Vor 70 Jahren: Schweizer Nazis ermorden Arthur Bloch

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Hakenkreuzfahnenzug der NSDAP Schweiz am Letzigrund. Foto PD
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April 1942 –  rund um die Schweiz tobt seit einigen Jahren der Zweite Weltkrieg. Aus Bern reist der jüdische Viehhändler Arthur Bloch aus in die waadtländische Kleinstadt Payerne. Was ihm dort wiederfährt, gehört zum Schlimmsten, was in diesem Krieg in der Schweiz passiert: fünf junge Männer ermorden Bloch bestialisch. Einfach so, nur weil er Jude ist. Und weil sie, allesamt Westschweizer Hitler-Jünger, trotz Stalingrad weiter fanatisch an den „Endsieg“ glauben und sich schon mal ihren Platz im „neuen Europa“ sichern wollen. Am besten mit einem Mord an einem Juden. Und weil es im Ort keine Juden gibt, locken sie ihn, den angereisten Viehhändler, unter dem Vorwand, ihm eine Kuh zeigen zu wollen, in den Stall, erschlagen ihn, zerstückeln seine Leiche und werfen die Leichenteile in den nahen See.

Für die Mörder lohnt sich die Untat vorerst auch materiell – die rund 4’000 Franken, für damalige Begriffe viel Geld, die sie bei Bloch finden, werden untereinander aufgeteilt.

70 Jahre später sitzt Daniel Sommer (Name geändert) in seinem Haus in Zürich und sagt, er wolle seinen richtigen Namen nicht in den Medien lesen, weil die Ereignisse von 1942 noch immer nachwirken und er auch negative Reaktionen fürchtet: „Es gibt noch immer viel Wirrköpfe hierzulande“.

Und er sagt auch: „Wissen Sie, die schreckliche Tat wirkte nach – meine Grossmutter hatte für den Rest ihres nur noch kurzen Lebens Angst“ Daniel Sommer ist der noch lebende Enkel von Arthur Bloch, das Ehepaar hatte zwei Töchter. Sommers Grossmutter, die Witwe Arthur Sommers, wird nur einige Jahre nach ihrem ermordeten Gatten sterben und zwar an Krebs. „Payerne“, das ist für Daniel Sommer deshalb nicht einfach ein historisches Ereignis, welches zeigt, dass die (zahlenmässig wenigen) Schweizer Nazis wie ihre deutschen Vorbilder vor nichts zurückschreckten. Sondern eben auch ein Stück Familiengeschichte: „Meine Mutter hat meiner Schwester und mir später wenig erzählt vom Mord an unserem Grossvater“ sagt Sommer an diesem schönen Frühlingstag 70 Jahre später, vor sich zahlreichen Zeitungsauschnitte und Dokumentationen, die über diesen Fall über all die Jahre erschienen sind. Sommers Interesse am tragischen Ende seines Grossvaters erwachte aber schon als junger Mann, als er erkannte, dass sich seine persönliche Biographie und die Geschichte der Schweiz im Zweiten Weltkrieg in Payerne irgendwie verschränkten. Eine Verschränkung, die auch den (inzwischen verstorbenen) Schweizer Schriftsteller Jacques Chessex faszinierte. Chessex, selber aus der Gegend stammend, rollte vor einigen Jahren mit seinem auch im Ausland viel beachteten Roman „Ein Jude als Exempel“ („Un Juif pour l`exemple“ im französischen Original) den ganzen Fall nochmals auf – sehr zum Unwillen der Gemeindebehörden von Payerne, die den Mord von 1942 am liebsten totschweigen würden. Der Gemeindepräsident von Payerne hätte das Buch sogar am liebsten verbrannt – eine schauerliche Aussage.

Die ärgert Sommer eben so sehr, dass er Payerne aus seinem persönlichen Kompass gestrichen hat: „Erst wenn man dort ein Denkmal oder wenigstens eine Plakette im Andenken an meinen Grossvater errichten wird, werde ich nach Payerne fahren.“

Dafür stehen die Chancen allerdings nicht besonders gut – zwar wurde im Gefolge des Chessex-Romans auch in Payerne wieder über die Bluttat diskutiert – und das Gemeindeparlament rang sich sogar zu einer „Verurteilung“ des Mordes von 1942 durch, für den drei der Angeklagten zu lebenslangem Zuchthaus, die anderen zu langen Strafen verurteilt wurden. Doch eine weitergehende Forderung vieler, nicht bloss jüdischer Kreise, eine Strasse im Ort nach Arthur Bloch zu benennen, hatte keine Chance.

Besonders ärgern dabei Daniel Sommer die damaligen Argumente – zum Beispiel, dass solch ein Strassenschild oder eine Gedenkplakette von den geistigen Nachkommen der damaligen Täter beschmiert oder gar verunstaltet werden könnte. Auch mit dem – ebenfalls abgelehnten – Kompromissvorschlag, in Payerne eine Strasse „Strasse des guten Zusammenlebens“ zu nennen, kann er nichts anfangen – das sei Augenauswischerei, meint er: „Die Menschen in Payerne wollen sich offensichtlich nicht ihrer Vergangenheit stellen. Aber sie täuschen sich: solange sie es nicht tun, wird sie die Tat von 1942 immer und immer wieder einholen.“

Und da hat Sommer, der in Zürich bis zu seiner Pensionierung ein Pelzgeschäft geführt hat („Auch da bekam ich manchmal die Abneigung gegen Juden zu spüren“), vermutlich recht: denn gegenwärtig versucht der Genfer Filmemacher Jacob Berger genügend Geld zusammen zu bekommen – sein Projekt: die Verfilmung des Romans von Jacques Chessex.

Und dann setzt Sommer eine gewisse Hoffnung auch noch in den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG): „Vielleicht entsteht ja da auch noch einmal eine Initiative“ sagt er.

Peter Bollag

2 Kommentare

  1. Naja, ganz so ist es nun nicht, Herr Sessler.

    Es gibt sie immer noch die Schweizer die sich noch an Mosche Dayan erinnern, an 1967 usw. und den Kampf der Israelis gegen die vereinigte Arabische Welt.

    Nur gibt es auch hierzulande viele Linke die auch und nicht zuletzt uns Schweizer zu "Europäern" umerziehen wollen, was wir ja eigentlich schon lange sind.

    Aber da der Schweizer dabei so unabhängig bleiben will wie es für Israel lebensnotwendig ist, entstand hier ein Machtkampf der Systeme.
    Der Sozialismus ist der grösste Feind der Juden, denn Leute wie Geri Müller sind die Antisemiten von heute, jene die das Thema Palästinenser bewirtschaften um etwas ganz anderes Ideologisches durchzutrotzen. Und dabei geht es nicht um Palästinenser, sondern darum das Israel der Welt vorführt was Unabhängigkeit im Handeln und Denken ist und das man sehr gut daran tut die Internationalen Heuchler in ihren Organisationen zu ignorieren.

    Das ist es was die heutigen Linken an Israel stört.
    Das eigenwillige Gebahren eines Landes welches sich nicht unterwirft.
    Und genau darum hadern sie auch mit uns gewöhnlichen Schweizer, weil auch wir uns nicht dem unterwerfen wollen was die Linke Politik für Sinvoll erachtet.
    Israel ist stark, die Schweiz ist stark, dass ist der Stachel im linken Bewusstsein. So ein Volk kann man nicht einfach ins vermeintliche "Paradies" der Linken führen.

    Und darum werden Schweizer jüdischen Glaubens auch öfters mal angemacht. Darum vertragen die Israel nicht, darum wird Israel mit einem so ausgeprägten doppelten Standard beurteilt.

    Aber es ist so, es gibt in der Schweiz einige Ewiggestrige, aber die haben keinen Einfluss auf nichts.

    Und wir anderen bodenständigen Schweizer, also bei uns gibt es sehr viele die den Geist der 60-70-iger Jahre nicht vergessen haben. Den Geist der damals herrschte, als man Mosche Dayan, Golda Meir und viele andere ob ihres Selbstbehauptungswillens bewunderte, und die darin durchaus Parallelen zur eigenen Geschichte erkennen.

  2. Habe mich 1970 in Israel niedergelassen. Damals gabs fast keinen Antisemitismus in der Schweiz.
    Das hat sich geaendert. Aber im Gegensatz von 1942 gibt es 2013 mehrere Fluege pro Tag die nach Tel Aviv fliegen.
    Herzlich Willkommen im Altneuland

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