Ägypten: Being Fayza Aboulnaga

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Am 9.März veröffentlichte die Washington Post einen Meinungsbeitrag der ägyptischen Ministerin für Planung und Internationale Zusammenarbeit Fayza Aboulnaga mit dem Titel Warum Ägypten gegen nicht-registrierte NGOs vorgegangen ist.  Wie die Ministerin das Vorgehen ihrer Regierung verteidigt, könnte als „anwaltlich“ bezeichnet werden: Die NGOs waren nach dem Ägyptens Gesetz Nr 84 nicht registriert, es liegen Beweise für Fehlverhalten vor,  und keine andere Regierung der Welt würde nicht-registrierten in- oder ausländischen NGOS gestatten, sich auf eine Weise zu betätigen, wie es das Freedom House, das National Democratic Institute, das International Republican Institute und drei ägyptische Organisationen getan haben.

Doch  im Grunde ist die Frage keine juristische. Sie ist politisch. Die NGO-Affäre legt die Vermutung nahe, dass weder Aboulnaga noch der Oberste Militärrat (SCAF) (dass die Ministerin dem Feldmarschall Hussein Tantawi nahesteht, ist eine weit verbreitete Annahme) daran interessiert sind, einem demokratischen Ägypten den Weg zu ebnen – trotz gegenteiliger Beteuerungen. Das soll nicht heissen, dass NGOs wie die, die aktuell beobachtet werden, die einzige Stütze für Ägyptens Übergang zur Demokratie sind; vielmehr bilden zivilgesellschaftliche Gruppierungen insgesamt einen wichtigen Teil der Struktur einer demokratischen Gesellschaft. Die Tatsache, dass das staatliche Rechtssystem (das im Falle Ägypten eher auf eine politische Kontrolle zusteuert als auf Rechtsstaatlichkeit) einige NGOs zerschlägt und dadurch andere Nichtregierungsgruppen einschüchtert, zeigt ein offenes Geheimnis von Ägyptens Übergang – die inhärent autoritäre Weltanschauung des SCAF und seiner gesellschaftlichen Verbündeten.

Gewiss gibt es legitime Gründe für die Weisheit der Bemühungen Washingtons, den Wandel in Ägypten zu fördern, wenn man an den revolutionären Mythos der amerikanisch-ägyptischen Beziehungen denkt. Und es gibt auch (offizielle wie inoffizielle) Gerüchte von  Amerikanern, dass Gruppen wie das National Democratic Institute, International Republican Institute und Freedom House trotz ihrer guten Absichten und löblichen Ziele ungewollt zur gegenwärtigen politischen Instabilität in Ägypten beitragen. Das bedeutet, dass die Existenz dieser Gruppen und US-finanzierte ägyptische NGOs Ministerin Aboulnaga und ihren politischen Herren eine Steilvorlage liefert, den NGO-Sektor im Namen des ägyptischen Nationalismus zu zerschlagen.

Diese politische Strategie wiederum nährt eine latente ägyptische Xenophobie, die dazu führt, dass man gerichtlich gegen Personen vorgeht, die sich dafür einsetzen, Demokratie nach Ägypten einzuführen, obwohl dies doch ein klares Ziel der Behörden ist; sie führt zu absurden, arrangierten Beweisen, um ihnen den Prozess zu machen; und zu Angriffen auf Botschaften und einer wenig subtilen Einschüchterung ausländischer Arbeiternehmender in Ägypten. Ich verstehe diese Argumente, wie ich früher auch schon geschrieben habe;  darum sollten die USA ihr Hilfsprogramm herunterfahren und ihre Geschäftsbeziehungen zu den ägyptischen Streitkräften ändern.

Überall, wo ich in letzter Zeit über Ägypten gesprochen habe, wurde in unterschiedlichen Varianten dieselbe Frage zur NGO-Affäre gestellt: „Warum tun die Ägypter dies angesichts der amerikanischen Grosszügigkeit? Sollten sie nicht Washingtons Unterstützung wollen?“ Die kurze Antwort ist: Politik. Die ägyptischen Führer und Politiker, besonders jene, die mit der Ära Mubarak assoziiert werden wie Fayza Aboulnaga, müssen Abstand zwischen sich die Politik der alten Ära bringen. Aboulnaga sagt insofern auch ganz offen, dass Mubarak die US-Politik hinsichtlich der NGOs nicht geschätzt und dass er sich ihr widersetzt hatte. Doch auch der übelste Vorfall unter Mubarak – man denke an das Vorgehen gegen das Ibn Khaldun Center for Development Studies, seinen Gründer Saad Eddin und 27 Angestellte – ist niemals so weit gegangen, dass Washington auf eine Weise herausgefordert worden wäre, wie es der SCAF und Aboulnaga machen.

Die interessantere Antwort hat dagegen gar nichts mit Fayza Aboulnaga oder dem SCAF zu tun, sondern mit der unvereinbaren Position zwischen dem Mythos vom ägyptischen Nationalismus und dem Bedarf an und Wunsch nach Hilfe von aussen. Zwar gibt es die Tendenz, das Thema zu personalisieren – in Washington spricht man über Aboulnaga oft als „Ministerin für Nicht-Zusammenarbeit“ und sagt, sie sei doppelzüngig, eine Lügnerin, und Schlimmeres. Doch wenn es sie nicht gäbe, müssten die Ägypter sie erfinden – jedenfalls diejenigen, die früher Mubarak unterstützten und jetzt den SCAF. Aboulnaga spielt eine entscheidende Rolle bei der versuchten Quadratur des Kreises für ein Regime, dessen Legitimität teilweise auf nationalistischen Ansprüchen beruht und dessen Führer offensichtlich Nationalisten par excellence sind, das es aber scheinbar ohne die amerikanische Grosszügigkeit nicht schafft.

Welchen besseren Weg gäbe es denn auch, die Tatsache zu kaschieren, dass man für die Aufrechterhaltung der US-Hilfe blindwütig Lobbyarbeit macht, und dabei israelische Mittelsmänner (israelische!) bittet, die Obama-Regierung zu drängen, die Hilfe nicht zu reduzieren  – welchen besseren Weg, dies zu kaschieren, gäbe es, als mit der Angst der ägyptischen Bevölkerung vor ausländischem Einfluss auf ihr Land zu spielen? Darum wurde die amerikanische Botschafterin Anne Patterson bei ihrem Dienstantritt im vergangenen Sommer von der staatlichen Presse mit Schmähungen begrüsst, zu denen das Magazin October beitrug (Leserschaft: gegen Null), das sie auf dem Cover mit „Die Botschafterin aus der Hölle“ titulierte. Allerdings sind dies nicht nur pathologisch Post-Mubarak-Erscheinungen Ägyptens. 2004, als der inzwischen verstorbene Kongressabgeordnete Tom Lantos ein Drittel der Militärhilfe auf die jährliche Zuteilung der Wirtschaftsunterstützung umlegen wollte, haben die Ägypter in Washington den Schnellgang eingelegt, um die Änderung zu verhindern, und in Kairo Lantos Bemühungen als Versuch zur Gefährdung der nationalen Sicherheit Ägyptens darzustellen.

Für die Ägypter ist es ein riskantes Manöver; aber sie stehen dieser schwierigen Gemengelage seit Jahrzehnten gegenüber; sie ist ein Erbe von Anwar Sadats Neuorientierung in der ägyptischen Aussenpolitik gegenüber den USA im Besonderen und dem Westen im Allgemeinen. Diese Strategie ergab für die Ägypter noch nie Sinn, da sie entweder die britische Besatzung in Erinnerung hatten oder an den „positiven Neutralismus“ der Sowjetunion beziehungsweise die Anlehnung an sie gewohnt waren. Und so kommt es vier Jahrzehnte nach Sadats Umorientierung in der Konsequenz zu einer Fayza Aboulnaga, deren Hauptaugenmerk offenbar darauf gerichtet ist, die amerikanischen Hilfsleistungen zu sichern, während sie gleichzeitig dagegen eintritt. Letztlich sind die wechselseitigen Exklusivbemühungen der Ministerin im Lichte ihrer Worte von den „tiefen, fundamentalen Veränderungen, … die in Ägypten stattfinden“ nicht länger zukunftsträchtig. Aboulnaga konnte die öffentliche Meinung in Ägypten früher als Deckung nutzen, wenn sie sich mit den Amerikanern wegen der Hilfsleistungen angelegt hat. Inzwischen aber spielt die öffentliche Stimmung eine Rolle, und die Quadratur des Kreises von „wir wollen die Hilfe, auch wenn wir grosse Nationalisten sind“ wird schwieriger als je zuvor.

Originalversion: Egypt: Being Fayza Aboulnaga By Steven A. Cook © Council on Foreign Relations, March 12, 2012. Deutsche Übersetzung © Audiatur-Online.