Geopolitischer Poker definiert den neuen Nahen Osten

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Der internationalen Gemeinschaft, geteilt in den Anti-Assad-Block – die USA und ihre Verbündeten – und den Pro-Assad-Block mit Russland, China und Iran, ist es nicht gelungen, ein Abkommen zur Lösung der syrischen Krisen zu treffen. Dies brachte ein unstabiles Patt hervor; einen „begrenzten Kalten Krieg“, der aber ständig droht, sich in Syrien in einen „heissen“ Krieg mit der aktiven Beteiligung von Armeen und Stellvertretern aller Seiten zu verwandeln.

Der Bürgerkrieg in Syrien bildet den Schauplatz für den Konflikt zweier mächtigen Akteure in der Region: Irans schiitische Koalition gegen die kürzlich wiedergeborene und durchsetzungsstarke sunnitische Allianz. Welche Auswirkungen haben die dortigen Geschehnisse auf den Nahen Osten?

Hamas

Wenn Baschir al-Assads Regime fällt, wird Iran der grosse Verlierer sein. Teheran erlitt einen schweren Schlag, als die Hamas die sogenannte „Achse des Widerstandes“ (den Pakt zwischen Iran, Syrien und ihren Gehilfen) aufgab und ihre Führer Assads sinkendes Schiff wie Diebe in der Nacht verliessen. Es war ein vorhersehbarer Schritt für die Hamas, den palästinensischen Ableger der Muslimbruderschaft. Bislang war die Hamas ein wichtiges palästinensisches und sunnitisches Element für Irans Legitimität in der arabischen Welt und ein hilfreicher Gehilfe in seinem Kampf gegen Israel gewesen.

Die Hamas-Führer kehrten in ihre natürliche ägyptische Heimat der Muslimbruderschaft zurück, sich auf eine symbiotische islamistische Beziehung stützend, um zuerst mit Erfolg die von der Fatah kontrollierte Palästinensische Autonomiebehörde und dann Israel herauszufordern.

Katar

Der kürzlich erfolgte Besuch des Emirs von Katar im Gazastreifen ist ein klares Zeichen dafür, dass die Hamas jetzt ein wesentlicher Bestandteil der sunnitischen Koalition (mit Ägypten, Saudi-Arabien, der Türkei und Katar) gegen die iranische Schiiten-Koalition (syrische Alawiten, irakische Schiiten und die libanesische Hisbollah) ist.

Katars Ambitionen gehen weiter. Seine politische, finanzielle und militärische Unterstützung für die syrische Opposition nach seiner Intervention am Boden gegen das Gaddafi-Regime in Libyen, sowie seine finanzielle Unterstützung für die Muslimbruderschaft und die Salafisten in Ägypten zeugen in der Tat von Katars wachsender Rolle in der Region.

Türkei

Es ist nicht klar, wer von der anhaltenden militärischen Konfrontation auf niedrigem Niveau zwischen Syrien und der Türkei profitiert. Einige Analysten glauben, dass Syriens Ziel bei der Anvisierung der Grenzregionen der Türkei sei, einen auswärtigen Krieg zu schaffen, um seinen Bürgerkrieg zu vertuschen. Andere schlagen vor, dass die Türkei die Entwicklungen in Syrien als eine Gelegenheit für den Aufbau eines Protoimperiums sehe, das manchmal als „neoottomanisches Wiedererwachen“ bezeichnet wird. Syrien ist bestrebt, die Türkei für diese geopolitischen Ambitionen zu bestrafen, entweder durch Bombardierung türkischen Hoheitsgebietes oder durch Ausnutzung des Konflikts zwischen der kurdischen PKK und der Türkei. Iran könnte sich bemühen, die Türkei davon abzuhalten, Syrien den Krieg zu erklären, aber wenn diese Bemühungen scheitern sollten, könnte solch eine veränderte Situation möglicherweise zu einer iranischen Intervention auf Seiten Syriens und gegen die Türkei führen.

Irak

Wenn Assad fällt, steht das politische System des Irak vor einer grossen Herausforderung. Saudische und katarische Bemühungen, den schiitisch dominierten Irak zu schwächen, sind bisher gescheitert, und vor diesem Hintergrund sandte Iran vor kurzem seinen Verteidigungsminister für einen Besuch nach Bagdad – eine Anstrengung darin, was „aggressive Diplomatie“ genannt wird. Irans und Iraks Zusammenarbeit hat sich aufgrund der Krise in Syrien vertieft, und die Bedrohung durch die sich in der gesamten Region verbreitenden Unruhe  eine gute Gelegenheit um die Beziehungen zwischen Iran und der schiitischen Regierung in Bagdad zu stärken.

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Iran

Inmitten von Hinweisen auf ein diplomatisches Versagen hielt Iran eine internationale Konferenz zu Syrien ab, um die Möglichkeit zur Beendigung des dortigen Blutvergiessens zu besprechen, scheiterte aber beim erklärten Ziel, mindestens ein Dutzend Aussenminister zusammenzubringen. Aussenminister Ali Akbar Salehi sagte: „Iran sucht nach einer Lösung, die im Interesse aller ist“, und: „[Iran] hat die Tür geöffnet, um Syriens Opposition an einem nationalen Dialog zu beteiligen“. Es scheint, dass Iran nach dem richtigen Zeitpunkt sucht, um seine Unterstützung für Assad zu beenden, da er sich bewusst ist, dass Assad früher oder später fallen wird.

Alawitische Festung: Worst-Case-Szenario

Das Worst-Case-Szenario wäre die Bildung eines alawitischen Ministaates, in welchen sich das Rückgrat der syrischen alawitischen Armee mit ihren schweren Waffen einschliesslich der chemischen Waffen gegen eine blutige Offensive der sunnitischen Opposition zurückziehen würde. In solch einem Szenario könnte ein alawitisches Regime auf die abschreckende Präsenz eines iranischen Expeditionskorps und auf die strategische Unterstützung durch Russland, das seine Flottenpräsenz in Tartus an der syrischen Küste behalten würde, zählen.

Fest steht, dass Syrien und die Länder des Nahen Ostens in der nahen Zukunft viele verschiedene Einheiten bilden werden, aber das Ende des Spiels bleibt offen.

Gekürzte Fassung der Originalversion: The Geopolitical Poker Game that will Define the New Mideast by Ely Karmon © International Institute for Counter-terrorism, October 31, 2012.