Lateinamerikas muslimisch-jüdische Beziehungen

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Rabbiner und Imame aus Südamerika eröffnen Dialog und Zusammenarbeit ihrer Gemeinden in Südamerika. Foto FFEU.
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Von der Bewegung der letzten fünf Jahre, die jüdisch-muslimische Verständigung und Zusammenarbeit zu stärken, die von religiösen Führern und Graswurzel-Aktivisten in Nordamerika und Europa initiiert worden war, waren die muslimischen und jüdischen Gemeinden in Südamerika bis vor kurzem noch grossenteils unberührt  geblieben. Diese Isolation neigt sich nun dem Ende zu.

Juden und Muslime blicken in Lateinamerika auf eine lange Geschichte zurück. Historische Quellen lassen darauf schliessen, dass Juden und Muslime, die der Inquisition entflohen sind, spanische und portugiesische Entdecker auf ihre Entdeckungsreisen nach Amerika im 15. und 16. Jahrhundert begleitet haben. Gegen Ende des 19.  und im frühen 20. Jahrhundert wuchsen beide Gemeinschaften mit den grossen Einwanderungswellen von Juden aus Osteuropa und Muslimen aus arabischen Ländern.

In Brasilien und Argentinien – in geringerem Umfang auch in Uruguay, Chile und anderen südamerikanischen Ländern – waren jüdische und muslimische Geschäftsleute lange Zeit die treibende ökonomische Kraft; oftmals verbanden gemeinsame Geschäfte und persönliche Beziehungen sie miteinander.

Bis vor kurzem gab es jedoch von den Führern beider Gemeinschaften nur relativ wenige Bemühungen, interkommunale Bindungen aufzubauen. Ein Grund dafür mag sein, dass die Mitglieder muslimischer Gemeinschaften in Lateinamerika in erster Linie aus arabischen Ländern stammen, darunter Libanesen, Syrer und Palästinenser; diese sind in der Regel zurückhaltender als Muslime aus nicht-arabischen Ländern, was den Kontakt zur jüdischen Gemeinde jenseits des Brennpunktes des israelisch-palästinensischen Konflikts angeht.

Als Folge der Anschläge von 9/11 gaben sie diese Zurückhaltung langsam auf. Arabische und muslimische Gemeindeleiter mussten sich zunehmend mit der aufkommenden Islamophobie auseinandersetzen, während jüdische Gemeindeleitungen in Südamerika sich nach einer Reihe massiver antisemitischer Vorfälle gefährdet fühlten. Zögernd begannen beide Gruppen, einander die Hand zu reichen; sie erkannten, dass gute Beziehungen zueinander in ihrem gemeinsamen Interesse waren.

Daraufhin folgten 14 jüdische und muslimische Leitungspersonen aus fünf südamerikanischen Ländern und zwei karibischen Inseln einer Einladung zu einer Reise nach Washington D.C., die von der Foundation for Ethnic Understanding (FFEU) und dem Islam Society of North America (ISAN) veranstaltet wurde. Damit beabsichtigten die beiden Organisationen, südamerikanische muslimische und jüdische Führer mit den zukunftsweisenden Bemühungen muslimisch-jüdischer Beziehungen in Nordamerika und Europa bekannt zu machen, für die FFEU und ISNA sich seit 2007 engagieren.

Nach zwei Tagen intensiven Austauschs mit hochrangigen US-Beamten und führenden muslimischen und jüdischen Führern aus Amerika Ende März kehrten Mitglieder der südamerikanischen Delegation nach Brasilien, Argentinien, Peru, Ecuador, Uruguay, Barbados und St. Croix heim, um den Prozess des Dialogs und der Zusammenarbeit zwischen muslimischen und jüdischen Gemeinden in Südamerika in Gang zu setzen.

Ausserdem fanden sie sich zu einer ersten Teilnahme am Partnerschafts-Wochenende (Twinning-Weekend) bereit, einem weltweiten von FFEU und ISNA gesponserten muslimisch-jüdischen Kongress, der seit 2008 jedes Jahr im November stattfindet. Im November 2011 schlossen sich mehr als 250 Moscheen, Synagogen und andere muslimisch und jüdische Organisationen in Partnerschaften und zu bilateralen Veranstaltungen quer durch Nord-Amerika, Europa und andere Teile der Welt zusammen.

Jüdische wie muslimische Teilnehmer der südamerikanischen Delegation gestanden ein, dass wohl mit Widerstand aus ihren jeweiligen Gemeinden zu rechnen sei von den Mitgliedern, die einer Partnerschaft mit dem „Anderen“ mit Argwohn begegnen würden; doch es war Konsens, dass es im Interesse beider Seiten liege, eine anhaltende Verständigung zu eröffnen. In der gemeinsam am Ende der Reise veröffentlichten Erklärung wird dies deutlich. Sie enthält die Verpflichtung, eine „solide muslimisch-jüdische Beziehung in unseren Ländern und Gemeinden“ aufzubauen „und unseren beiden Völkern und der Welt zu zeigen, dass Muslime und Juden fruchtbar für eine bessere Zukunft zusammenarbeiten können, indem sie eine Verbindung der Freundschaft und des Vertrauen aufbauen“.

Laut Sheikh Muhammad Yusuf Hallar aus Argentinien, dem Generalsekretär der Islamischen Organisation für Lateinamerika und der Karibik, war „diese Reise sehr wichtig für die Zukunft, weil sie einen Prozess einleiten wird, Verbindungen nicht nur zwischen den Teilnehmern, sondern zwischen den muslimischen und jüdischen Gemeinden in ganz Lateinamerika und der Karibik zu stärken”.

Und der Kommentar Rabbi Daniel Goldmans aus Buenos Aires in Argentinien geht in die gleiche Richtung: die beiden Gruppen müssten einen „gemeinsamen Zweck” verfolgen, „zusammen gegen Islamophobie, Antisemitismus und alle Formen des Fanatismus zu kämpfen“.

Insgesamt war unter den Teilnehmern zu spüren, dass der Aufbau fruchtbarer muslimisch-jüdischer Beziehungen in Lateinamerika nicht etwa eine „mission impossible“ darstellt, wie sie zunächst angenommen hatten. Tatsächlich äusserten sie sich vorsichtig optimistisch dahingehend, dass eine Stärkung der muslimisch-jüdischen Beziehungen für beide Gemeinden und für die Völker Lateinamerikas, in denen Juden und Muslime Seite an Seite leben, eine win-win–Situation ist.

Originalversion: Latin America: the next frontier in Muslim-Jewish relations by Walter Ruby © Common Ground News Service (CGNews), 22 May 2012. www.commongroundnews.org. Deutsche Übersetzung © Audiatur-Online.