Der wiederauferstandene Märtyrer

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Erst kürzlich haben wir berichtet, dass die Palästinensische Autonomiebehörde kurz vor dem finanziellen Zusammenbruch steht. Das Wachstum sank von 9% in 2010 auf 5.4%, wie bereits während der zweiten Intifada. Die Spendengelder sind teilweise wegen der globalen Finanzkrise zurückgegangen, aber auch zu einem Grossteil wegen der Stagnation im Friedensprozess und dem Scheitern der PA, unilaterale Anerkennung als Staat zu erlangen. Arabische Staaten haben es nicht geschafft, Hunderte Millionen zugesagter Hilfsgelder zu überweisen und liessen somit die PA mit einem Schuldenberg in Höhe von 500 Millionen $ für 2011 zurück[1]. Jüngst wurde das israelische Kreditgesuch über 1 Milliarde Dollar zugunsten der PA vom IWF abgelehnt.

Aufgrund fehlender Liquidität kann die PA möglicherweise die Juligehälter nicht auszahlen und entlässt somit Tausende Regierungsbeamte in den Ramadan ohne Gehalt. Das sei die schlimmste Finanzkrise seit PA-Gründung 1994, wird Arbeitsminister Ahmed Majdalani zitiert[2].

Die Nachricht über den finanziellen Niedergang der PA ist in Schweizer Tageszeitungen verdächtig ausgeblieben; stattdessen war die grosse „palästinensische“ Story der Woche die Exhumierung von Jassir Arafats Überresten, um zu untersuchen, ob er an einer Polonium Vergiftung starb. Denn ein Jassir Arafat stirbt nicht einfach so. Anscheinend beflügelte in diesem Fall der Mord am KGB Agenten Alexander Litvinenko 2006  auch Nachahmungs-Verschwörungstheoretiker.

Die PA steht vor einer Sackgasse. Die Friedensgespräche befinden sich jenseits einer Pattsituation; sie existieren schon gar nicht mehr. Trotz kleinerer Siege wie der Anerkennung durch die UNESCO oder der Anerkennung des Status der Geburtskirche in Bethlehem als Weltkulturerbe, beläuft sich Abbas’ mutiger und aufwieglerischer Schritt um unilateraler Anerkennung auf null und seine Glaubwürdigkeit leidet. Stichwort ideale Ablenkungstaktik: die Wiederauferstehung des verehrten Führers und eine Verschwörung rund um seinen Tod. Für eine schwache PA ist die Wende der Ereignisse die perfekte Gelegenheit, die eigenen Defizite zu vergessen und wieder einmal Israel zum Verursacher all ihrer Probleme zu machen.

Dieser Schritt kommt unerwartet, weil sich die PA-Führung in den vergangenen Jahren vom Vermächtnis Arafats losgesagt hat. Wie die meisten Nachfolger war auch Abbas scharf darauf, sein Gebiet zu markieren und es ist Abbas und Co – besonders Salam Fayyad – Anerkennung dafür zu zollen, dass sie es offensichtlich bevorzugen, in aktuellen Realitäten zu leben, als in einem Reich der was-wäre-wenns zu existieren. Als wir mit Ibrahim Khraishi, dem PLO-Botschafter in der Schweiz und an der UNO, sprachen, war eine subtile, unausgesprochene Kritik seinerseits an Arafat zu vernehmen, dass der vergötterte Führer dabei scheiterte, palästinensische Eigenstaatlichkeit umzusetzen. Für Abbas lag der Fokus vollumfänglich auf der Zukunft.

Das ist offenbar für die PA eine einmalige Gelegenheit, wenn auch von Arafats Witwe konstruiert, weil sie sich um das offensichtlich schwindende Vermächtnis und Bedeutung ihres verstorbenen Ehemannes sorgt. Kann die PA da einfach ablehnen?

In einer Mitteilung des palästinensische Präsident Mahmud Abbas heisst es, dass er nicht nur zur Zusammenarbeit bei weiteren Untersuchungen bereit sei, die PA werde darüber hinaus auch , „alle Einrichtungen bereitzustellen, die es braucht, um den wahren Grund herauszufinden, der zum Tod des verstorbenen Präsidenten führte”. Auf einmal kann die PA sich also vorstellen, nicht in Richtung Zahlungsunfähigkeit zu steuern, sondern stattdessen Gelder für forensische Pathologie zur Verfügung zu haben. Oder vielleicht haben ja einige arabische Länder, die bisher ihre zugesagten Zahlungen an die PA immer noch nicht wettgemacht haben, plötzlich die erforderlichen Dinare und Riyals übrig, um eine anti-israelische Untersuchung zu finanzieren?

Selbstverständlich spielt es keine Rolle, dass laut Dov Weissglass, Stabschef unter Ariel Scharon während der zweiten Intifada, es der Ministerpräsident ausdrücklich abgelehnt hat, Arafat umzulegen, weil er der Meinung war, ihn damit zum Märtyrer zu erheben, was nicht im Interesse Israel läge. Wenn Israel es ablehnt, aus Arafat einen Märtyrer zu machen, dann muss es jemand anderes machen. Die Tatsache, dass Arafats allgegenwärtige Kafiyya einer der Gegenstände war, die auf Polonium untersucht wurden, liefert die erforderliche Symbolik, um sein Märtyrertum zu zementieren.

Auch spielt es weder eine Rolle, dass François Bochud, Direktor des Lausanner Institute of Radiation Physics sagte, dass „die Ergebnisse eindeutig kein Beweis für eine Vergiftung sind”, noch dass Darcy Christen, Leiter Media Relations CHUV, wiederholte, dass die klinischen Symptome, wie sie in Arafats Krankenakte beschrieben sind, nicht mit einer Polonium-210 Vergiftung übereinstimmen[3]. Uns gegenüber sagte Bochud, dass es unmöglich sei, das Alter des Poloniums festzustellen und dass es theoretisch „möglich ist, dass die Menge Polonium-201, die wir gemessen haben, künstlich erzeugt wurde”.

Die Situation schreit nach einem Märtyrer, also her damit.

Eigentlich überrascht Abbas’ entgegenkommendes Angebot, seine Zusammenarbeit und die der PA bei weiteren Untersuchungen anzubieten. Erst vor drei Jahren war Abbas selbst zur Zielscheibe von Al-Jazeera geworden, die ihn beschuldigte, gemeinsam mit Israel am Tod von Arafat hingewirkt zu haben[4].

In dem Interview mit Al-Jazeera sagte Suha Arafat, dass Jassir Arafats Leiche exhumiert werden müsse, „um der muslimischen und arabischen Welt die Wahrheit zu zeigen“. Damit wird angedeutet, dass er von Israel umgebracht wurde, obwohl sie seinerzeit die Beschuldigung erhob, dass Jassir von Rivalen aus den eigenen Reihen ermordet worden sei.

Es würde Abbas und dem palästinensischen Volk besser dienen, der Versuchung dieser Story zu widerstehen und stattdessen ihre Aufmerksamkeit auf die Verbesserung der Wirtschaft zu konzentrieren, was letztendlich nur erreicht werden kann, indem sie gemeinsam mit Israel an den Verhandlungstisch zurückkehren. Eine Ablenkungstaktik dieser Art ermöglicht der geplagten palästinensischen Führung vielleicht eine kurzfristige Verschnaufpause, doch können damit bestimmt keine Rechnungen bezahlt werden.

Shana Goldberg © Audiatur-Online


[1] http://www.arabianbusiness.com/palestinian-minister-calls-for-500m-stave-off-crisis-464651.html

[2] http://www.timesofisrael.com/fayyad-says-palestinian-authority-faces-worst-financial-crisis-since-its-founding/

[3] http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/was-yasser-arafat-killed-by-radioactive-poison-7912693.html

[4] http://www.csmonitor.com/World/Middle-East/2009/0715/p06s13-wome.html

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