Endlich Wasser marsch

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Ultrasound BPH. Foto Etan J. Tal.Lizenziert unter CC BY 3.0 via Wikimedia Commons.
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Weltweit lassen vergrösserte Prostatae zig Millionen Männer im Alter über fünfzig keine Nacht durchschlafen. Israelische Forscher wollen die Benigne Prostatahyperplasie (BPH) nun mit einer neuen Behandlungsmethode aus der Welt räumen. Sie glauben, dass die Probleme im Becken vom aufrechten Gang rühren. Ihr revolutionärer Ansatz könnte ein altes medizinisches Rätsel lösen und verspricht risikoarme Heilung für eine altbekannte Krankheit.

 

Die Mehrheit der Männer im reifen Alter kennt das Problem: Wenn die Prostata wächst, wird der Alltag zur Hölle. Je umfangreicher die etwa kastaniengrosse Drüse im Becken wird, desto mehr schnürt sie den Harnleiter ab. Der Urinstrahl wird schwächer, der Gang zur Toilette verwandelt sich in eine immer häufiger werdende, schmerzvolle Qual. Wer einst schäumend Wasser liess, ist nun für jeden unsteten Tropfen dankbar. Man schläft keine Nacht mehr durch, kann keinen Abend mehr in Gesellschaft, Kino oder Theater geniessen. Und das ist nur die erste Phase. Im fortgeschrittenen Stadium drückt die gutartige Prostata-Vergrösserung, die Ärzte „benigne Prostatahyperplasie“ (BPH) nennen, den Harnleiter fast vollends zu. Die Blase kann sich nicht mehr entleeren. Nierenschäden und häufige Infektionen folgen.

Rund die Hälfte der Männer über 50 leiden unter BPH, im achten Jahrzehnt steigt die Rate auf über 75%. Doch das heute so weit verbreitete Krankheitsbild von BPH, vielleicht die häufigste Beschwerde von Männern im fortgeschrittenen Alter, könnte schon bald der Vergangenheit angehören. Das behaupten zumindest die israelischen Ärzte Dr. Yigal Gat und Dr. Menahem Goren, die einen völlig neuen Lösungsansatz für BPH gefunden haben wollen.

Bisherige Therapien agieren auf zwei Ebenen. Chirurgen entfernen die Prostata mit einem chirurgischen Eingriff. Doch egal ob man schneidet, schabt, die Prostata einfriert, bestrahlt oder mit Mikrowellen verdampft: Das Risiko für ungewollte Schäden blieb gross. Statt nicht mehr pinkeln zu können, läuft bei so manchem Patienten nun die Blase einfach über und aus; Impotenz, ja gar Tod sind mögliche Folgen des beschwerdereichen Eingriffs. Vielen war dieses Risiko zu gross. „Der andere Lösungsansatz vermutete eine altersbedingte Störung des Hormonstoffwechsels als Ursache von BPH“, sagt Prof. Dr. Jürgen Gschwend, Direktor der Urologischen Klinik im Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München, im Gespräch mit Spiegel Online.

Die Zellen der Prostata wachsen, weil sie grossen Mengen des männlichen Hormons Testosteron ausgesetzt sind. Folglich verschrieb man Medikamente, die die Verwandlung von Testosteron in den noch viel potenteren Wirkstoff Dihydrotestosteron verhindern. Doch was sich so einfach anhört, ist eins der grossen Rätsel der modernen Medizin: Die Prostata wächst wegen zu viel Testosteron, Studien fanden im Blut von BPH-Patienten aber eine viel niedrigere Konzentration des Botenstoffes als bei jungen Männern. Erhielten sie nun auch noch Medikamente, war es bei vielen mit der von Testosteron angefeuerten Liebeslust vorbei. Zwar konnten sie sich Dank des verbesserten Urinstrahls nun endlich wieder ganz entleeren, der nächtliche Trip zum Klo blieb aus. Doch der süsse Schlaf kam auf Kosten des nun nicht mehr erwünschten Beischlafs.

Alles überholt, meint der israelische Androloge und Prostataforscher Dr. Yigal Gat. Dank seiner Ausbildung leuchtete er das Problem auf neue Weise aus: Bevor er Arzt wurde, studierte Gat an der technischen Hochschule in Haifa Physik, mit dem Schwerpunkt Strömungsmechanik: „Das ganze Problem ist Physik“, meint er deswegen. „Das ist ein pfiffiger, ganz neuer Ansatz“, meint dazu Gschwend. „BPH ist eine Folge des aufrechten Ganges des Homo Sapiens“, sagt Gat im Gespräch mit Spiegel Online. Da der Mensch auf Zweien gehe, müsse das Blut vom Hoden auf einzigartige Weise abgeführt werden: „Bei Tieren fliesst das Blut in den Venen horizontal. Aber bei Menschen muss es nach oben, zurück zum Herz, ohne dass es dafür eine Pumpe gibt.“ Deswegen entwickelten sich in der Vena Spermatica besondere Klappen, die das Blut nur in eine Richtung, gen Herz, durchlassen: „Mit zunehmenden Alter funktionieren diese Klappen aber nicht mehr, ein Rückstau ist die Folge“, sagt Gat. Der Stau erzeuge im Hoden einen bis zu achtfach höheren Druck als normal.

Statt an der Niere vorbei fliesst das Blut nun durch Kollateralgefässe, also natürlichen Umleitungen, auf anderen Wegen zurück zum Herz. Dieser Umweg führt über die Prostata: „Das ist das Problem“, sagt Gat, der gleich dazu ansetzt, ein altes medizinisches Rätsel zu lösen: Der Blutstau lasse nicht nur die Prostata anschwellen, sondern überschwemme sie auch mit Testosteron direkt aus dem Hoden nebenan: „Statt wie der gesamte Körper stark verdünnte Portionen zu erhalten, bekommen die Zellen der Prostata eine geballte Ladung Hormon ab. So entsteht BPH. Es ist kein hormonelle Störung, sondern eine Frage der Installation“, sagt Gat.

Folglich behandeln Gat und Goren BPH, indem sie die problematischen Blutgefässe mit Kathetern schliessen: „Wenn die Vena Spermatica zu ist, gibt es keinen Druck mehr im Hoden. Das Blut drängt jetzt nicht mehr in die Prostata, sondern fliesst normal ab. Problem gelöst“, sagt Gat. In einer ersten Studie, die 2009 im European Urological Review erschien, behandelten sie 28 Männer mit verblüffendem Erfolg: Nach sechs Monaten waren die Prostatae um 55% geschrumpft, sie standen jetzt höchsten zwei Mal in der Nacht auf, um Wasser zu lassen.

Inzwischen hat Gat nach eigenen Angaben mehr als 120 Patienten mit seiner neuen Methode behandelt: „Die Behandlung war bei mehr als 85% erfolgreich. Das ganze dauert in etwa zwei Stunden, funktioniert mit lokaler Betäubung, die Menschen gehen von hier nach Hause“, sagt Gat. „Die Symptome verschwinden innerhalb weniger Wochen“, sagt der Physiker-Arzt. Auch fühlten sie sich besser: Der Testosteronspiegel steigt wieder, die Männer berichteten, dass sie mehr Kraft, Lebens- und Liebeslust hätten. Dabei sei die Methode risikoarm. Kein Patient habe beim Eingriff Schaden erlitten.

Gschwend bestätigt, dass der Ansatz „sehr originell ist. Niemand kam bisher auf die Idee, BPH von dieser Seite anzugehen.“ Doch der Experte warnt vor vorzeitiger Euphorie: „Wenn diese Zahlen tatsächlich stimmen wäre das zwar ein Durchbruch.“ Bisherige Behandlungen erzielten weitaus geringere Erfolgsraten, und hätten teils schwere Nebenwirkungen. „Die Frage ist nur: Ist das Ergebnis reproduzierbar? Bevor grosse Studien dasselbe Ergebnis in mehreren Zentren erzielen, bleibe ich skeptisch. Revolutionäre Entdeckungen verlieren bei intensiver Untersuchung oft viel von ihrem Glanz.“ Wer das nicht abwarten will, könnte im Yoga eine billige und einfache Alternative finden. Denn falls BPH tatsächlich von einem Blutstau im Hoden rührt, müssten auch regelmässige Kopfstände Abhilfe schaffen.

Über Gil Yaron

Dr. Gil Yaron ist Buchautor, Dozent und Nahostkorrespondent der Tageszeitung und des Fernsehsenders WELT, sowie der RUFA, der Radioabteilung der dpa. Er schreibt ebenso für die Straits Times in Singapur, und arbeitet als freier Analyst in zahlreichen Fernsehsendern.

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2 Kommentare

  1. Wird diese Methode noch angewendet, oder hat diese nicht genug positive Ergebnisse gebracht.

  2. Zum ersten Mal, oder zumindest erstmals seit Langem, ein Artikel aus Israel der wohl viele Leser unter der Gürtellinie trifft! Ich werde mir darüber Gedanken machen und reagieren.

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