Assads russische Lebensader

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Es ist kaum ein Ort vorstellbar, der vom zerrissenen Nahen Osten weiter entfernt ist als der ukrainische Hafen Oktyabrsk am Fluss Burg 58 Kilometer nördlich von Zugang zum Schwarzen Meer. Doch in der internationalen Struktur, die der Assad-Diktatur in Syrien das Überleben ermöglichte, spielte er eine wichtige Rolle.

Oktyabrsk ist der wichtigste Punkt, von dem aus Schiffe mit russischen Waffen an Bord ihre Reise über das Schwarzes Meer und den Bosporus zum russischen Tiefseehafen Tartous, Syrien, antreten; diese Waffen versichern das Überleben des Assad Regimes. Die Schiffsladungen sind ein lebenswichtiger Teil von Moskaus unermüdlichen Anstrengungen, eine Revolution in Syrien zu verhindern.

Und international wurde ihnen nicht genug Aufmerksamkeit zuteil.

Wenn Syrien der zentrale Ort ist, um die Geschehnisse im Nahen Osten zu verstehen, dann stehen die Zeichen nicht gut. Während der Westen es vorzieht, sich aus dem Chaos im Nahen Osten zurückzuziehen, haben nicht-westliche Mächte andere Interessen. Wie die zielgerichtete und leistungsfähige Reihe von Waffen zeigt, verbindet Moskaus Syrienpolitik klare Ziele mit einer brutalen Effektivität bei der Umsetzung.

Warum ist Russland so entschlossen, Assads Herrschaft aufrechtzuhalten? Wirtschaftliche Aspekte sind ein Grund. Im vergangenen Jahrzehnt ist der russische Waffenexport nach Syrien drastisch angestiegen. Dem jüngsten Bericht des Stockholm Peace Research Institute (SIPRI) zufolge stammen 95 Prozent aller syrischen Waffenimporte zwischen 2007 und 2011 entweder aus Russland (78 Prozent) oder aus seinem Satelliten-Staat Weissrussland (17 Prozent). Die übrigen fünf Prozent der Waffenimporte, so SIPRI, kamen aus dem Iran. Doch auch der Iran beliefert Syrien grossenteils mit russischen Waffensystemen.

Moskaus Wirtschaftsinteressen in Syrien beschränken sich allerdings nicht auf den Waffenimport. Russische Firmen sind in hohem Masse an Projekten zum Aufbau der Infrastruktur beteiligt, ebenso an der Öl- und Gasförderung. Russlands Gesamtinvestition in Syrien belief sich 2009 auf 19.4 Milliarden US-Dollar.

Zum zweiten gibt es strategische Gründe für Russland, in Assads Herrschaft zu investieren. Der Marinestützpunkt in Tartous gibt der russischen Marine die Möglichkeit zu Operationen im Mittelmeer; so kann das Rote Meer durch den Suez-Kanal und der Atlantik durch die Strasse von Gibraltar in kürzerer Zeit erreicht werden.

Den unruhigen Stützpunkt in der Levante aufrecht zu erhalten, gibt den Russen ein  Instrument in die Hand, mit dem sie beim Westen vor seiner eigenen Haustür für eine Störung oder politischen Druck sorgen können. Moskau seinerseits sieht sich durch die NATO-Osterweiterung bedroht; das ist noch auf die Zeit des Kalten Krieges zurückzuführen.

Noch nebulöser ist die Furcht Russlands vor der Ausbreitung des Islamismus in den Nord-Kaukasus und nach Zentralasien.

Und schliesslich liegt Russlands Unterstützung Assads im eigenen Interesse.

So sagte ein Offizier der Freien Syrischen Armee in Antakya unserem Reporter, das Syrien nach Assad werde „von Russland weder anhängig sein, noch Beziehungen unterhalten, noch Waffen annehmen“.

Wie wichtig sind russische Waffen für Assads Überleben? Sie sind nur eine, aber eine lebenswichtige Komponente in der internationalen Koalition hinter Bashir al-Assad.

Die iranischen Quds-Einheiten und die Hisbollah sind vor Ort und nehmen am direkten Kampf teil, wo es nötig ist, während Russland und China in der UN alle Versuche ernsthafter Aktionen gegen das Regime blockieren.

Wenn die russische Lebensader nicht mehr zugänglich wäre, würden der Iran, China oder Nord-Korea versuchen, die Lücke zu schliessen. Aber einstweilen ist es Russland, das das eiserne Lebensblut in die Venen des Regimes pumpt.

Dagegen tritt die Freie Syrische Armee weiterhin mithilfe dürftiger Waffenschmuggel-Operationen über die Berge der Türkei und des Libanons an und mit der Unterstützung aus unzähligen und verstreuten Kanälen sunnitischer Islamisten, von Geldern aus Katar und Saudi-Arabien. Und immer noch werden Demonstranten getötet.

In der Zwischenzeit sichert der Westen weiterhin den totgeborenen Friedensplan Kofi Anans ab, und die verlorenen Beobachter der UN-Blauhelme sind in den Teilen Syriens unterwegs, die sie betreten dürfen.

Die Obama-Regierung könnte gut weiter versuchen, Russland von der Notwendigkeit von Assads Abtritt zu überzeugen. Washington erkennt ganz richtig, dass allein Moskau die Macht  haben könnte, Assad zum Rücktritt zu zwingen. Das Problem ist nur, dass Russland kein Interesse zeigt, den USA zu helfen, und seinem Klienten bis zum Ende Rückhalt gibt; damit wird deutlich, dass es das Wesen der Beziehung zwischen Patron und Klient im Nahen Osten sehr gut versteht: und wenn der Diktator überlebt, wird der Triumpf Moskaus und Teherans von den Eliten in der Region bemerkt werden – genauso wie das unglückliche Versagen des Westens.

Mord und Chaos in Syrien gehen weiter. Im stillen Hafen Oktyabrsk werden Waffen und Munition geladen. Russland häuft auf traditionelle Weise politisches und strategisches Kapital an, durch einen starken Willen, klare Richtung und die Sicherung von Klienten –  gegenüber einer westlichen Politik, die sich in völliger Unordnung befindet.

Originalversion: Assad’s Russian Lifeline by Jonathan Spyer © GLORIA Center, May 13, 2012.