Norwegischer Antisemitismus

0
Lesezeit: 5 Minuten

Antisemitismus ist in Norwegen viel verbreiteter, als die Studie „Antisemitism in Norway? – The Norwegian Population’s attitude towards Jews and other minorities” nahe legt[1]. Das kann aus den eigenen Daten des Berichts geschlossen werden. Im Mai 2012 wurde er vom Oslo Center for Studies of Holocaust and Religious Minorities veröffentlicht, und er liefert interessante Informationen. Doch einige wichtige Themen spricht der Bericht nicht an – zum Beispiel die Tatsache, dass der norwegische Ministerpräsident und einige weitere Regierungsmitglieder Teilzeit-Antisemiten sind. Diese Aussage lässt sich verifizieren, indem ihre Worte und Taten anhand der geläufigen EU-Arbeitsdefinition von Antisemitismus beurteilt werden[2].

Die Studie stellt fest, dass acht Prozent der Norweger jüdische Menschen weder als Nachbarn noch in ihrem Freundeskreis haben wollen.[3] Knapp elf Prozent empfinden eine Abneigung gegenüber Juden[4] und zwölfeinhalb Prozent der Bevölkerung kann als den Juden gegenüber deutlich voreingenommen bezeichnet werden[5]. Dreizehn Prozent glauben, dass Juden selbst schuld daran sind, dass sie verfolgt worden sind.[6] Die englische Zusammenfassung des Berichts kommt zu dem Schluss, dass der Antisemitismus in Norwegen ein „begrenztes“ Phänomen ist, „vergleichbar“ mit dem in Grossbritannien, Dänemark und Schweden. Man könnte auch so sagen: „Es gibt zwar Antisemiten in Norwegen, aber das ist ein geläufiges Phänomen im Nachkriegseuropa, und es sind weniger, also manche uns vorwerfen.“

Im Land selbst wurde die Studie wegen mangelnder Daten zum Antisemitismus unter norwegischen Muslimen kritisiert. Mehr als 1.500 Personen wurden für die Studie befragt; wenn Muslime proportional zu ihrem Bevölkerungsanteil befragt worden wären, hätten daraus Schlussfolgerungen gezogen werden können. Doch die Zahl der befragten Muslime ist so gering, dass sie zu vernachlässigen ist.

Für ihre negative Einstellung Juden gegenüber gaben die Befragten hauptsächlich zwei Erklärungen an. Die eine hat mit der Rolle zu tun, die Israel im Nahost-Konflikt spielt. Das zeigt die Richtung an, in die weitere Untersuchungen erfolgen sollten: nämlich zu fragen, wer diejenigen in den norwegischen Eliten sind, die die öffentliche Meinung in einer Weise manipuliert haben, dass Israel als Bösewicht dargestellt wird und zur gleichen Zeit die Völkermord-Rhetorik und die Verherrlichung von Mördern durch Palästinenser unbeachtet bleibt? Die andere Erklärung, die in der Befragung genannt wurde, waren Stereotypen, wie sie mit dem klassischen westlichen Antisemitismus in Einklang stehen. In einer früheren Studie war festgestellt worden, dass ein Drittel der jüdischen Kinder in Oslo in den zurückliegenden zwei bis drei Monaten entweder verbal oder physisch angegriffen worden war.[7]

Der neue Bericht stellt ausserdem fest, dass der Holocaust als Argument gegen Israel gewendet wird, und gegen Juden im Allgemeinen in geringerem Ausmass. Einerseits besteht in Norwegen die klare Überzeugung, dass Holocaust-Erziehung notwendig ist. Andererseits stimmen fast zwei Drittel der Teilnehmenden an der Studie folgender Aussage zu: „Ich bin enttäuscht darüber, wie die Juden, angesichts ihrer Vergangenheit, die Palästinenser behandeln“.[8] 38 Prozent der Befragten kehren den Holocaust um.[9] Sie beurteilen den Umgang Israels mit den Palästinensern ähnlich wie den Umgang der Nazis mit Juden im Zweiten Weltkrieg. Der eingangs erwähnten Antisemitismus-Definition zufolge ist das eine antisemitische Aussage. Auf der Grundlage der Daten des Berichts lässt sich der Schluss ziehen, dass die Zahl der norwegischen Antisemiten bei knapp 1.5 Millionen liegt.

Diese Norweger sind mehr als Teilzeit-Antisemiten: sie sind ideologische Kriminelle, weil sie Israel fälschlicherweise beschuldigen, die schlimmsten auch nur vorstellbaren Verbrechen zu begehen. Gleichzeitig sehen sie über Nazi-Anteile in palästinensischen Einstellungen und in ihrer Geschichte hinweg: Da gibt es den wichtigsten palästinensischen Führers der Vorkriegszeit, Haj Amin al-Husseini, der am Aufbau von SS Einheiten in Bosnien und im Kosovo beteiligt war; es gibt die  – gescheiterten – Absichten der Palästinenser und ihrer arabischen Alliierten, israelische Juden im Unabhängigkeitskrieg 1948 zu massakrieren; und da ist nicht zuletzt die Charta der Hamas, die zum Völkermord an den Juden aufruft.

Dass all dies nicht in den Blick kommt, hat unmittelbar mit der Berichterstattung norwegischer Medien zu tun, mit voreingenommenen Aktionen Teilzeit-antisemitischer Ministern und Aussagen von Gewerkschaftsführern, einigen Bischöfen und führenden Wissenschaftlern. Die jüdische Gemeinde, die sich oft genug um Unauffälligkeit bemüht, hat nun mitgeteilt, dass die Hälfte ihrer Mitglieder Antisemitismus ausgesetzt ist.[10] Sie hat auch die Medien beschuldigt, Antisemitismus zu schüren.

Was Israel jetzt braucht, ist nicht bessere Public Diplomacy. Was immer Israel auch sagt, wird von fast allen norwegischen Medien selektiv gefiltert. Nur die israelische Regierung ist in der Lage, eine Studie zu finanzieren, die die aktuelle norwegische ergänzt, indem sie die Voreingenommenheit norwegischer Medien untersucht. Da werden viele Male die israelischen Siedlungen erwähnt, aber es wird kaum gesagt, dass die Hamas-Charta zum Völkermord aufruft, dass die PA Terroristen verherrlicht, die Zivilisten – auch Frauen und Kinder – umgebracht haben. Ferner sollte dokumentiert werden, wie gering die Aufmerksamkeit der Medien gegenüber dem extremen Antisemitismus in der arabischen und islamischen Welt ist. Robert Wistrich, der führende Antisemitismus-Forscher, hat gezeigt, wie sehr dieser dem Antisemitismus der Nazis gleicht.[11]

Eine solche Studie würde grundlegende Informationen über den Doppelstandard erschliessen, den ein grosser Teil der norwegischen Elite Israel gegenüber anlegt. Ein solcher Doppelstandard wird von der Antisemitismus-Definition der EU als antisemitische Handlung definiert. Ausserdem würde eine weitergefasste Studie zutage fördern, dass der norwegische Antisemitismus weitaus tiefgreifender ist, als die jüngste Studie vorgibt.

 


[1] “Anti-Semitism in Norway?- The Norwegian Population’s Attitude towards Jews and other  Minorities”, Report from the Center for Studies of Holocaust and Religious Minorities, May 2012.

[2] fra.europa.eu/fraWebsite/material/…/AS-WorkingDefinition-draft.pdf

[3]  Anti-Semitism in Norway? 32

[4] Ibid, 24

[5] Ibid, .55

[6] Ibid, 50

[7] “Religious racism shocks officials,” 8 June 2011, www.newsinenglish.no/2011/06/08/religious-racisim-shocks-officials.

[8] Antisemitism in Norway? 67

[9] Ibid, 46

[10] Sigbjørn Kiserud, ”Gir pressen skylda for jødehat”, Vårt Land, 5 june 2012, www.vl.no/samfunn/gir-pressen-skylda-for-jodehat/

[11] Robert S. Wistrich, Muslimischer Antisemitismus: Eine aktuelle Gefahr, (Berlin: Edition Critic, 2011), 109 [German].