Das irakische Modell: Besser wird es nicht

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Der Irak befindet sich in einem Chaos. Die Gewalt hält an. Interne Streitigkeiten führen zu einem andauernden endlosen Hickhack. Korruption findet auch höchstem Niveau statt.  Christen leben in Angst oder fliehen gänzlich. Der Islamismus kriecht weiter voran. Trotz all dieser Defizite würde ich behaupten, dass das „irakische Modell“ das Beste ist, was man Nahen Osten erwarten kann.

Was wäre das Worst-Case-Szenario? Iran, Afghanistan, Gaza, Sudan oder die andauernde Bürgerkriegssituation in Syrien, im Jemen und wahrscheinlich Libyen.

Es ist nicht so, dass Demokratie mit dem Islam oder der arabischen Gesellschaft theoretisch unmöglich oder prinzipiell unvereinbar wäre. Das Problem liegt vielmehr darin, dass sie an diesem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte nicht eintreten wird. Was Sie oder ich oder kleine Gruppen gemässigter, demokratischer Araber oder naive Journalisten aus dem Westen wollen, ist völlig irrelevant.

Reporter könnten sich täglich mit Angehörigen der Muslimbruderschaft herumtreiben und darüber reden, wie gemässigt sie seien, aber das macht sie nicht zu Gemässigten.

Zehntausende gut finanzierte, fanatische, fleissige und taktisch kreative Kader mühen sich in der ganzen Region lange Stunden daran ab, in jedem Land revolutionäre islamistische Diktatoren einzubringen. Ihnen stehen Dutzende Moderate gegenüber, die sich in den Hauptstädten ballen, kaum Geld haben, normalerweise nicht wissen, wie sie die Massen ansprechen sollen, keinen Sinn für Strategie haben, noch gespaltener sind als die Islamisten und das Schreiben eines Leitartikels oder das Veranstalten einer Demonstration mit der Organisierung einer Massenbewegung verwechseln, um die Macht zu erlangen.

Wunschdenken ist in der politischen Analyse,  der Staatskunst oder im Journalismus fehl am Platz. Die Tatsache, dass Gemässigte so sehr „wie wir“ sind, ist für sie kein Vorteil – ausser um vorteilhafte Medienberichterstattung zu erlangen -, sondern ein fataler Nachteil innerhalb ihren eigenen Gesellschaften.

Das Vorbild, mit dem normalerweise auch von der Obama-Regierung aufgewartet wird, ist das türkische Regime. Selten in der Geschichte fördert ein demokratischer Staat eine fremde Regierung, die fast in jeder Hinsicht im Gegensatz zu seinen eigenen Interessen steht. Es gibt viele Gemeinsamkeiten, aber noch mehr Unterschiede. Kurz gesagt, es gibt zwei Probleme.

Erstens unterstützt das türkische Regime radikal-islamistische Bewegungen und Regierungen, die Amerikas grösste Feinde sind, darunter der Iran, die Hamas im Gazastreifen  und die aktuelle Regierung im Libanon (Hisbollah). Die Türkei hat versucht, sich hinter die Muslimbruderschaft zu stellen, wurde aber zurückgewiesen, weil die Bruderschaft kein Interesse hat, einer nicht-arabischen Führung zu folgen. In Syrien unterstützte  die Türkei die Islamisten in der Opposition, mit der Absicht, in Damaskus ein anti-amerikanisches Regime in Damaskus zu generieren.

Auch ist das türkische Regime Israel gegenüber abgeneigt und unterstützt ihm feindlich gesinnte, radikal-islamistische Kräfte. Nur in Bezug auf den Irak stimmen amerikanische und türkische Interessen grundsätzlich überein.

Zweitens beschneidet das türkische Regime systematisch die Demokratie im eigenen Land. Hunderte Gemässigte wurden aufgrund lächerlicher Anklagen inhaftiert. Die Streitkräfte, ehemals Wächter des Säkularismus und des basisdemokratischen Systems, sind erledigt. Die Medien sind eingeschüchtert. Radikale Islamisten sind in alle Teile der Regierung eingesickert. Diese gut organisierte, schleichende Tendenz Richtung Diktatur findet im Westen kaum Beachtung.

Was bedeutet das türkische Modell in Bezug auf die arabisch-sprechende Welt? Es ist eine Formel für radikal-islamistische Gruppen, die Staatsmacht zu erlangen und ihre Gesellschaft fundamental umzugestalten, während sie gleichzeitig gemässigt auftreten.

Das ist ein Prozess, der stufenweise verläuft und der russischen Revolutionsbewegung entspricht, die vor genau einem Jahrhundert vom Anarchismus zum Bolschewismus führte.

Am meisten überrascht allerdingt nicht, dass der Westen auf diesen Trick reinfiel, sondern wie gründlich dies erfolgte.

In einer Zeit, in der sogar der Libanon von einer Kombination aus Islamisten und radikalen Klienten Teherans und Damaskus‘ regiert wird, Tunesien über eine überwiegend islamistische Regierung verfügt, und wenn die säkulare türkische Republik in eine islamistische transformiert wird, gibt es nicht viele Alternativen.

Wie üblich haben die Könige in Marokko und Jordanien ein brillant manövriert, um den Anschein eines demokratischen Pluralismus und sogar islamistischer politischer Teilnahme zu erwecken, während sie selber die Zügel in der Hand halten. Wie üblich schmeisst in Algerien die Armee den Laden. Wie üblich herrschen in Saudi-Arabien und den kleinen Scheichtümern am Persischen Golf (Kuwait, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain und Oman) traditionalistische Regimes, die jetzt nicht mehr so sehr von den radikalen arabisch-nationalistischen Gefahr eingeschüchtert sind, als es sie viel mehr vor der radikal-islamistischen Bedrohung graut.

Das bringt uns zum Irak. Wie oben ausgeführt, ist die Situation weit davon entfernt, ideal zu sein. Doch es gibt einige bedeutende Vorteile.

Landesintern gibt es Wahlen, die etwas bedeuten, ein echtes Stück Pluralismus, Raum für Redefreiheit, und ein wenig funktionierende Dezentralisierung.

Das Wichtigste ist die Tatsache, dass das islamistische Element besiegt (im Fall der Sunniten) und gebannt wurde (im Fall der Schiiten). Es kann sicherlich schlimmer werden, aber es scheint, dass nun ein wenig Stabilität erreicht wurde.

Ein weiteres wichtiges Element besteht darin, dass der Irak sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmert und somit als Staat viel „normaler“ handelt. Weder untergräbt er seine Nachbarn, noch versucht er, die Macht über den Nahen Osten zu erlangen.

Ferner unterhält der Irak vernünftige Beziehungen mit dem Westen. Der Irak ist ein Staat, der versucht, mit seinen Problemen fertigzuwerden. Und wenn es auch interne Streitigkeiten und Korruption gibt, so scheint es zumindest klar zu sein, dass keine Kraft die Macht monopolisieren und eine repressive Diktatur aufbauen kann.

Man kann es chaotischen Pluralismus als Alternative zur islamistischen Diktatur nennen. Nun gut, es schein das Beste zu sein, was man in diesen Ländern erwarten kann, die nicht mehr von traditionellen Monarchien beherrscht werden. Mit Sicherheit ist das dem „türkischen Modell“ vorzuziehen, wobei ich nicht erwarte, dass viele im Westen diesen Punkt schätzen werden.

Ist meine Einschätzung zu pessimistisch? Nun ja, Sie dürfen ruhig optimistisch sein. Sie können sich einen israelisch-palästinensischen Frieden vorstellen, der auf einem umfassenden Vertrag basiert und den Konflikt beendet und eine Zwei-Staaten-Lösung aufbaut.

Sie können auch über gemässigte Führer der Muslimbruderschaft fantasieren, die eine Lösung der ägyptischen Probleme pragmatisch angehen, indem sie Arbeitsplätze schaffen, Häuser bauen und eine neue Industrie aufbauen. Sie können vorgeben, dass die verschiedenen Kräfte Amerika und Präsident Obama dankbar sein werden, einige Diktaturen gestürzt zu haben.

Aber nichts von dem wird eintreten. Entscheidend zu verstehen ist das warum, und was angesichts dieser Situation getan werden muss.

Indem sie vorgeben, in die Höhen der Demokratie aufzusteigen, befinden sich die Islamisten auf dem Weg zur Autokratie – eine anti-westliche, regional destabilisierende obendrein. Mit Leichtgläubigkeit leistet der Westen einer Beherrschung der Region durch repressive, anti-westliche Kräfte Geburtshilfe, die die Region um 60 Jahre (zur ursprünglichen radikal-arabischen nationalistischen Hegemonie) zurückversetzen wird, wenn nicht sogar um 600 Jahre.

Originalversion: The Iraqi Model: As Good As it Gets by Barry Rubin © GLORIA-Center, April 9, 2012.