionalen Angelegenheiten: „Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass jeder Aspekt des Lebens und der menschlichen Bestrebungen im Nahen Osten durch das Problem der palästinensischen Flüchtlinge bedingt ist und kompliziert wird“, schrieb er.[3] Dieser Bericht war vielleicht der erste hochrangige offizielle Hinweis auf die Absicht des UNRWA, die Flüchtlinge und sich selbst im Mittelpunkt der Nahost-Angelegenheiten zu halten.

Das Anbieten von Unterricht und Ausbildung erweiterte den Kontakt der Institution mit Flüchtlingen erheblich. Bis zum Jahr 1980 wurden über 54 Prozent der Ressourcen der UNRWA der Bildung gewidmet[4], deren Inhalte umstritten waren. Zum Beispiel fiel der didaktische Schwerpunkt der UNRWA während der 1970er-Jahre mit der Übernahme des „stufenweisen Konzepts“ zur Zerstörung Israels durch die PLO zusammen[5], das eine Verpflichtung zum Rückkehrrecht beinhaltete – ein Euphemismus für die demographische Unterwanderung Israels. Lehrbücher in den UNRWA-Schulen, und später der Palästinensischen Autonomiebehörde, sind für die Vertretung antiisraelischer, antisemitischer, antiwestlicher und Antifriedensthemen unter vernichtende Kritik geraten.[6]

Wer ist ein Flüchtling?

Kein Aufsichtsorgan legte eine formale Arbeitsdefinition der UNRWA fest, so legte die UNRWA ihre eigene Reihe von Arbeitsdefinitionen für Flüchtlinge fest. Die erste im Jahr 1950 besagte: „Ein Flüchtling ist eine bedürftige Person, die, in Folge des Krieges in Palästina, ihre Heimat und ihre Existenzgrundlage verloren hat […].“[7] Im Jahr 1954 wurde eine zeitliche Qualifikation hinzugefügt, die besagte, dass die unterstützungsberechtigte Person jemand sei, „deren regulärer Wohnsitz für einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren vor dem Ausbruch des Konflikts im Jahr 1948 in Palästina gewesen ist“[8].

Ein Bericht des Hochkommissars des UNRWA im Jahr 1955 stellte palästinensische Araber vor, die im Jahr 1948 nicht vertrieben worden waren, die aber einen Teil oder ihre gesamte Existenzgrundlage verloren hatten, beispielsweise einen Bewohner des damaligen Jordanien, der zuvor ein Feld besessen und bearbeitet hatte, das nun in Israel lag. Der Bericht argumentiert, diese Gruppe „kann in einer schwereren Notlage sein“, denn die „grosse Nähe ihrer ehemaligen Besitztümer […] erhöht die Spannungen und den Leidensdruck“.[9] Die Einbeziehung von Grenzdörfern in den Zuständigkeitsbereich des UNRWA erweiterte seine wirtschaftliche Rolle im Gazastreifen und in Jordanien und artikulierte ein therapeutisches Element, das in den kommenden Jahrzehnten zu einem wichtigen Bestandteil des Auftrags der UNRWA werden würde.

Im Jahr 1971 wurde die Definition eines Flüchtlings wieder ausgeweitet und legte die Vererbbarkeit des Flüchtlingsstatus fest, „die Kinder und Enkel [anerkannter] Flüchtlinge [als] berechtigt auf Unterstützung durch die Institution“ zu beinhalten[10]. Im Jahr 1994 wurde die Arbeitsdefinition noch einmal ausgeweitet und entfernte dieses Mal die Klausel über die Zufluchtnahme im Jahr 1948 in einem der Länder, in denen das UNRWA Unterstützung anbietet.[11]

Diese Version ist noch heute gültig. Einschränkungen hinsichtlich der Erlangung einer anderen Staatsbürgerschaft des Flüchtlings gibt es nicht. Noch verlangt das UNRWA von den einzelnen Bewerbern, dass sie alle drei Kriterien (Wohnort, Verlust der Heimat und Verlust der Existenzgrundlage) erlitten haben oder eine Dokumentierung dieser Zustände vorweisen zu müssen. UNRWA verlangt nur eine Eigenerklärung der Bewerber. Die Institution sieht sich selbst als den „weltweiten Fürsprecher für den Schutz und die Betreuung der palästinensischen Flüchtlinge“[12], wodurch sie insgesamt einen Kundenstamm von fast 5 Millionen Menschen schafft.

Ein sich entwickelndes Mandat

Gleichzeitig zu der Erweiterung der Definition eines palästinensischen Flüchtlings fand die enorme Ausweitung des Mandats des UNRWA von der ursprünglichen, präzisen Rolle, von „direkten Unterstützungs- und Arbeitsprogrammen“, hin zu der ehrgeizigen Vision statt, jeder palästinensische Flüchtling, ob im Gazastreifen, im Westjordanland, in Jordanien, im Libanon oder in Syrien, solle „die bestmöglichen Standards der menschlichen Entwicklung […]“ geniessen[13].

Das Gebot der Institution, diesen Lebensstandard auf unbestimmte Zeit für eine ständig wachsende Kundenbasis beizubehalten, ist vielleicht das grösste selbst auferlegte Hindernis für eine Wiedereingliederung in die Aufnahmeländer.

Eine andere Form der schleichenden Aufgabenerweiterung ist die Verwendung des Völkerrechts zur Ausweitung des Arbeitsmandats auf solche Bereiche wie „Bildung, Gesundheit und Fürsorge, soziale Dienste, Mikrofinanz, Infrastruktur und Verbesserung der Lebensbedingungen in den Lagern, sowie Nothilfe einschliesslich Nahrungsmittelhilfe” gewesen.[14] Darüber hinaus hatte sich das Mandat des UNRWA bis zu den frühen 1980er-Jahren ausgeweitet und beinhaltete nun den Schutz der gesetzlichen und Menschenrechte der Flüchtlinge; sechs Jahre später wurde der Begriff Schutz eindeutig definiert, physische, rechtliche und allgemeine Unterstützung sowie „Schutz durch Öffentlichkeit“ zu beinhalten.[15]

Der Umfang der Schutzmassnahmen ist potenziell unbegrenzt, wie die Tatsache zeigt, dass ein Bericht von 2008 empfahl, dass im Wesentlichen UNRWA als Vertreter der palästinensischen Flüchtlinge, ihrer Rechte, Interessen und Wünsche direkt in den politischen Prozess miteinbezogen werden sollte,[16] im direkten Wettbewerb mit anderen palästinensischen Einrichtungen.

Neben weiteren Problemen [Anm. auf die in der Originalversion eingegangen wird], sind Entwicklungen problematisch, die UNRWA sowohl gestärkt als auch seinen Ansatz der Wiedereingliederung beeinflusst haben. Eine davon ist die Radikalisierung der UN-Generalversammlung, die Dekolonisation verfolgte. Besonders in den 1970er-Jahren entwickelte sich die „Palästina-Frage“ zu einem singulären Anliegen der Vereinten Nationen, was den Umgang UNRWAs mit seinen Flüchtlingen beeinflusste, indem sie eine Rückführung vorschrieben und UNRWA anwiesen, sich einer Wiedereingliederung zu widersetzen. Das „Rückkehrrecht“ wurde zum Schlachtruf und ist seit Langem ein fester Bestandteil der UNRWA-Doktrin. Die Resolution 194 wurde missinterpretiert, lediglich auf Rückführung und Entschädigung abzuzielen und eine Wiedereingliederung völlig auszuschliessen.

Ein weiterer Grund, der zur Entwicklung von UNRWA beiträgt ist, dass die Vereinten Nationen zugelassen haben, dass sie zum Schauplatz für die Delegitimierung Israels geworden sind, und sich das nationale Anliegen der Palästinenser zu eigen gemacht haben. Von daher können die Aktivitäten und Aussagen UNRWAs nicht losgelöst von diesem institutionellen und kulturellen Umfeld betrachtet werden. Beispielsweise die Tatsache zu nennen, dass mehr als fünfzig UN-Organe geschaffen worden sind, um sich speziell mit den Palästinensern und/oder den palästinensischen Gebieten zu befassen.

Nicht zuletzt machen die Beteiligung von Interessengruppen und die Dezentralisierung der Planung, Entscheidungsfindung und Verantwortung, zusammen mit der Realität von rund 30.000 palästinensischen UNRWA-Angestellten und einem vom Westen finanzierten Jahresetat von einer halben Milliarde Dollar, die Wiedereingliederung von ‚Flüchtlingen‘ zu einer unwahrscheinlichen Perspektive.[17] UNRWA scheint untrennbar in der palästinensischen Gesellschaft verwurzelt.

Auszug aus der Originalversion: UN Resists Resettlement by Alexander H. Joffe © Middle East Quarterly, Fall 2012.



[1] Generalversammlung der UN (UNGA) Res. 194 (III), 11. Dez. 1948, Abs. 11.

[2] Bericht des Leiters, UNRWA, 1. Juli 1959 ‒ 30. Juni 1960, UNGA A/4478, Abs. 13.

[3] Bericht des Leiters, UNRWA, 1. Juli 1958 ‒ 30. Juni 1959, UNGA A/4213, Abs. 6.

[4] Benjamin N. Schiff, Refugees unto the Third Generation: UN Aid to Palestinians (Syracuse: Syracuse University Press, 1995), S. 29, Tabelle 2.2; ibid., S. 302.

[5] „Political Program for the Present Stage Drawn Up by the 12th PNC, Cairo, June 9, 1974“, Journal of Palestine Studies, Sommer 1974, S. 224.

[6] Aaron D. Pina, „Palestinian Education and the Debate over Textbooks“, Congressional Research Service, Washington, D.C., RL32886, 27. Apr. 2005; Arnon Groiss, „Teaching, The Right of Return‘ in UNRWA Schools“, Center for Near East Policy Research, Jerusalem, 2011.

[7] Zwischenbericht des Leiters, UNRWA, 6. Okt. 1950, UNGA A/1451/Rev.1, Abs. 15.

[8] Sonderbericht des Leiters, Beratende Kommission des UNRWA, 30. Juni 1954, UNGA A/2717/Add.1, Abs. 19.

[9] Sonderbericht des Leiters, UNRWA, 15. Okt. 1955, bezüglich weiterer Unterstützungsberechtigter, UNGA A/2978/Add. 1, Abs. 20.

[10] Bericht des Hochkommissars, UNRWA, 1. Juli 1970 ‒ 30. Juni 1971, UNGA A/8413, Fn. 1.

[11] „Who Are Palestine Refugees?“ Website des UNRWA, besucht am 27. Juni 2012.

[12] Bericht des Hochkommissars, UNRWA, 1. Jan. ‒ 31. Dez. 2007, UNGA A/64/13 (Ergänzung 13), 31. Juli 2008, Abs. 4.

[13] Ibid., Abs. 2, 3.

[14] Lance Bartholomeusz, „The Mandate of UNRWA at Sixty“, Refugee Survey Quarterly, 2‒3 (2009): 462.

[15] Bericht des Generalsekretärs an den Sicherheitsrat, UNRWA, 21. Jan. 1988, UNSC S/19443, C-28.

[16] Nicholas Morris, „What Protection Means for UNRWA in Concept and Practice“, 31. März 2008, S. 4, 9.

[17] „Organisational Effectiveness Assessment, United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East“, Band 1, Multilateral Organisation Performance Assessment Network, Dez. 2011, S. 3.