Nach Abbas

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Mahmoud Abbas. Foto World Economic Forum. Lizenziert unter Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 via Wikimedia Commons.
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Mit der überwältigenden Mehrheit (138 zu 9), mit der den Palästinensern der Beobachterstatus eines Nichtmitglieds verliehen wurde, könnte sich die internationale Gemeinschaft selbst überlistet haben. Abbas‘ nächste Schritte sind völlig unklar – er hat damit gedroht, die Mitgliedschaft am Internationalen Strafgerichtshof zu verfolgen, die er dann als Knüppel gegen Israel verwenden könnte, doch es könnte Jahre dauern, bis diese Taktik Früchte trägt.

Der alternde Abbas hat jedoch möglicherweise nicht mehr viele Jahre. Der Palästinenserführer ist 77 Jahre alt, ein starker Raucher und ein unablässig Reisender. Berichten zufolge unterzog er sich vor einem Jahrzehnt einer Behandlung von Prostatakrebs und im Jahr 2010 wurde es sechs Mal aus unbestimmten gesundheitlichen Gründen in ein jordanisches Krankenhaus eingewiesen. Kurz gesagt, er gibt nicht gerade das Bild der perfekten Fitness ab. Dies wirft die unbequeme Frage auf: Wer wird in seine Fussstapfen treten?

Im Augenblick lautet die Antwort: die Hamas. Nach dem Palästinensischen Grundgesetz, Artikel 37, wird, wenn die Präsidentschaft der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) frei wird, „der Sprecher des Palästinensischen Legislativrates […] vorübergehend die Aufgaben und Befugnisse der Präsidentschaft der Nationalen Autonomiebehörde für einen Zeitraum von nicht mehr als sechzig (60) Tagen übernehmen, während derer freie und direkte Wahlen zur Wahl eines neuen Präsidenten stattfinden sollen.“

Wie sich herausstellt, ist der derzeitige Sprecher niemand anderes als al-Aziz Duwaik. Im Januar 2006, das letzte Mal, als die Palästinenser Parlamentswahlen abhielten, kandidierte Duwaik und gewann für die Liste „Wandel und Reform“ der Hamas. Als die Hamas aus dieser Wahl mit einer Mehrheit hervorging, wurde er als Sprecher vereidigt.

Wer ist dieser Führer in den Startlöchern? Im Jahr 1992 war Duwaik einer von 415 Hamas-Mitgliedern, die wegen ihrer Beteiligung an der entstehenden terroristischen Vereinigung von Israel in den Libanon ins Exil geschickt wurden. Nach der Entführung des israelischen Soldaten Gilad Shalit im Jahr 2006 verhafteten ihn die Israelis, weil er ein Mitglied der Hamas ist. Im Juni 2009 wurde Duwaik aus dem Gefängnis entlassen, aber er wurde diesen Januar wegen „Beteiligung an terroristischen Aktivitäten“ wieder verhaftet. Er wurde vor nur wenigen Monaten, im Juli, wieder freigelassen.

Natürlich ist Duwaik kein sicherer Kandidat. Nachfolge verfährt nicht immer gemäss dem Gesetz, und die PLO könnte noch jemanden aus ihren eigenen Reihen ernennen, wenn Abbas nicht mehr in der Lage wäre, diese Einrichtung zu führen. Allerdings ist ein Machtkampf ein Rezept für einen weiteren hässlichen Zusammenstoss zwischen der PLO und der Hamas. Und gerade jetzt sind Abbas‘ Gesundheit und sein politisches Vermögen die einzigen Dinge, die diesem chaotischen Szenario im Wege stehen.

Abbas‘ politisches Ansehen könnte genauso beunruhigend sein wie sein fortgeschrittenes Alter. Seit die Hamas Abbas‘ säkulare Fatah-Partei in den Wahlen von 2006 vernichtend schlug und im Jahr 2007 seine Sicherheitskräfte aus dem Gazastreifen hinausdrängte, hat sich Abbas für militärische, geheimdienstliche und finanzielle Unterstützung, um seinen schwachen Griff am Westjordanland zu erhalten, stark auf die USA und auf Israel verlassen. Seine Regierung ist unterdessen verknöchert geworden und höhlt seine Unterstützung bei vielen Bewohnern des Westjordanlandes aus.

Im September kochte die Frustration über, als die Kassen der (PA) auszutrocknen begannen und die Gehälter von Regierungsangestellten unbezahlt blieben, woraufhin Tausende von Palästinensern auf die Strassen strömten. Die Demonstrationen warfen beunruhigende Fragen darüber auf, ob die PA bald zusammenbrechen könnte. Abbas hält weiterhin durch, aber er scheint noch immer für nichts anderes zu stehen als für die Verewigung seiner eigenen Herrschaft. Er hat es versäumt, Frieden zu bringen, aber er wird sich auch nicht an Gewalt gegen Israel beteiligen.

Die Frage, wer Abbas nachfolgen könnte, ist keine neue. Laut einer durchgesickerten Depesche des Aussenministeriums der Vereinigten Staaten warnte der palästinensische Chefunterhändler Saeb Erekat die Amerikaner bereits im Jahr 2006, dass ein „politisches Vakuum“ Duwaik in die Rolle des Präsidenten erheben würde. Andere palästinensische Insider haben auch leise Bedenken über die Nachfolgeregelung der Palästinensischen Autonomiebehörde ausgedrückt.

Abbas jedoch weigert sich, einen Nachfolger zu benennen. Die Kommunalwahlen im Westjordanland in diesem Oktober brachten eine Handvoll abtrünniger Fatah-Führer ins Amt. Diese neue Generation von relativ unbekannten Säkularisten kann dennoch die Zukunft der Palästinenser repräsentieren. Ghassan Shakaa, zum Beispiel, erlangte in der New York Times Aufmerksamkeit als eine führende Figur „unter Duzenden von Fatah-Aktivisten, die [im Oktober] aus der Partei verdrängt wurden, weil sie beschlossen hatten, unabhängig zu kandidieren“. Doch anstatt politische Vielfalt zu begrüssen, hat Abbas Berichten zufolge diese Personen isoliert.

Abbas‘ potenzielle Herausforderer können auch an der Wahlurne keine Nische für sich erkämpfen. Aufgrund des erbitterten Zerwürfnisses zwischen der Hamas und der Fatah lehnt Abbas es ab, neue nationale Wahlen abzuhalten. Mit anderen Worten hat Abbas seine Position als unbestrittener Führer der Palästinenser verfestigt, und er wird in dieser Position entweder bis zu einem Zeitpunkt seiner Wahl oder bis zu seinem Tod weitermachen.

Um es milde auszudrücken, ist dies keine tragfähige Strategie für die Beibehaltung eines Partners für den Frieden im Westjordanland. Noch ist es die Unterstützung eines bürokratischen Manövers bei den Vereinten Nationen, das Abbas nur einen vorübergehenden Anstieg der Zustimmung gewährte. Solche Schritte verschärfen in Wirklichkeit nur die sich zusammenbrauende palästinensische Nachfolgekrise, weil sie die gegenwärtige Führung stärken, ohne auf dringend benötigte Reformen zu drängen.

Wenn die internationale Gemeinschaft es mit der palästinensischen Eigenstaatlichkeit ernst meint, sollte sie beginnen, darüber nachzudenken, wer als Nächster an der Reihe ist, das palästinensische Volk zu regieren, und wie die benötigte Infrastruktur zur Gewährleistung einer guten Staatsführung zu schmieden ist. Noch wichtiger, sie sollte verlangen, dass Abbas Schritte unternimmt, um sicherzustellen, dass legitime Anwärter die Möglichkeit haben, sicherzustellen, dass ihre politischen Stimmen gehört werden.

Gekürzte Fassung der Originalversion: After Abbas by Jonathan Schanzer © Foreign Policy, December 13, 2012.