Ist Syrien dabei, die Türkei in einen Krieg zu ziehen?

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Zerstörtes Gebäude in Homs, Syrien. Foto Bo Yaser. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
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Seit der ersten Welle von Aufständen in Syrien und der immer heftiger ausfallenden Reaktion Präsident Baschar al-Assads hat die Türkei ihre Position gegenüber dem Baath-Regime deutlich verlagert.

Bis vor Kurzem – insbesondere, seit die Türkei Distanz zu Israel sucht – glaubte Ankara noch, Assad liesse sich durch sanften Druck und das Angebot, Syrien via die Türkei näher an den Westen heranzurücken, beeinflussen. Deshalb strebte Ankara 2009 eine strategische Partnerschaft mit Damaskus an; entsprechende Annäherungen fanden in gemeinsamen Militärübungen und türkisch-syrischen Kabinettsitzungen ihren Höhepunkt.

Architekt dieser Politik ist der türkische Aussenminister Ahmet Davutoğlu – ein idealistischer Akademiker, der in einem schwierigen Umfeld auf Machtpolitik verzichtete. Stattdessen befürwortete er eine Entspannung mit den Nachbarn der Türkei (Doktrin der „Null Probleme“), um so Ankaras Einfluss in den historischen Gebieten des Osmanischen Reichs auszuweiten. Mit der Ausbreitung des „arabischen Frühlings“ auf Syrien versuchte Davutoğlu Assad zur Einführung demokratischer Reformen zu bewegen; doch das Regime fuhr mit der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste fort. Schliesslich erwartete Ankara, das Assad-Regime würde fallen. Seither hat sich die türkische Rhetorik gegen die Diktatur verschärft – und kritisiert Assad zunehmend härter. Mittlerweile ist die Türkei Hauptunterstützer der syrischen Opposition und hat das politische Zentrum des Syrischen Nationalrats sowie das Hauptquartier der Freien Syrischen Armee aufgenommen.

Die Krise in Syrien stellt die gut gemeinte, doch unrealistische türkische Aussenpolitik der letzten Jahre in Frage und zwingt die Türkei, den tatsächlichen aktuellen Verhältnissen im Nahen Osten ins Auge zu sehen. Derzeit versuchen türkische Entscheidungsträger, durch die Unterstützung der sunnitischen Opposition einen neuen syrischen Partner anstelle des alewitischen Regimes zu schaffen. Ein sunnitisches Regime in Syrien würde helfen, Irans schiitischen Expansionismus in der Region auszugleichen.

Doch Assad überlebt, vom Iran unterstützt, weiter und gewinnt Zeit. Auch hat er seine Unterstützung der Terrorgruppe PKK ausgeweitet. Syrisch-kurdische Kräfte innerhalb der Organisation – die von jeher enge Verbindungen zum syrischen Geheimdienst unterhalten – wurden in den letzten Monaten sogar aktiver. Quellen in der türkischen Presse zufolge haben Mitglieder des syrischen Geheimdienstes begonnen, innerhalb der PKK zu agieren. Diese versucht, aus dem „arabischen Frühling“ einen „kurdischen Frühling“ zu machen und auf türkischen Strassen gewaltbereite Banden zu mobilisieren.

Irans schiitischer Expansionismus in der Region macht das Land – im Zusammenspiel mit seinen besonderen Interessen in Syrien und am dortigen Nuklearprogramm – zu einem bedeutenden Rivalen für die Türkei. Irans Einfluss wird zudem im Irak spürbar, der im Grunde von pro-iranischen Kräften kontrolliert wird. Die Stärkung des schiitischen Blocks zeigt sich auch im Gipfeltreffen der arabischen Liga Ende März im Irak: Erstmals richtete ein schiitisch geführter Staat das Treffen aus.

So sieht Ankara sich gegenwärtig einem schiitischen Halbmond von Teheran über Bagdad bis Damaskus gegenüber – bei gleichzeitigem Anstieg von Terrorakten seitens der PKK. Ein solches sicherheitspolitisches Umfeld erinnert an die drohende strategische Landschaft der 1990er-Jahre. Eine unterstützende strategische Partnerschaft Israels steht türkischen Entscheidungsträgern heute jedoch – anders als damals – nicht zur Verfügung. Zwar werden Saudi-Arabien und Qatar die Freie Syrische Armee finanziell unterstützen, der iranisch geführten Allianz indes kaum etwas entgegensetzen können.

Angesichts der Veto-Mächte Moskau und Beijing im UN-Sicherheitsrat, der entschlossenen Unterstützung Teherans und der mangelnden Bereitschaft des Westens zu einer militärischen Option gegen Assad könnte dieser selbst inmitten eines Bürgerkriegs internationalem Druck widerstehen. Ein solcher Krieg könnte zu einer regionalen Konfrontation zwischen den schiitischen und sunnitischen Blöcken führen – und die Türkei mit hineinziehen.

Ein Bürgerkrieg in Syrien birgt für Ankara zweierlei Gefahren. Zum einen könnte sich die Türkei allein einer von Teheran geführten Allianz gegenübersehen; zum anderen könnte die Gewalt in Syrien ähnliche Resultate bringen wie die Invasion im Irak 2003 – was die Errichtung einer kurdischen Autonomiezone im Norden Syriens unter der Herrschaft der PKK bedeuten würde. Sie könnte eine Zufluchtszone für Terroristen und/oder ein Bindeglied zum Kurdengebiet im Irak werden.

Während die Unruhen in Syrien andauern und die Sicherheitslage der Türkei sich verschlechtert, könnten zwei Faktoren eine einseitige Militärintervention der Türkei herbeiführen.

Die Zusammenstösse in Syrien könnten eine Flüchtlingskrise grösseren Ausmasses auslösen – die Ankara zwingen könnte, eine Pufferzone auf syrischem Gebiet einzurichten. Obwohl die Verhinderung einer humanen Katastrophe voraussichtlich als Rechtfertigung für die Intervention dienen würde, kommt die Einrichtung einer solchen Pufferzone in Syrien einer Militäroperation gleich. Wenn Damaskus darauf mit Gewalt reagiert, wird Erdoğan wahrscheinlich türkische Streitkräfte gegen die syrische Armee entsenden. Ein solches Vorgehen dürfte jedoch kaum Unterstützung in der türkischen Öffentlichkeit finden.

Eine zweite militärische Option für die Türkei bestünde darin, sich gegen zunehmende Terrorakte der von Syrien unterstützten PKK zu verteidigen. Anders als im ersten Fall würde der Kampf gegen Terrorismus und die Sicherung der nationalen Einheit gewiss die Unterstützung einer türkischen Mehrheit ernten. Irans mögliche Antwort auf eine türkische Intervention in Syrien jedoch wird Ankaras Handlungsfreiheit in nicht unerheblichem Masse einschränken.

Originalversion: Is Turkey Getting Dragged Into War with Syria? by Dr. Can Kasapoğlu © BESA Center Perspectives Paper No. 170, April 18, 2012.

6 Kommentare

  1. Danke für die Freischaltung. Um genau zu sein, hieß es in dem Bericht vom 2.4.2012, seit Beginn der Revolte in Syrien seien 1200-1500 PKK-Kämpfer aus der Türkei mit ausdrücklicher Billigung des Regimes in Damaskus in Syrien eingesickert, die PKK übernehme Geheimdienstarbeit und bestrafe syrische Kurden für die Teilnahme an Demonstrationen.
    Ein Vertreter des syrischen Flügels der PKK, PYD, habe dies
    zurückgewiesen: in Syrien sei die PYD aktiv, und diese sei höchstens im Selbstverteidigungsfall zur Gewalt bereit.
    Irakische Kurden hätten dagegen gesagt, es gebe keinen Unterschied zwischen PKK und PYD.
    Teile der Kurden hätten gewagt, gegen die PKK zu kämpfen, müssten aber gleichzeitig Verfolgung durch Unterstützer der PKK und Verletzungen durch Kollateralschäden bei Angriffen der Türkei auf die PKK befürchten.
    In älteren Berichten über die PKK im Irak wurde der iranische Geheimdienst als Unterstützer bezeichnet.

  2. Ach ja, die syrische PKK soll vom syrischen Geheimdienst unterstützt worden sein, um Angriffe auf die feindliche Türkei zu fördern, das habe ich auch einmal im Internet gefunden. Das wird ja auch über Pakistan in Bezug auf die afghanischen Taliban behauptet, weil Afghanistan und Pakistan wegen ihrer Grenzen häufiger Krieg geführt
    und voreinander Angst haben.
    Es ist wohl doch möglich. Schiiten und Sunniten haben
    in der Türkei auch friedlich nebeneinander gelebt, in vielen Ländern soll das gegangen sein, habe ich gelesen.
    Ihr Artikel war sehr anregend.

  3. Wenn Syrien die (ua) von der Türkei gepäppelten Djihadisten bis auf türkischen Boden verfolgen würde?
    Dieser Satz enthält bereits einen der "störenden Fakten" (um "Mißverständnissen vorzubeugen: wie kann man bewaffnete Rebellen als "Opposition" bezeichnen, zumal ja wohl selten eine nationale Opposition von Angehörigen eines oder meherer anderer Staaten maßgeblich und ganz offiziell gefördert wird, in Libyen, Agypten usw war das noch "geheim").
    Wer Terroristen als "Freie Syrische Armee" bezeichent, auch wenn diese einen nicht ganz unschuldigen Despoten treffen, und im Gegensatz zu mir diesen Begriff (FSA) nicht in Anführungszeichen präsentiert, der legt eine gewisse Intention offen.
    Denken Sie an die Juden in Libyen, Ägypten uswusf.
    Kann es in Ihrem Interesse sein, diese Zustände in Syrien ebenfalls zu etablieren?
    Mein Interesse an derartigen Angelegenheiten (seit über 25 Jahren) macht mich da nicht unbedingt zum allwissenden Experten.
    Jedoch fällt sogar völligen Außenseitern die eigenartige Berichterstattung in Bezug auf das "Baath Regime" mehr und mehr auf.
    Ich will einfach nicht glauben, daß ein, wenn auch autoritärer SEKULARER Herrscher aus Ihrer Sicht die schlechtere Wahl ist als ein entfesselter djihadistischer Mob. Das jedenfalls ist meine Wahrnehmung.

  4. In dem Beitrag ist keine Rede davon, dass Syrien ein Nato-Land überfallen könnte.
    Was sind denn die "störenden Fakten", die angeblich unsichtbar gemacht werden?

  5. Man kann es kaum glauben.
    Die Türkei unterstützt den bewaffneten Kampf gegen die Regierung eines Nachbarstaates.
    Das ist ein kriegerischer Akt. Ohne Kriegserklärung.
    Und dann diese Überschrift hier.
    Syrien überfällt ein NATO-Land? Ein wenig hölzern erscheinen die mir schon, aber nicht so, als ob sie einen wahnsinnigen Selbstvernichtungsdrang hätten.
    Man muß Assad nicht mögen. Wer allerdings, im direkten Vergleich, den Erdogan dagegen als harmlos verkauft, der verkauft auch tote Pferde als Hochleistungssportler.
    Da können auch keine wirren Aussagen zum Verhältnis Iran / Syrien / Türkei genug Nebel liefern, um die störenden Fakten unsichtbar zu machen. Ich empfinde diesen Artikel als böswillige Propaganda. Das hätte ich hier nicht erwartet.

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