Neue Überlegungen zum fehlgeschlagenen Gaza-Experiment

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Eine Grad-Raket wird vom Iron-Dome-System abgefangen

In der vergangenen Woche wurde der Süden Israels von mehr als 200 Raketen getroffen, die aus dem von der Hamas kontrollierten Gazastreifen über die Grenze flogen. Duzende der Raketen wurden vom Iron-Dome-Raketenabwehrsystem abgefangen, aber die meisten kamen durch und hatten einige Verletzte und Schäden zur Folge. Das Leben von mehr als einer Million im südlichen Teil des Landes lebenden Israelis wurde durch den Angriff zum Erliegen gebracht. Schulen wurden geschlossen, als die Bevölkerung aufgefordert wurde, Schutz zu suchen, bis die jüngste Krise vorbeigehe.

Sofern die Welt diesen Geschehnissen viel Aufmerksamkeit schenkt, ist es in der Form der üblichen „Kreislauf der Gewalt“-Geschichten, die die Situation als eine darstellen, in der sowohl Israel als auch die Palästinenser als schuldig angesehen werden. Wie es im Allgemeinen der Fall ist, verschiebt sich der Fokus schnell zu den Bemühungen, wieder eine Waffenruhe in Kraft zu setzten, bei denen Diplomaten, einschliesslich der US-Aussenministerin Hillary Clinton, auch beide Seiten auffordern „Zurückhaltung“ zu zeigen. Doch die eigentliche Frage hier ist nicht, wer angefangen hat oder wie gut das Iron-Dome-System funktioniert. Es ist die Art und Weise, in der Israel lernen muss, mit einem in allem ausser dem Namen nach unabhängigen palästinensischen Staat im Gazastreifen, der von Terroristen geführt wird, zu leben. Diejenigen, die weiterhin fordern, Israel solle sich komplett aus dem Westjordanland und Jerusalem zurückziehen, wie sie es im Jahr 2005 aus dem Gazastreifen taten, müssen verstehen, dass die Lehren aus diesem fehlgeschlagenen Experiment nicht vergessen werden.

Diese jüngste Auseinandersetzung entlang der Grenze begann, als die Israelischen Streitkräfte handelten, um einen, durch eine der mit der Erlaubnis der Hamas im Gazastreifen operierenden islamischen Dissidentengruppen eingeleiteten, bevorstehenden Terroranschlag zu vereiteln. Der Anführer des Volkswiderstandskomitees und mehrere seiner Terroristenkader wurden durch das israelische Vorgehen getötet. Die Palästinenser reagierten mit einem massiven Raketensperrfeuer als Antwort auf die israelische „Aggression“. Doch wie die in der Region lebenden Israelis wissen, ist Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen kaum ein ungewöhnliches Ereignis. Seit dem im Januar 2009 zwischen der Hamas und Israel vereinbarten Waffenstillstand sind mehr als 1.200 Raketen aus dem Gazastreifen abgefeuert worden, darunter 100 allein im vergangenen Monat vor den Kampfhandlungen dieses Wochenendes.

Die Raketen gehören im südlichen Israel zum Alltag, und obwohl das Land gelernt hat, mit dieser Bedrohung zu leben, hat diese von den dort lebenden Menschen ihren Tribut gefordert, der im Ausland sowie von einigen, die im zentralen Teil des Landes leben, häufig ignoriert wird. Wenn überhaupt, dann hat die verbesserte Raketenabwehr einen Teil des Drucks auf die israelische Regierung genommen, eine Wiederholung der Operation Gegossenes Blei vom Dezember 2008 in Betracht zu ziehen, bei der die Israelischen Streitkräfte eine Gegenoffensive führten, die entwickelt worden war, um die Angriffe zum Schweigen zu bringen.

Doch nur wenige in Israel sind sich der Bedeutung dieser Pattsituation nicht bewusst. Mit seinem Rückzug aus dem Gazastreifen im Jahr 2005 stellte Israel die Weichen für die Bildung eines terroristischen Staates, der einer gleichgültigen Welt einen Vorgeschmack dessen gegeben hat, wie die palästinensische Unabhängigkeit aussieht. Die Annahme damals war, dass alle grenzüberschreitenden Angriffe mit solch einer Kraft gekontert würden, dass sie unwahrscheinlich würden. Allerdings sind Terroranschläge gegen Israel relative ungestraft ausgeführt worden und Israel wird in der Regel kritisiert oder von der internationalen Gemeinschaft gewarnt, auf diese Provokationen mit eben jener „Zurückhaltung“ zu reagieren, die Ministerin Clinton wünscht.

Während einige in Israel eine dauerhafte Rückkehr in den Gazastreifen wollen, werden mögliche Verhandlungen mit der Palästinensischen Autonomiebehörde über den Rückzug aus dem Westjordanland zwangsläufig von diesem Beispiel beeinflusst. Sollte das Westjordanland für die Israelischen Streitkräfte genauso eine Bannmeile wie der Gazastreifen werden, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich seine lange Grenze mit Zentralisrael in einen weiteren Kampfplatz verwandelt, ein Alptraum für die Israelis. Da die Hamas nun plant, sich der Fatah bei der Verwaltung des Westjordanlandes anzuschliessen, braucht es nur wenig Vorstellungsvermögen, zu verstehen, was ein souveräner palästinensischer Staat dort für die Sicherheit Israels bedeuten würde. Anstatt nur Raketen über den südlichen Teil des Landes fliegen zu lassen, würde die Hamas die Fähigkeit erlangen, ganz Israel zu terrorisieren, sowie Flüge von seinem internationalen Flughafen zu verbieten. Kein Raketenabwehrsystem könnte unter diesen Umständen die Nation schützen.

Die überwiegende Mehrheit der Israelis, einschliesslich der Mehrheit der Mitglieder seiner Mitte-rechts-Regierung, begrüsst eine Zweistaatenlösung als Antwort auf den Konflikt. Würde die Palästinensische Autonomiebehörde an den Verhandlungstisch zurückkehren, würde sie erkennen, dass die meisten Israelis bereit sind, über ein solches Ergebnis zu sprechen. Doch die aus dem Gazastreifen abfliegenden Raketen bieten eine Vision dessen, wie ein unabhängiger palästinensischer Staat tatsächlich aussieht. So lange wie die palästinensische Souveränität auf diese Weise zum Ausdruck kommt, gibt es kaum eine Chance, dass Israel so töricht sein wird, das im Gazastreifen fehlgeschlagene Experiment zu wiederholen.

Originalversion: Revisiting the Failed Gaza Experiment By Jonathan S. Tobin © Commentary Magazine, March 12, 2012.