Tierschutz in Israel: „Wir müssen gütiger werden“

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Man sagt, der Unterschied zwischen einem Entwicklungsland und einem modernen Staat, ist die Art wie Tiere behandelt werden. Nun ist Israel zweifelsohne ein hoch entwickeltes Land, aber Millionen von Strassenkatzen und –Hunden muss dringend geholfen werden. Bei vielen existentiellen Problemen, die in dem Land herrschen, ist es nicht einfach Aufmerksamkeit für den Tierschutz Israels zu erregen. Dem israelischen Tierschutz fehlt es vor allem an Geld.

„Zwischenzeilen“ hat mit Eti Altman gesprochen, der Gründerin einer der grössten Tierschutzorganisationen im Land „Let the animals live“ (LAL). Sie sieht viele Verbesserungen in den letzten Jahren, aber auch immer noch haufenweise Probleme, die gelöst werden müssen, um dem modernen Bild Israels auch im Bereich Tierschutz gerecht zu werden…

Von Katharina Höftmann

Zwischenzeilen (ZZ): Wie würden Sie aktuell das Thema Tierschutz in Israel bewerten? Was sind die grössten Erfolge, welches die grössten Probleme?

Eti Altman (Altman): Zuerst einmal muss ich sagen, wenn ich zurückblicke auf den Anfang meiner Tätigkeit im Tierschutz (1986, Anm. d. Red.) dann hat sich wirklich viel seitdem geändert im Land. Wir haben es geschafft, viele Probleme für die es in der Vergangenheit kein Bewusstsein gab, auf die Agenda zu bringen.

ZZ: Zum Beispiel?

Altman: Tierquälerei. Eine der ersten massgebenden Entscheidungen habe ich durch meinen Kampf gegen die Alligatoren-Kämpfe erreicht. Man hat in den neunziger Jahren in Stadien in Israel Alligatoren gegen Menschen kämpfen lassen. Als der oberste Gerichtshof dies auf unser Ansehen endlich verboten hat, wurde die Alligatoren-Regelung zu einem Präzedenzfall in allen Fragen der Tierquälerei. Diese Entscheidung hat die Perspektive auf Tierrechte komplett verändert. Das Quälen oder Misshandeln von Tieren ist seit die Knesset 1994 ein neues Gesetz erlassen hat Strafbestand und wird aktiv verfolgt. Eine weitere Entscheidung des obersten Gerichtshofs verbot 2007 die Vergiftung von Strassenkatzen. Das wurde vorher aktiv praktiziert um das Problem der unzähligen Strassenkatzen zu lösen. Jetzt haben sie das Recht zu leben. Die Überpopulation von Strassentieren ist immer noch ein Problem, aber die Leute haben inzwischen ein Bewusstsein dafür entwickelt. Noch in den achtziger Jahren war Tierschutz als Thema in Israel praktisch nicht vorhanden. Die Medien berichteten nicht darüber, es gab keinerlei Gesetze.

ZZ: Was hat die Veränderungen in Israel ausgelöst?

Altman: Wir haben angefangen uns zu engagieren. In den achtziger Jahren gab es überall auf der Welt eine Veränderung in der Blickweise auf Tierschutz. Mit „let the animals live“ haben wir die Pionierorganisation in Israel gegründet. Wir waren die erste „no-kill“-Organisation im Land. Bis dahin haben sich die Organisationen darauf konzentriert, Tiere von der Strasse einzusammeln und zu töten. So wie es auf der ganzen Welt üblich war und bis heute in vielen Ländern passiert. Denken Sie nur an den aktuellen Skandal der Verbrennung von Strassenhunden in der Ukraine. Heutzutage haben wir einen sehr progressiven Tierschutz in Israel. Mittlerweile sind 95 Prozent der Vereine „no-kill“-Organisationen. Und wir haben heute die Situation, dass die Polizei Tierquälerei wirklich ernst nimmt. Ich arbeite selbst sehr eng mit einigen Beamten zusammen. Wenn ich die Polizisten anrufe, kümmern sie sich so schnell es geht um die Fälle. Es gibt sogar einen ausschliesslich für Tierquälerei verantwortlichen Polizeibeamten. Auch das Umweltministerium hat mittlerweile eine spezielle Abteilung eingerichtet, die sich um Tierschutz in Israel handelt. Wir haben die Einstellung der Menschen geändert. Das sind riesige Erfolge.

ZZ: Welche Probleme gilt es weiterhin zu lösen?

Altman: Wir haben nach wie vor unendlich viele Strassentiere in Israel. Natürlich hat sich die Situation hier in der Vergangenheit verbessert. Die TNR-Technik (Trap-Neuter-Return, zu Deutsch: Fangen, Kastrieren, Zurückbringen) setzt sich auch in Israel langsam durch. Wir haben mobile Kastrationsstationen, die vor allem Katzen einfangen, sie kastrieren und dann zurück auf die Strasse bringen. Viele Stadtverwaltungen arbeiten bereits gemeinsam mit uns daran. In Tel Aviv und einigen anderen Städten schickt die Stadt selbst Angestellte, die nach Strassenkatzen suchen und diese einfangen. Sie werden dann in Kliniken kastriert, die zum grossen Teil von den Städten finanziert werden. Aber es gibt immer noch zu viele Stadtverwaltungen, die nicht an den TNR-Programmen teilnehmen. Es gibt immer noch rund 2 Millionen Strassenkatzen in Israel. Und Zehntausende Strassenhunde, letztere können vor allem in Industriegebieten, Militärbasen und ausserhalb des Zentrums Israels gefunden werden. Diese Tiere sind zum Teil in furchtbaren Zuständen. Vor allem ausserhalb der grossen Städte. Wir sehen hier ja oft nur die Spitze des Eisberges. Aber wir leben in einem Land, in dem es viele andere Probleme gibt. Die Bemühungen um Sicherheit, Angst vor Terror, Armut – wir haben in Israel wirklich existentielle Probleme. Ein Grossteil des Budgets des Landes wird in das schlichte Überleben investiert.

ZZ: Wie schwierig ist es Aufmerksamkeit für Tiere zu generieren? Ich kann mir vorstellen, dass diese Probleme von vielen Menschen als trivial eingeschätzt werden im Vergleich zu Raketenbeschuss und Terrorangriffen.

Altman: Eben, es ist extrem schwierig. Es gibt nicht annährend genug Geld für Tierschutz. Mit dem Geld, was wir vom Umweltministerium bekommen, können wir gerade einmal ein Prozent unserer Ausgaben decken. Wir sind auf Spenden angewiesen. Vor allem auch von ausserhalb Israels. Wir kämpfen um Spenden aus Ländern, die eben nicht diese existentiellen Probleme haben. Daneben versuchen wir Freiwillige aus allen Ländern zu gewinnen, die uns in unserem Kampf für die Tiere unterstützen.

ZZ: Wie nimmt die israelische Gesellschaft Ihre Bemühungen auf?

Altman: Hier gibt es eine grosse Diskrepanz zwischen verschiedenen Teilen der Gesellschaft. Säkulare Israelis, die zum Glück noch den Grossteil des Volkes ausmachen, unterstützen meist unsere Arbeit. Die Presse berichtet über Fälle von Tiermissbrauch und auch die Regierung engagiert sich in einem nicht unbeachtlichen Rahmen. Ich wurde selbst bereits mehrmals für den Israel-Preis (ähnlich Bundesverdienstkreuz in Deutschland, Anm. d. Red.) nominiert und auch bereits von Präsident Shimon Peres für mein Engagement ausgezeichnet. Daneben bekommen wir viel Unterstützung von israelischen Prominenten.

Dies ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Grosse Probleme gibt es noch in der arabischen Minderheit Israels. Dort gelten vor allem Hunde als wertlos, schmutzig und unrein. Sie werden aus Spass gequält, es werden im grossen Stil Hundekämpfe veranstaltet. Die Hunde werden als Wachhunde eingefangen, irgendwo angekettet und ihrem Schicksal überlassen. Und wenn sie tot  sind, wird einfach ein neuer geholt. Die Hunde werden zur Belustigung auf Katzen gejagt und so weiter. Es passieren furchtbare Dinge in arabischen Städten und Dörfern, von denen wir nur erfahren, weil es glücklicherweise auch in der arabischen Community ein paar Menschen gibt, die sich um Tiere kümmern. Aber auch im jüdisch-orthodoxen Umfeld gibt es leider weniger Respekt für Tiere als in der säkularen Gesellschaft. Strassenkatzen werden mit Steinen beworfen und sollen so aus religiösen Vierteln wie Mea Shearim oder Bnei Brak vertrieben werden. Und dass die Initiative zum Verbot von Pelzen gescheitert ist, lag auch daran, dass die Orthodoxen die ihre chassidischen Kopfbedeckungen, so genannte Schtreimel, nicht aufgeben wollten, vehement Stimmung gegen das Gesetz gemacht haben.

ZZ: Wie sind die Reaktionen, die Sie auf Ihren Kampf für die Tiere Israel hin bekommen?

Altman: In meinem ganzen Leben hat mich noch niemand dafür ausgelacht. Ich habe immer sehr viel Respekt und Liebe für meine Arbeit bekommen. Nur daraus ziehe ich die Kraft für mein Engagement. Die Unterstützung der Menschen lässt mich weitermachen. Und ich glaube fest daran, dass die kommende Generation sogar noch mehr Mitgefühl für die Schwachen unserer Gesellschaft haben wird. Und mit den Schwachen meine ich als zweifache Mutter und vierfache Grossmutter wahrlich nicht nur Tiere, sondern auch leidende Kinder und ältere Menschen.

ZZ: Vielen Dank für das Gespräch.

Tierschutz in Israel

Tierschutz ist tief im Judentum verwurzelt. Das Verhindern von „Tza’ar ba’alei chayim“ (übersetzt: Das Leiden von Lebewesen) ist ein jüdisches Prinzip, welches das Zufügen von unnötigen Schmerzen strikt verbietet. Der Talmud akzeptiert dieses Prinzip als biblischen Auftrag. Die Menschen sollen dabei helfen, Tiere von ihren Qualen und Lasten zu befreien (Exodus 23:5). Das Judentum hat seit jeher eine Verbindung zwischen der Art wie Menschen Tiere und andere Menschen behandelt hergestellt: Eine Person die grausam zu hilflosen Tieren ist, wird sich so auch Menschen gegenüber verhalten. Anerkannte Rabbiner wie Rambam haben erklärt, dass es keine Unterschiede zwischen dem Leid eines Menschen und anderen Lebewesen gibt. Im jüdischen Staat Israel gibt es dementsprechend eine sehr moderne Tierschutzpolitik: So wurde 1994 Tierquälerei unter Strafe gestellt und 1995 ein festes Tierschutz-Budget des Staates beschlossen. Mithilfe dieses Budgets, das von 2005 bis 2006 etwa 3,5 Millionen Schekel (rund 830.000 CHF, 694.000 Euro) betrug, sollen Informationen und Bildung für Tierschutz sowie Tierschutzvereine gefördert werden. Wohl auch als Reaktion auf eine Facebook-Kampagne, die einzelne Israelis bei tierquälerischen Aktionen zeigte, gab das Umweltministerium kürzlich bekannt, weitere 2,9 Millionen Schekel (ca. 695.000 CHF, 575.000 Euro) für israelische Tierschutzvereine zur Verfügung zu stellen. „In einer Zeit, in der wir einen beunruhigenden Anstieg von Fällen der Tierquälerei beobachten könnten, ist es unerlässlich, diese Vereine zu unterstützen. Sie leisten einen unglaublichen Dienst und kümmern sich um die Hilflosen.“, begründete Umweltminister Gilad Erdan die Entscheidung. Die wichtigsten Projekte des Umweltministeriums beschäftigen sich u.a. mit der Reduzierung herrenloser Tiere, Hilfestellung für die israelische Polizei bei der Verfolgung von Tierquälern sowie der Diskussion von weiteren Tierschutzgesetzen der Knesset. Dazu gehört auch eine Initiative für das Verbot von Tierversuchen. Viele israelische Kosmetikmarken wie AHAVA arbeiten bereits komplett ohne Tierversuche. Bis zum Jahr 2015 sollen Tierversuche für Kosmetikprodukte gänzlich in Israel verboten werden. In Städten wie Tel Aviv gibt es zahlreiche Initiativen zu TNR-Aktionen: So kann man die Stadtverwaltung anrufen, wenn man unkastrierte oder verletzte Strassenkatzen entdeckt und diese schickt dann einen Tierarzt, der das Tier einfängt und kastriert bzw. versorgt, bevor es wieder geheilt ausgesetzt wird. Nichtsdestotrotz ist die Überzahl von Strassenkatzen und –hunden weiterhin die grösste Herausforderung für israelische Tierschützer.

Weitere Informationen:

Tierschützer in Israe, WDR, 29.07.2012

Webseite der Organisation Let the animals Live LAL

Video-Clip LAL work in action (YouTube)

Tiere im Judentum (englisch), Kommentar einer jüdischen Talmudschule, kollel.org

Gottes unwerte Geschöpfe? Religionen und Tierschutz, Fellbeisser.net, 17.08.2009

1 Kommentar

  1. Ein hochemotioneller Artikel, Frau Katharina Höftmann! Mir kommen sogar die Tränen. Vor Lachen. Israelis sind tatsächlich tierliebend, es gibt nämlich in Israel gefühlte 2-3 Hunde und etwa 9-11 Katzen je Einwohner. Bitte schreiben Sie doch einen Artikel über hungernde Kinder in Israel, die sich nicht einmal Milch leisten können, weil ihnen die Haredim und Settler die finanziellen Ressourcen wegnehmen.

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