„Wenn Ihr uns stecht – bluten wir nicht?“

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Das Habima-Theatre in Tel Aviv. Foto PikiWiki Israel 14066. Lizenziert unter CC BY 2.5 via Wikimedia Commons.
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In Shakespeares Kaufmann von Venedig protestiert Shylock zu Recht gegen Äusserungen bösartigen Antisemitismus‘. Heutzutage erscheint es auf Recht und Gerechtigkeit Bedachten geboten, gegen ungerechte Angriffe auf Israels Institutionen, seine Kultur und seine Menschen zu protestieren, die von einigen europäischen Wissenschaftlern gegenüber israelischen Kollegen ebenso erhoben werden wie von jenen Gruppen, die keine Gelegenheit auslassen, um die Palästinenser zu unterstützen und Israel zu verurteilen.

Diese Gruppen messen in ihren wie vom Band abgelieferten kritischen Kommentaren zum Verhalten Israels stets mit zweierlei Mass und erwähnen nur selten Menschenrechtsverletzungen anderer Länder. Ob vorsätzlich oder nicht: Die europäischen Wissenschaftler tendieren dazu, die Darstellung der Palästinenser zu ihrer Geschichte und ihren gegenwärtigen Lebensbedingungen – die auf Negativbildern, Mythen und bösartigen Stereotypen über Israel und die Juden basieren – zu akzeptieren.

Wer sich an der Kampagne gegen Israel beteiligt, sollte sich indes an Shylocks Worte für seine Ankläger erinnern: „Ihr habt viele gekaufte Sklaven, die Ihr … benutzt zu niedrigsten und sklavischen Diensten“. Gewiss, jene europäischen und amerikanischen Akademiker, die seit geraumer Zeit nach einem Boykott israelischer Gelehrter und Universitäten rufen, sollten sich dessen bewusst sein. Vor Kurzem nun haben Künstler und Kulturschaffende ebenfalls zum Boykott einzelner israelischer Kulturveranstaltungen aufgerufen – und dazu, Druck auf Israel auszuüben, damit es seine Politik insbesondere hinsichtlich dessen, was sie als „illegale Besetzung besetzter Gebiete“ bezeichnen, ändert.

Am 29. März 2012 veröffentlichte die britische Zeitung The Guardian einen von 37 Schauspielern, Dramatikern und Produzenten unterzeichneten Brief; darunter befinden sich auch Prominente wie Emma Thompson, Mark Rylance, Mike Leigh, David Calder und Jonathan Miller. In ihm wird das Londoner Globe-Theater aufgefordert, seine Einladung an das Habima-Theater (seit 1958 Israels Nationaltheater) zurückzuziehen; die Einladung, seine Inszenierung des Kaufmanns von Venedig in London zu zeigen, erfolgte im Rahmen des im Mai diesen Jahres beginnenden World Festival, bei dem 37 Shakespeare-Stücke in 37 Sprachen gezeigt werden sollen,.

Der angebliche Grund für den Boykottaufruf bestand darin, dass das Habima-Theater in der Kulturhalle zweier nicht genannter israelischer Siedlungen aufgetreten war. Dabei handelt es sich zum einen um Kiryat Arba, einer 1968 gegründeten Siedlung am Stadtrand von Hebron – wo 1929 Juden von Arabern ermordet wurden –, zum anderen um die 1978 gegründete Siedlung Ariel, etwa 16 Kilometer von der Grünen Linie entfernt.

Es war nicht das erste Mal, dass Gruppen eine Aufführung aus Israel zu verhindern versuchten. Dem Brief im Guardian war im Januar 2012 der an den Direktor des Globe-Theaters vorausgegangen; unterzeichnet war dieser von einer Gruppe Israelis – offenbar jüdische und arabische Staatsbürger Israels –, die sich „Boycott from Within“ („Boykott von innen“) nennt und 2009 gegründet wurde. Bereits im August 2011 wurde ein Konzert des Israel Philharmonic Orchestra (IPO) in der Londoner Royal Albert Hall – bei dem Werke von Anton Webern, Max Bruch und Nikolai Rimski-Korsakow zur Aufführung kamen und das von der BBC gesponsert wurde – von palästinensischen Demonstranten und ihren Unterstützern gestört. Ihr flegelhafter Auftritt führte erstmals zur Absetzung einer Live-Übertragung im Radio. 23 Musiker hatten damals einen Brief in der britischen Zeitung The Independent veröffentlicht, in dem sie die BBC dafür geisselten, das IPO eingeladen zu haben.

In all diesen Fällen übersteigt das Ausmass an Ignoranz, Böswilligkeit und blinder Ideologie das einer Farce; sie sind Ausdruck purer Verleumdung. Man wird schwerlich die Sicht der 23 Musiker teilen können, das IPO sei Israels wichtigste Waffe bei der Verweigerung von Menschenrechten. Ebenso wenig lässt sich die Haltung akzeptieren, der Auftritt amerikanischer Jazzkünstler wie McCoy Tyner und Cassandra Wilson in Israel könne als Unterstützung für die israelische Politik der „ethnischen Rassentrennung und Apartheid“ betrachtet werden, wie Demonstranten verkündeten. Noch schwerer fällt es, den Schauspieler David Calder – einer der Unterzeichner des Briefes im Guardian, der selbst schon als Shylock bei der Royal Shakespeare Company auf der Bühne stand – und die von ihm zitierte Äusserung ernst zu nehmen, dass Habima ein „kulturelles Feigenblatt“ für Israels alltägliche Brutalität sei.

Der Brief im Guardian spricht davon, das Globe-Theater bringe sich „in Verbindung mit der von Israel betriebenen und vom israelischen Nationaltheater gebilligten Politik der Ausgrenzung“. Jeder objektive Beobachter sollte und könnte – anders als die 37 Unterzeichner – das breite Spektrum an Produktionen des Habima kennen: Das Theater hat Stücke zu einer Vielzahl von Themen, darunter eine Reihe israelkritischer, herausgebracht und verfolgt weder eigene politische Ziele, noch agiert es nach Vorgaben von aussen.

Obwohl einige der Unterzeichner – so wie Emma Thompson und Mark Rylance, beide hervorragende Bühnen- und Filmschauspieler – gewiss nicht als kenntnisreiche Analysten der Geschichte und gegenwärtigen Politik im Nahen Osten gelten können, sind andere wie Caryl Churchill und Mike Leigh durchaus bekannt für ihre notorische Kritik an Israel. Es ist zu bedauern, obgleich verständlich, wenn Emma Thompson und andere nicht vollständig über das komplexe Thema der umstrittenen Gebiete oder die historische Verbindung der Juden zu diesem Land im Bilde sein sollten.

Das Argument des Briefes, die Aufführung des Habima-Theaters mache sich mitschuldig an den Menschenrechtsverletzungen und der illegalen Kolonisierung der besetzten Gebiete durch Israel, impliziert indes Dreierlei: Die Verfasser benötigen Nachhilfeunterricht zu den Feinheiten des Völkerrechts sowie zu den Fragen des Nahen Ostens; durch ihr Schweigen machen sie sich implizit der Duldung von Menschenrechtsverletzungen nicht nur seitens der chinesischen Theatercompany schuldig – deren Herkunftsland Tibet besetzt hält und die Richard III auf Mandarin aufführen wird –, sondern auch der Gruppe aus der die Kurden unterdrückenden und Zypern besetzt haltenden Türkei – die mit ihrer Produktion von Antonius und Kleopatra nach London kommt – sowie des russischen Theaters, das Mass für Mass zeigen wird. Darüber hinaus missachten sie die Tatsache, dass das Habima das bekannteste und höchst anerkannte Theater hebräischer Sprache weltweit ist.

Es betrübt zutiefst, sollten prominente Vertreter aus Musik und Theater in ihren voreingenommenen Ansichten zur israelischen Politik und in ihrem fehlenden Verständnis der Realitäten im Nahen Osten derart umnachtet sein. Und die grösste Ironie liegt vielleicht darin, dass es sich die hervorgerufene Kontroverse um eine unparteiisch getroffene Entscheidung des Globe-Theaters dreht. Die 37 Unterzeichner des Briefes sollten auf die blaue Gedenktafel aufmerksam gemacht werden, mit der draussen, vor dem Theater, Sam Wanaker, der amerikanische jüdische Schauspieler, geehrt wird. Er war 1952 trotz seiner anerkannten Dienste in der US-Armee während des Zweiten Weltkriegs auf McCarthys schwarze Liste geraten – und er war die treibende Kraft beim Wiederaufbau des Globe als einer exakten Kopie des Theaters, in dem Shakespeare einst spielte. Was hätte der visionäre Wanamaker, der das Globe zu einem internationalen Symbol hoher Kultur machte, von den voreingenommenen und engherzigen 37 wohl gedacht? Möglicherweise hätte er Shylock zitiert: „Meine Antwort braucht dir nicht zu gefallen“.

Originalversion: “If You Prick Us Do We Not Bleed?” by Michael Curtis © Gatestone Institute, April 12, 2012.

2 Kommentare

  1. Tja, sobald man von BDS in irgend einer Form selber betroffen ist, wird einiges relativiert. Das ist Rosinenpickerei!

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