Mörder Merah als Opfer und Held

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Vereint in politischer Korrektheit, haben europäische Eliten und Muslime dafür gesorgt, dass Muslime als Opfer des Westens wahrgenommen werden. Möglich gemacht haben dies andauernde zweifelhafte Begründungen und falsche Argumente.

Die Basis ist eine gefälschte Plattform für Opfer, die über Jahre hinweg etabliert wurde; darauf konstruieren die Schönfärber des Mörders Mohamed Merah ein neues, falsches Bild. Dass die drei getöteten französischen Soldaten, der jüdische Lehrer und die drei Kinder Opfer sind, ist schwer zu leugnen. Als sie geehrt und gewürdigt worden waren, begannen die Schönfärber bald, auch den brutalen Mörder zum Opfer zu machen.

Der in Genf geborene Tariq Ramadan, Professor in Oxford für Contemporary Islamic Studies, gehört zu den intelligentesten Merah-Apologeten. Er war der erste, der die muslimisch geprägte antisemitische Weltanschauung Merahs reinwusch. Wortgewandt schreibt er: „Merah war ein irregeleiteter junger Mann, in dessen Gedanken es Werte des Islam oder des Rassismus oder antisemitische Ideen nicht gab.“ Im nächsten Schritt wird Merah zum Opfer gemacht. Ramadans Worten zufolge war Merah „ein armer Junge, schuldig und zweifelsohne zu verurteilen, auch wenn er selbst Opfer einer sozialen Ordnung war, die ihn wie Millionen andere bereits verurteilt hat zu Marginalität und Nicht-Anerkennung seines Bürgerstatus mit gleichen Rechten und Möglichkeiten“.[1] So machte Ramadan Merah zu einem Nicht-Rassisten, einem nicht-antisemitischen Opfer der Gesellschaft, dessen Ideen nichts mit irgendeiner muslimischen Strömung zu tun hat.

Der französische Philosoph André Glucksmann hat sowohl Ramadan wie den gesamten Versuch eines Weisswaschens angegriffen, der nicht Merah, sondern die französischen Behörden anklagt, was zu dem Unsinn führte, dass „der Henker zum Opfer und die Opfer zu Henkern wurden“.  Glucksmann erwähnte auch andere muslimische fundamentalistische Mörder mit ordentlichem Schulabschluss, die zwischen 1992 bis 1997 in Algerien für den Tod vieler Menschen verantwortlich waren.[2]

Sergio Romano, Ex-Diplomat und einer der führenden populären Historiker in Italien, gehört ebenso zu den Schönfärbern. Vor fünfzehn Jahren behauptete er, die Juden seien für einen erneuten Antisemitismus verantwortlich, weil sie die Erinnerung an den Holocaust betonten. Das war einfach eine neue Mutation der alten Ente, dass Antisemitismus durch jüdisches Verhalten hervorgerufen würde.[3]

Während die Ursachen, die zu den Morden von Mohamed Merah geführt haben, analysiert werden, hat Romano eine ganz andere Richtung eingeschlagen. Der wichtige italienische Blog Informazione Corretta zitiert ihn mit einer Mischung von Argumenten,  die mit „der palästinensischen Frage“ beginnt, den Konflikten in arabischen und islamischen Gesellschaften und der israelischen „Kolonisierung“. [4]  Die Konflikte in der Levante und im Nahen Osten, sagt er, wurden in Frankreich aufgeladen, das Romano zufolge danach beurteilt werden solle, wie es mit diesem Problemen umgegangen sei. Er ist offensichtlich nicht der Meinung, dass zuerst die vielen muslimischen Hetzredner beurteilt werden sollten.

In Frankreich ist Merah auf einer bestimmten Ebene zum Helden geworden.

In Rouen wurde eine Lehrerin suspendiert, nachdem sie ihre Klasse aufgefordert hatte, eine Schweigeminute für den Mörder einzulegen. Ihre  Gewerkschaft hat sie dann als Opfer dargestellt und behauptet, sie habe psychische Probleme.[5]  Eine Facebook-Seite, die Merah verherrlicht hatte, wurde auf Betreiben der französischen Behörden abgesetzt. Derweil erhält die jüdische Schule in Toulouse antisemitische Anrufe und Hass-Emails.[6]

Man kann den Ursprung der Täuschung „Muslime sind Opfer” weit an den Anfang des neuen Jahrhunderts zurückverfolgen. Die holländische Journalistin Elma Drayer erinnert sich, dass nach dem 11. September 2001 marokkanische Jugendliche jüdische Menschen mit Steinen bewarfen, als die gerade aus einer kleinen Amsterdamer Synagoge kamen. Ein Polizeisprecher sagte ihr: „Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dem nicht so viel Aufmerksamkeit schenkten. Diese Leute sind bereits in einer nachteiligen Situation”. Drayer sagte: „Er hat das nicht von den jüdischen Menschen gesagt, auf die die Steine geworfen worden waren – sondern über die muslimischen Steinewerfer. Straftäter wurden so zu Opfern und Opfer wurden zu Tätern.”

Die in Somalia geborene Ayaan Hirsi war früher ein Mitglied der niederländischen Arbeitspartei, wechselte später zu den Liberalen und lebt nun in den USA. Bereits vor Jahren hat sie diese falsche sentimentale Begründung identifiziert: „Aus sozialistischer Sicht sieht es so aus: wer nicht weiss ist oder aus dem Westen, ist ein Opfer; dazu zählen Muslime, Palästinenser und Einwanderer. Meine Haltung ist, dass ich kein Opfer bin. Ich bin verantwortlich für  mein Handeln wie jeder andere auch; das gilt für alle Menschen”.

Doch es gibt in Europa auch andere Einstellungen zur Opferrolle. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es viele wahre Opfer, etwa die jüdischen Menschen, die KZs und Vernichtungslager überlebt hatten. Anders als Mohammed Merah haben sie dem Tod in den Gaskammern oder vor Erschöpfung entgegengeblickt, und sie wurden in der Gesellschaft Europas nach dem Krieg auch in unterschiedlicher Weise diskriminiert. Zwei Beispiele: Nachdem sie den Krieg überlebt hatten, gab es Pogrome in Polen, in denen Juden getötet wurden. In den Niederlanden haben Regierungsbehörden Überlebenden das Leben wirklich elend gemacht. Doch unter diesen Juden gab es keine Aufrufe, unschuldige Landsleute zu töten. Viele diese Opfer wollten auch gar nicht als solche bezeichnet werden. Sie sahen sich als „Überlebende“.

Wer immer die Einschätzung „Muslime sind Opfer“  oder „selbstmitleidige Muslime“ fördert und unterstützt, kann von Holocaust-Überlebenden lernen, was Würde und Eigenständigkeit bedeutet. So würde er zu einem realistischeren Menschen.

Dr. Manfred Gerstenfeld ist Aufsichtsratsvorsitzender des Jerusalem Center for Public Affairs.



[1] Tariq Ramadan, “Les enseignements de Toulouse,” Communiqué de Presse, 22 March 2012. [French] www.tariqramadan.com/LES-ENSEIGNEMENTS-DE-TOULOUSE,11912.html

[2] André Glucksmann, “Strage di Tolosa, il male esiste. Ora non sia colpevole,”  Corriere della Sera, 26 March 2012. [Italian]

[3] Sergio Romano, Lettera a un Amico Ebreo (Milan, Longanesi, 1997)  139. [Italian]

[5] “French teacher seeks ‘minute’s silence for killer,’ AFP, 24 March 2012.

[6] “Toulouse school receiving hate mail since attack,” JTA, 28 March 2012.

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