Skateboarder ohne Grenzen

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Matt Olsen bringt das Skateboarden bei im Shuafat Flüchtlingslager in Ost-Jerusalem. Foto Yair Hasidof
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Seit ich 1976 zum ersten Mal auf ein Longboard – eine längere Version eines Skateboards – aufgestiegen bin, bin ich Feuer und Flamme. Ich hatte ein Jahr zuvor mit dem Skateboard fahren angefangen und mir gefiel, wie die weichen Rollen des Longboards über Risse glitten und sich mühelos drehten; es fühlte sich an, als würde man auf einer Betonwelle surfen. Ich war mir sicher – Skateboarden war die grosse Liebe meines Lebens.

Im Frühjahr 1988, ich war erst 23 Jahre alt, lernte ich meine Frau kennen. Sie war in Tel Aviv geboren und gerade erst nach Toronto gezogen, weil ihr Vater von Berufs wegen dorthin umziehen musste. Ich dachte zwar nicht ans Heiraten, doch wir blieben an einer Dinner Party hängen und von da an nahm die Sache ihren Lauf. Im folgenden Januar heirateten wird und im Sommer reisten wir gemeinsam nach Israel.

Eine zweite Reise gab es nie. Wir wollten unsere Kinder zwar immer auf einen Besuch nach Israel bringen, aber das Leben kam immer dazwischen, wie es so schön heisst. 1995 bin ich wieder ernsthaft ins Longboarden eingestiegen und begann 2002 mit Concrete Wave, einem Magazin, das sich nur um Sport dreht. Im letzten Herbst ermutigte uns der Rabbiner unserer Gemeinde, Israel zu unterstützen, indem wir dorthin in den Urlaub fahren. Meine Frau drehte sich um und flüsterte mir zur „Wir müssen zurück“, und ich nickte ihr zustimmend zu. In diesem Juli, 23 Jahre nach unserer ersten Reise, kamen wir mit unseren vier Kindern für einen Monat zurück.

Ich war fest entschlossen, dass diese Reise mehr als eine typische 10-Tage- Rundreise werden sollte. Meine Frau ist tief verwurzelt in Israel und unsere Erfahrung sollte so reichhaltig wie möglich werden.

Die fabelhafte Organisation Skateistan, die Skateboarding dazu nutzt, um Kinder in Afghanistan zu stärken, inspirierte mich, jungen Menschen in Israel und in den palästinensischen Gebieten eine ähnliche Möglichkeit zu bieten. Ich wusste ja bereits, dass Longboarden jedem Kind ein Lächeln ins Gesicht zaubern kann und dachte, es könnte vom Grund auf eine positive Beziehung aufbauen, wenn Kinder zusammen mit anderen fahren, mit denen sie normalerweise nicht abhängen.

Ich nahm Kontakt mit Surfing 4 Peace auf, eine Organisation, die Surf Events im Nahen Osten koordiniert mit dem Ziel, kulturelle und politische Barrieren zwischen Surfern zu überbrücken. Sie brachten mich mit dem Peres Center for Peace in Jaffa zusammen, einer Organisation in Israel, mit der sie eng zusammenarbeitet. Das Peres Center legte, landesweit Longboard Vorführungen zeitlich fest und auch ich begann mit der Planung. Die Materialspenden zu erhalten war ein Einfaches. Stressig war, wie sich herausstellte, sicherzustellen, dass die Longboards und Helme auch pünktlich aus den USA geliefert würden. Eine Nacht vor der ersten Vorführung am 5. Juli traf die Ausrüstung dann ein.

Aus Jaffa kamen 15 israelisch-arabische Kinder zum Peres Center, die schnell auf den Longboards umherrollten. Es kamen 15 weitere israelisch-jüdische Kinder aus einem Kampfsport Club in Tel Aviv dazu. Nach ein paar Minuten arbeiteten die Kinder zusammen und ihre Begeisterung war überwältigend.

„Bitte sag mir wie viel“, fragte ein arabischer Junge. Er wollte unbedingt ein Longboard an Ort und Stelle kaufen. „Wann ist der nächste Event“, rief ein anderer Junge freudestrahlend und andere bettelten die Belegschaft um mehr Zeit an. Mickey Kook, ein Freiwilliger von Surfing 4 Peace, der an dieser Veranstaltung teilnahm, sagte, dass es eine wegweisende Erfahrung für ihn war. „Es ist einfach, sich darin zu verfangen, was die Medien entscheiden, uns zeigen zu wollen, und die Wirklichkeit findet immer einen Weg, uns zu überraschen,“ sagte er.

Der nächste Halt war Sderot, wo 10.000 Raketen niedergegangen sind, seit Israel den Gazastreifen 2005 geräumt hat. Bevor die Vorführung beginnen konnte, hatte ein Freiwilliger den nächstgelegenen Bunker ausfindig gemacht. Erst in der Woche zuvor war Sderot bombardiert worden. Und hier standen wir nun im Skate Park und so auch die Kids.

Ein Junge aus einer bedürftigen Familie wollte nach der Veranstaltung das Board partout nicht loslassen. Doch es war ein anderer Junge, praktisch stumm und umgeben von Traurigkeit – dessen Eltern mit Drogenabhängigkeit zu kämpfen hatten wie ich später erfuhr, – der den grössten Eindruck auf mich machte. Er stieg auf das Skateboard und rollte im Park rum; ich konnte dabei zu sehen wie sein Verhalten sichtbar erleichtert wurde. Vielleicht ist es ein Gefühl der Freiheit oder das schwerelose Gefühl des Rollens, aber im rollenden Brett liegt ein Zauber.

Jaffa und Sderot waren Erfolge, was aber die anderen Vorführungen in Ost-Jerusalem und Jericho anging, war ich nervös. Freunde in Kanada hatten mich gewarnt, ich solle lieber an keinen dieser Orte fahren, weil sie um meine Sicherheit besorgt waren. Ein Freund fragte, ob ein Soldat der israelischen Armee mit mir nach Jericho ginge, Nein, entgegnete ich ihm, ich gehe dorthin mit meinen Longboards.

Unsere Vorführung im Shuafat-Flüchtlingslager in Ost-Jerusalem fand an einer Schule statt. Wir waren eine ziemlich gemischte Gruppe – sechs Israelis, zwei Kanadier, ein Amerikaner und ein Brasilianer –für die meisten von uns war das unerforschtes Gebiet. Yoni Ettinger, ein Israeli und professioneller Skateboarder, brachte es auf den Punkt, als er sagte: „Du hast mir das Gefühl gegeben, ein Tourist in meinem Land zu sein.“

Diese Vorführung war anders und vielleicht diejenige, die anzuschauen am bewegendsten war. Zur Vorführung in Jaffa kamen jüngere Kinder und hier war es das erste Mal, dass Teenager und junge Erwachsende dazukamen. Die Jungs nahmen sich schnell die Longboards und die jungen palästinensischen Frauen, mindestens ein Dutzend trug einen Hijab, sprangen auf die Skateboards neben ihnen auf. „Es machte mich nervös, in die palästinensischen Gebiete zu gehen“, sagte mir Yoni nach der Vorführung. „Ich hatte mir vorgestellt, sie würden mich wie einen Ausserirdischen betrachten. Aber schnell habe ich gemerkt, dass uns etwas verband und diese Verbindung was das Longboard.“

Danach fuhren wir nach Jericho zu einer Skateboard Vorführung mit 25 Kindern. Unbeeindruckt von der 38° Grad Hitze waren sie begierig, daran teilzunehmen und schnappten sich die Longboards schneller als irgendeine andere Gruppe zuvor. Die Anmut, mit der sich die Kinder auf den Brettern hielten, auf denen sie nie zuvor gefahren sind, hat mich umgehauen. Die Gruppe raste herum, Israelis, Araber und Nord-Amerikaner allesamt.

Mein ältester Sohn Jonathan war bei allen vier Vorführungen dabei. Ich konnte spüren, dass diese Erfahrung einen grossen Eindruck auf ihn gemacht hat. „Ich hatte keine Ahnung, was mich bei diesen Vorführungen erwarten würde“, sagte er mir. „Ich will definitiv zurückkommen und weitere machen.“

Nach den Vorführungen brachten wir die Kinder zur Besprechung des Erlebten zusammen. Ich sagte ihnen, dass ich von ihrer allen Können auf dem Longboard beeindruckt war und nachdem der Dolmetscher ihnen meine Worte mitteilte, erhellten sich ihre Gesichter und sie haben sich selbst applaudiert. Genau wie an jedem Ort, an den wir gegangen sind, wollten auch hier die Kinder wissen, wann wir zur nächsten Veranstaltung zurückkämen. Im Herbst kommen wir zurück nach Israel, dann haben wir ganze acht Monate mit Workshops in Jaffa angesetzt und weitere Vorführungen sind in Beit Shemesh geplant.

Originalversion: Skateboarder Without Borders by Michael Brooke © Tablet Magazine, August 17, 2012.