Schickt Mein Kampf zurück in die Schulen

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Wichtige Literatur kann nicht für immer unter Verschluss gehalten werden. Ein Beispiel dafür ist Mein Kampf. Bayern, das das deutsche Urheberrecht hält, hat die Veröffentlichung des Buches in Deutschland blockiert. Doch hat Bayern mit Auslauf des Urheberrechts im Jahr 2015 Pläne angekündigt, zwei neue Ausgaben zu finanzieren – die ersten auf Deutsch seit 1945, einschliesslich eines kritischen Kommentars. Das Ziel, sagen bayrische Behörden, sei es, Mein Kampf zu „entmystifizieren“ und andere Ausgaben „kommerziell unattraktiv“ zu machen.

Die jüngste Ankündigung wurde u.a. von Vertretern der Juden in Deutschland, die Mein Kampf lieber unter strenger staatlicher Kontrolle sehen, begrüsst.

Wie die meisten Klassiker wird Mein Kampf oft zitiert, aber selten gelesen; tatsächlich verdient das Buch ein sorgfältiges Studium. Veröffentlicht in zwei Bänden in den Jahren 1925 und 1926, nach der Entlassung Hitlers aus dem bayrischen Gefängnis nach dem gescheiterten Hitlerputsch im Jahr 1923, präsentiert das Werk Hitlers Lebensgeschichte, Ausbildung, Philosophie und Pläne. Indem er mit einem bescheidenen Schnappschuss seiner Familie und jungen Jahren beginnt, stellt sich Hitler als der deutsche Jedermann dar.

Hitlers Leben wird zu Deutschlands Leben. „Die Göttin der Not“, schreibt Hitler, „[nahm] mich in ihre Arme und [drohte] mich oft zu zerbrechen“. Doch „wuchs der Wille zum Widerstand, und endlich blieb der Wille Sieger“. Der literarische Wert solcher Erklärungen ist gering, aber der emotionale Appell an die deutschen Massen des Jahres 1925 – oder bayrischen Ängste von 2012 – ist offensichtlich.

Was benötigt wird, erklärt das Buch, ist, „das Volk“ zu erheben und „zu nationalisieren“, aber zuerst muss man sich den Hindernissen stellen, nämlich den „zwei Gefahren, die ich beide vordem kaum dem Namen nach kannte, auf keinen Fall aber in ihrer entsetzlichen Bedeutung für die Existenz des deutschen Volkes begriff: Marxismus und Judentum“. Vor allem der Jude, der „als Parasit im Körper anderer Nationen und Staaten“ lebt, ist schuld an der Zersetzung, die Deutschland erleidet. Das Buch, anfangs straff, wird dann aufgebauschter, bleibt aber gesättigt mit einem reinen Antisemitismus, der nicht zu übersehen ist.

Eine der Tugenden des Buches, um es so zu nennen, ist Ehrlichkeit. „Die Kunst aller wahrhaft großen Volksführer […]“, erklärt es, bestehe „mit darin, die Aufmerksamkeit eines Volkes nicht zu zersplittern, sondern immer auf einen einzigen Gegner zu konzentrieren.“ Wer dieser einzige Gegner sein wird, wird von Anfang an deutlich gemacht. Niemand, der die ersten 100 Seiten gelesen hat, sollte irgendwelche Zweifel hinsichtlich seiner Überzeugungen oder Absichten haben; und niemand, der es nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 las, sollte Zweifel daran gehabt haben, dass das rassifizierte, antisemitische, antidemokratische Programm des Buches Staatspolitik werden würde.

In seinem sogenannten „Zweiten Buch“, geschrieben im Jahr 1928, was erst 1961 veröffentlicht wurde, legte Hitler seine Aussenpolitik dar, die nicht auf Industrie und Handel, sondern auf dem expansionistischen Streben nach Lebensraum basierte. Das Zweite Buch lässt keine Zweifel an den Zielen Hitlers.

Bleibt Mein Kampf zu gefährlich für eine unkontrollierte Veröffentlichung? Die Frage ist in einem Sinne akademisch: Kopien können heruntergeladen werden und das Buch ist ein Bestseller in der muslimischen Welt. In der Tat kann das Problem sein, dass das Buch nicht genug gelesen wird – oder zumindest nicht genug an den richtigen Orten gelesen wird. Trotz seiner hohen Rankings bei Amazon ist Mein Kampf in öffentlichen Diskussionen über Faschismus und Geschichte weitgehend unsichtbar. Es wird wieder einmal nicht ernst genommen.

Warum wird Mein Kampf nicht offen an amerikanischen Schulen gelehrt? Es gibt mehrere Erklärungen. Die erste ist die Angst, dass der offene Rassismus des Buches entweder offensiv wäre oder umgekehrt Schüler radikalisieren würde. Doch vielleicht gibt es einen verderblicheren Grund. Wenn wir zugeben, dass Mein Kampf mörderische Literatur ist, die gelehrt werden muss, damit sie verurteilt werden kann, welche anderen Bücher sind wir verpflichtet zu lehren? Was ist mit kommunistischer oder islamistischer Literatur – wie Maos Das kleine rote Buch, das zu noch mehr Töten als Mein Kampf inspiriert hat? Pädagogen wollen sich wahrscheinlich nicht auf diesen gefährlichen Weg begeben, was nicht nur schade sondern eine Schande ist, weil es zu einer Weltsicht beiträgt, die Worten nicht ihren scheinbaren Wert zumisst.

Die Details von Hitlers Botschaft zu ignorieren, verwässert die äusserst bedeutsame Besonderheit historischer Erfahrungen zu generalisierten Klagen für „alle Opfer des Genozids“. Es fördert zum Beispiel die Entjudaisierung des Holocaust. Indem wir aller Opfer gedenken, gedenken wir niemandes und vergessen alle.

Mein Kampf in die Schulen zurückzustecken wirft ein letztes, noch unerwünschteres Problem auf: die Frage des Bösen, eine Frage, der zu begegnen die Schulen, einschliesslich jüdischer, möglicherweise nicht gewappnet sind. Sie fordern die Schüler auf, nach historischen Erklärungen zu suchen, die in der Politik, Kultur, Wirtschaft oder dem Irrationalen verwurzelt sind. Doch wenn die Schüler in Mein Kampf nach dem Bösen suchen sollten, würden sie es tatsächlich finden; und, indem sie es erkennen, könnten sie davon überzeugt werden, danach auch anderswo zu suchen. Dies ist vielleicht der überzeugendste Grund, weshalb das Buch gelehrt werden sollte.

Gekürzte Fassung der Originalversion: Sending Mein Kampf Back to School by Alex Joffe © Jewish Ideas Daily, May 22, 2012.

3 Kommentare

  1. Auch der bedeutende Historiker Bernard Lewis hat geschrieben, dass die Wahrheit immer irgendwo dazwischen liegt!
    Selber denken ist der beste Weg, es wird vielleicht nicht immer dem anderen gefallen, was man selber denkt. Aber das nennt sich dann Dialog.

  2. Ich muss gestehen, dass ich dieses Buch nur auszugsweise kenne. Um der Nazi- Ideologie auf den Grund zu gehen, sollte man es sich vielleicht doch einmal antun. An deutschen Schulen werden im Ethik- u. Geschichtsunterricht gewisse Formeln gebetsmühlenartig wiederholt, aber eine wirkliche Aufarbeitung findet nicht statt. So steht man immer noch vor den Trümmern der deutschen Geschichte und fragt sich, warum das alles geschehen konnte, wie Hitler den Widerstand klein halten und so großen Rückhalt in der Bevölkerung finden konnte.
    Und wer wie ich in der DDR aufgewachsen ist, traut der Geschichtsschreibung sowieso nicht mehr: Uns wurde eingetrichtert, dass die meisten von den Ermordeten Kommunisten und Sowjetbürger waren. Ja, auch Juden und Polen, aber hauptsächlich eben Kommunisten.
    Als nicht Linientreue haben wir schon damals gelernt, dass die Wahrheit eher zwischen den Zeilen steht und dass man schon selber denken muss, wenn man kein Herdenvieh sein will.

  3. Alles, was verboten scheint oder ist, macht neugierig, auch und vor allem Jugendliche und Schüler. Und gerät dann in Hände und Köpfe, die damit nichts anzufangen wissen.
    Ich habe das Buch in den späten 70er Jahren gelesen, es war so schrecklich, dort alles zu finden, was sich später bewahrheiten sollte.
    Es ist gut, wenn der Hauch des Verbotenen weggerissen wird und das Buch allgemein zugänglich gemacht wird. Aber es bedarf der Begleitung durch Menschen, die gewillt sind, sich damit auseinander zu setzen. Um Antworten geben zu können, wo fast keine Antworten möglich sind.
    Es ist ein wichtiges Buch, wenn man versuchen will, die Geschichte zu verstehen.

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