Ein palästinensischer Journalist, ein israelischer Präsident und eine gemeinsame Zukunft

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Al Ram. Foto lizenziert unter CC BY-SA 2.5 via Wikimedia Commons.
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Ramallah, Westjordanland – Als Teil einer Gruppe palästinensischer Journalisten machte ich mich an einem heissen Tag auf den Weg nach Jerusalem und überquerte mit einer Einreisegenehmigung den israelischen Militärgrenzposten Al-Ram. Wir waren unterwegs zur Residenz des israelischen Präsidenten Shimon Peres, obwohl der palästinensische Journalistenverband uns angewiesen hatte, dieses Meeting zu boykottieren.

Auf der Reise dorthin sah ich zum ersten Mal die Stadtteile von West-Jerusalem. Mir gefiel die Tatsache, dass die Strassenschilder auf drei Sprachen angeschrieben waren: Hebräisch, Englisch und Arabisch. Als wir am Haus des Präsidenten ankamen, gab es einige Olivenbäume auf der Gartenwiese, die das Herz erhellten. Ich starrte sie an und fragte mich, wie alt sie wohl sein mögen – wahrscheinlich 60 oder 70 Jahre, dachte ich mir.

Wir wurden in die Eingangshalle geführt, wo wir auf den Präsidenten warteten. Als er eintrat, bemerkte ich, dass er jünger als seine 89 Jahre aussah. Gemeinsam sahen wir seine Ramadan-Ansprache auf einem Bildschirm an. Als er anfing zu sprechen, erkannte ich, wie weise und kultiviert er ist. Seine Sprache war wunderschön, nicht einfach nur die Sprache eines Diplomaten.

Einige der Reporter, mit denen ich zusammen kam, waren besonders an der politischen Botschaft seiner Ramadan-Ansprache interessiert, speziell zum Thema Syrien. Als Schriftsteller stelle ich jedoch fest, dass mich an Peres vielmehr seine Worte über Religion, Kultur und Wissenschaft interessierten, als seine Kommentare über Syrien und den Arabischen Frühling.

Peres begann das persönliche Gespräch mit uns mit einer tiefgründigen Diskussion über den Islam und das Judentum, die gemeinsamen Glaubensgrundsätze und Werte beider Religionen, und die Unterschiede zwischen ihnen. Er sprach über die gemeinsamen Werte, die dem Fastenritual beider Religionen eigen sind.

Dann sprach er über die israelische und arabische Jugend und betonte die Rolle der Wissenschaft und Technologie. Du kannst Muslim oder Jude sein und du musst weder deine Religion noch Nationalität ändern, um von Fortschritt durch Wissenschaft zu profitieren, sagte er.

Wissenschaft, so wie sie Präsident Peres versteht, kennt keine Grenzen. Es werden mehr neue Führer aus der Welt der Technologie hervorkommen als aus der Welt der Politik, so sagt er. Durch das Internet gibt es Tausende Freundschaften zwischen arabischen und israelischen Jugendlichen. Amerikanische Universitäten entwickeln wissenschaftliche und technologische Mittel, um die Friedensstiftung weiterzubringen. „Frieden liefert das Mittel, um Geld für soziale Bedürfnisse auszugeben statt für militärische Hardware“, sagt er.

Seine Worte haben mich berührt. „Wir sollten Frieden dem Krieg vorziehen. Das Leben der israelischen, palästinensischen und jordanischen Jugend ist kostbar, und wir sollten vermeiden, diese zu verschwenden.“
Ich fragte ihn: „Herr Präsident, Danke für Ihren Respekt für den Ramadan, ich schätze Ihre menschliche Einleitung zu Religion, Technologie und die Zukunft. Gestatten Sie mir über den menschlichen Geist von Ramandan zu sprechen und die Werte, zu denen er aufruft.“ Dann rezitierte ich den ersten Vers des Koran „Lob sei Allah, dem Barmherzigen und Beschützer der Welt”.

Ich merkte an, dass diese Sure sich an jeden richte und nicht nur an Muslime. Dann nahm ich allen Mut zusammen und fragte: „Herr Präsident, Ihre Kompetenz als israelischer Denker übertrifft sogar Ihre Autorität als Präsident, und ein wichtiger Mann wie Sie hat die Verantwortung, Ideen, die kreativ statt rein politisch sind, zu fördern. Angesichts der Sackgasse [im politischen Friedensprozess] und der Tatsache, dass Sie diesen Prozess aufgebaut haben, und unsere Ähnlichkeiten [als Palästinenser und Israeli], warum leben wir [Palästinenser und Israeli] nicht alle in einem Staat für alle?“

Er zögerte nicht. Seine Antwort war ruhig und diplomatisch und dieses Mal konzentrierte er sich auf die Unterschiede: „Wir sind zwei verschiedenen Nationen, sowohl in Religion als auch Geschichte. Wenn wir das nicht berücksichtigen, werden grosse Widersprüche zum Vorschein kommen und wir werden weiter kämpfen. Wir wollen einen dauerhaften Frieden. Die Zwei-Staaten-Lösung ist vereinbart und tragfähig.“

Peres sagte, dass obwohl das Westjordanland mit all den Grenzübergängen, Brücken und Strassen nicht mehr das ist, was es einmal war, Wissenschaft die Entstehung von zwei Staaten ermögliche kann. Anhand des Beispiels von moderner Wassertechnologie zeigte er auf, wie man Wasser von einer Quelle des Konflikts zu einer Möglichkeit für Kooperation machen kann.

Die Botschaft, Technologie und Wissenschaft als Friedenshilfe zu nutzen, spricht Palästinenser an. Als Botschafter des Friedens würde ich Präsident Peres dazu ermutigen – statt über interne Probleme in Syrien zu sprechen, was weit weniger relevant ist für unsere Wirklichkeit – sich auf seine einzigartigen, kreativen Ideen zur israelisch-palästinensischen Kooperation zu konzentrieren. Dadurch wird das gestärkt, was wir teilen und hilft, unsere Differenzen zu überwinden.

Trotz der aktuellen Sackgasse gibt uns die mögliche Rolle, die Wissenschaft, Technologie und Kultur in der Versöhnung unserer Völker spielen kann, etwas, was uns optimistisch sein lässt.
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Originalversion: A Palestinian journalist, an Israeli president and a shared future by Tahseen Yaqin. Common Ground News Service (CGNews), 14 August 2012,www.commongroundnews.org. Deutsche Übersetzung © Audiatur-Online.