„Ich will nur noch nach Hause“

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Afrikanische Immigranten im Levinsky Park. Foto Ori Bronfeld.
Lesezeit: 8 Minuten

Rund 60.000 afrikanische Immigranten leben in Israel. Sie kommen mehrheitlich aus Eritrea und dem Sudan. Ihre Reise in das Gelobte Land ist gefährlich und äusserst strapaziös: Beduinen- Clans führen sie in Gewaltmärschen durch den Sinai und schmuggeln sie dann über die Grenze. Nicht alle, die in Ägypten gestartet sind, kommen auch in Israel an. Diejenigen, die es geschafft haben, suchen nach Arbeit und einem Auskommen. Doch sie leben in Israel in einem Zustand der Duldung, ohne Arbeitsgenehmigungen oder staatliche Unterstützung…

Bezalel Jaffe Strasse, mitten im Bauhausviertel Tel Avivs. Hier treffen sich an einem Montagmorgen im Mai mehrere junge Frauen um zu helfen. Sie betreten, bepackt mit grossenKleidersäcken, die Wohnung im Erdgeschoss. In den Säcken sind aussortierte Hosen, Kleider und Hemden, die sie für afrikanischen Immigranten gesammelt haben. An einem Schreibtisch mitten im chaotischen Künstlerstudio, in dem sie die Säcke ablegen, hockt Yigal Shtayim an einem grossen Apple-Bildschirm und surft auf Facebook. Im Bücherregal neben ihm steht der für die Berlin-fanatischen Israelis obligatorisch gewordene Berlin-Führer neben einem Beuys-Bildband. Yigal Shtayim ist selbst Künstler, die Bilder, die überall um uns herum an den Wänden hängen, sind von ihm. Aber der charismatische Mann ist daneben vor allem auch Aktivist. Das sei er seiner eigenen Biografie schuldig, sagt er beiläufig mit einem Auge auf dem Bildschirm. Immerhin ist er Nachfahre von Holocaust-Überlebenden. Seine Oma hatte einen Hutladen auf dem Kurfürstendamm in Berlin.

Allerdings befasst sich Yigal nicht mit dem modernen Antisemitismus oder der Shoah-Forschung, Shtayim kämpft für die Rechte der afrikanischen Immigranten in Israel. Neben der Organisation von Kleiderspenden für die Afrikaner hat er gemeinsam mit Orly Feldheim die „Levinsky Suppe“ gegründet. Täglich treffen sie sich im Levinsky-Park, nahe des Immigrantenviertels Hatikwa, und verteilen Suppe. Besonders im letzten, für Israel ungewöhnlich regnerischen Winter befanden sich nicht wenige Immigranten in einem kritischen Zustand. Verletzungen, die ihnen von Beduinen oder Ägyptern auf dem strapaziösen Weg nach Israel zugefügt wurden, Schusswunden, Verbrennungen, Stiche, waren nicht richtig verheilt. Und wer keine Arbeit gefunden hatte, konnte sich oftmals weder Essen noch eine trockene Unterkunft leisten.

Die Proteste gegen die Afrikaner werden zunehmend gewalttätiger

Hatikwa ist einer der ärmeren Stadtteile in Tel Aviv – hebräisch für Hoffnung, gibt es davon hier nur wenig. Eine Brücke entfernt vom zentralen Busbahnhof wohnen in Hatikwa nicht nur viele Afrikaner, sondern auch Einwanderer aus Russland und Juden, deren Vorfahren einst irgendwo im Orient lebten und die selbst nach der Staatsgründung Israels flüchten mussten. Es ist nicht gerade die liberalste, offenste Gegend. Die Schwarzen werden von der mehrheitlich konservativ bis rechts wählenden Bevölkerung abfällig als „Kushim“ bezeichnet, zu Deutsch in etwa „Neger“. Die Bewohner von Hatikwa und anderer Viertel im Süden Tel Avivs protestieren seit Jahren, zunehmend wütender und gewalttätiger, gegen die steigende Zahl afrikanischer Bewohner. Den beschwichtigenden Stimmen der Liberalen, die meist in besseren Stadtteilen wohnen, setzen sie entgegen, dass sie immerhin mit den Flüchtlingen zusammen leben müssen. Und sozusagen die Probleme vor der Haustür haben.

Auch Jacob* lebt in Hatikwa. Der 30-Jährige Sudanese ist vor vier Monaten nach Israel gekommen. In seinem Gesicht sind ein paar Kratzer und Risse, seine Haut schimmert im Schatten noch etwas dunkler als sie eigentlich ist. Er trägt einen kurz rasierten Oberlippenbart. Seine Schuhe sind abgewetzt. Aber sein blaues, langärmliges Shirt und die karierte Stoffhose sehen neu aus. Sie stammen ebenfalls aus Spenden von Israelis. „Ich bin aus der Region Kordofan im Norden Sudans. Ich habe für 80 Dollar ein Flugticket nach Ägypten gebucht und bin von dort für 500 Dollar von Beduinen in ein-zwei Tagen Fussmarsch über die Grenze nach Israel gebracht worden. Wir waren 15 Männer, die gemeinsam gekommen sind.“ Jacob berichtet, dass viele der Afrikaner auf dem Sinai von Beduinen gekidnappt und gequält werden, um noch mehr Geld von den Familien zu erpressen. Sogar von Organraub wird berichtet. Und dann müssen die Flüchtlinge auch noch die Grenze überwinden, an der die Ägypter auf alles schiessen, was sich bewegt. Er selbst hatte Glück, die Beduinen hatten den Blick der ägyptischen Soldaten mit Bestechungsgeldern in die andereRichtung gelenkt.

Angekommen in Israel wurde Jacob einige Tage im Gefängnis in Eilat inhaftiert, befragt und von Ärzten untersucht. Dann setzte man ihn in den Bus nach Tel Aviv. Als er ankam, war er schockiert: „Wir Sudanesen leben und arbeiten überall auf der Welt, aber fast nirgendwo geht es uns so schlecht wie hier in Israel. Wir leben hier nicht in Würde, müssen auf der Strasse schlafen oder um Essen betteln. Wir dachten, dass wir in Israel arbeiten und Geld verdienen können. Aber es gibt keine Arbeit hier, denn es gibt viel zu viele Afrikaner, die nach Arbeit suchen.“

Bis zu 1.000 neue Immigranten strömen monatlich ins Land

Ungefähr 60.000 afrikanische Immigranten leben in Israel, 40. bis 45.000 von ihnen kommen aus Eritrea, rund 15.000 aus dem Sudan, die restlichen Einwanderer stammen aus dem Kongo, Äthiopien oder der Elfenbeinküste. Nach Angaben des „Entwicklungszentrums für afrikanische Flüchtlinge“ (ARDC) sind mehr als 90 Prozent der Afrikaner nach 2007 ins Land gekommen, nur 15 Prozent sind weiblich. Zwar hat auch Israel das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951, gemeinsam mit Ägypten und dem Jemen als einzige Länder in der Region, unterschrieben, jedoch gibt es kein Asylrecht, welches die Situation der Afrikaner regelt. Bis vor wenigen Jahren war es auch nicht notwendig, die einzigen Einwanderer, die nach Israel kamen, waren jüdisch oder Gastarbeiter. Da aber Israel der einzige demokratische Industriestaat ist, der aus Afrika über den Landweg erreicht werden kann, strömen nun monatlich bis zu 1.000 neue Immigranten mit der Hoffnung auf ein besseres Leben ins Land. Eine riesige Zahl für ein Land mit nur knapp 7,8 Millionen Einwohnern, das über eine der höchsten Bevölkerungsdichten der Welt verfügt. Schon jetzt sind die Immobilienpreise, die im vergangenen Sommer Hunderttausende Demonstranten auf die Strasse getrieben haben, auch deswegen so hoch, weil es nicht genug Land gibt.

Ein Gang in das israelische Innenministerium in Tel Aviv, Sammelstelle für alle Einwanderer, veranschaulicht die blosse Statistik: An einem Montagmorgen stehen hunderte Afrikaner vor dem Eingang. Drinnen sind die Gänge bereits überfüllt, überall füllen dunkelhäutige Männer auf dem Boden sitzend und an Wänden stehend Formulare aus, die ihren Aufenthalt in Israel regulieren sollen. Die Behörden sind damit schlichtweg überfordert, die Einwohner Israels auch. Die israelische Gesellschaft mit seinen jüdischen Einwanderern aus so vielen verschiedenen Kulturen, der arabischen Minderheit, den Ultraorthodoxen – sie ist kompliziert genug und krankt schon an sich selbst. Und nun noch die vielen Immigranten aus Afrika. Israelische Politiker suchen händeringend nach Möglichkeiten, wie sie die Afrikaner wieder loswerden können. Abschiebungen sind nicht möglich, Israel unterhält keine diplomatischen Beziehungen zu Eritrea oder dem Sudan. Lediglich mit dem neu gegründeten Süd-Sudan pflegt das Land Kontakt, aber die wenigsten Immigranten kommen aus dem Süd-Sudan. Und so beschränken sich viele Regierungsmitglieder darauf, die Afrikaner zu verdammen – echte Lösungen liefern sie nicht.

„Die Sudanesen sind wie ein Krebsbefall unseres Körpers.“, Worte wie diese von der Knesset- Abgeordneten Miri Regev (Likudpartei) heizen die Stimmung im Süden Tel Avivs weiter an. Die Israelis aus dem sozial schwächeren Teil der Stadt behaupten, dass die Afrikaner ihnen mit ihren
Dumpinglöhnen Arbeitsplätze wegnehmen. Und dass sie, weil sie zu dritt in einem Zimmer leben, die Mieten hochtreiben. Der Angst zuträglich sind die Zeitungsberichte von immer mehr Kriminalität. Anfangs ging es vor allem um Prügeleien unter den Afrikanern selbst. Mittlerweile
schreiben die Zeitungen von Raub, Einbruch und Vergewaltigungen. „Viele, die nichts zu tun haben, kein Einkommen, keine Ziele, fangen an, zu trinken. Oder rauchen Haschisch. Das ist ja alles verfügbar und billig hier. Sie saufen, werden abhängig und machen schlimme Sachen. Die tun dann alles, um an mehr Alkohol zu kommen.“, erzählt Jacob besorgt.

Sind die Immigranten politisch Verfolgte oder Wirtschaftsflüchtlinge?

Ende der siebziger Jahre hat die israelische Regierung zwischen 200 und 400 Vietnamesen Asyl angeboten, die meisten leben heute als israelische Bürger im Land. 2007 haben mehrere Hundert Darfur-Flüchtlinge die israelische Staatsbürgerschaft erhalten. Aber das war vor fünf Jahren, mittlerweile ist die Zahl der meist muslimischen Ankömmlinge aus Afrika zu hoch, als das man allen einen festen Platz in der israelischen Gesellschaft anbieten möchte. „Das Phänomen der illegalen Eindringlinge aus Afrika ist extrem ernst und es bedroht Israels soziales Gefüge und die nationale Sicherheit. Wenn wir dieses Problem nicht lösen, werden aus 60.000 Eindringlingen schnell 600.000, das könnte das Ende des Staates Israel als jüdischer und demokratischer Staat bedeuten.“, erklärte Benjamin Netanjahu bei einer Kabinettssitzung in der vergangenen Woche.

Das Wort „Eindringling“ benutzt die Regierung kontinuierlich für die Afrikaner – dem entgegen sprechen Hilfsorganisationen unermüdlich von „Flüchtlingen“. Die Geister scheiden sich im Land an den Definitionen. Sind die Afrikaner politisch Verfolgte oder Wirtschaftsflüchtlinge? Wirtschaftsflüchtlinge sind keine Flüchtlinge im Sinne des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen und haben in der Regel kein Recht auf Asyl und Niederlassung. Lediglich in acht Fällen von fast 1.000 Anträgen auf Asyl wurde im vergangenen Jahr in Israel ein positiver Entscheid gefällt.

Jacob hofft inzwischen nur noch darauf, dass ihm die Regierung ein Flugticket zurück in den Sudan anbietet, wie sie es bereits mit einigen anderen Immigranten getan hat: „Ich will nur noch nach Hause. Es ist besser für mich im Sudan zu leben, da kann ich wenigstens arbeiten. Ich werde verrückt, wenn ich nicht arbeiten kann.“ Der junge Afrikaner hat die Hoffnung aufgegeben, einen Job zu finden. Wenn die Immigranten illegal Arbeit finden, können sie gut zwischen 1.000 und 1.500 Dollar im Monat verdienen. Ein potentieller Verdienst, für den sich der anstrengende Weg nach Israel immer noch lohnt – aber viele Afrikaner wissen laut Jacob nicht, wie angespannt die Situation in Israel mittlerweile ist.

„Es werden so viele Gastarbeiter nach Israel gebracht, was eigentlich unnötig ist, denn es gibt genug Arbeitslose im Land. Aber kein Israeli will mehr in der Landwirtschaft oder Altenpflege arbeiten. Warum lässt man denn die Afrikaner nicht auch arbeiten? Eben genau in diesen Bereichen?“, fragt Yigal Shtayim ärgerlich. Aktuell werden die Arbeitgeber, die Afrikaner illegal anstellen, nicht belangt. Das soll sich jedoch in Zukunft ändern. Die Situation der Immigranten wird dann noch auswegloser. Und für den Aktivisten Shtayim gibt es dann noch mehr zu tun.

*Name von der Redaktion geändert

Katharina Höftmann, Israel Zwischenzeilen, Hg. Gesellschaft Israel-Schweiz, 28.05. – 03.06.2012

1 Kommentar

  1. Die Unterscheidung von politsch Verfolgten und Leuten, die aus Hunger fliehen, konnte ich noch nie nachvollziehen. Schließlich sind sie alle in Lebensgefahr.
    Ich finde es unglaublich, wie stark der Rassismus in Israel ist. Unter denen, deren Eltern und Großeltern furchtbar unter Hitlers Politik gelitten haben.
    Wenn Rassisten in der Regierung das Sagen haben, dann ist das Apartheid – oder?
    Was du nicht willst, dass man dir´s tu´, das füg auch keinem anderen zu!

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