Kurden in Syrien: Die vergessene Minderheit

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Foto: virtualTourist

Eine Analyse der Situation der syrischen Kurden von Jonathan Spyer vom Juli 2010!

Am  21.März 2010 eröffneten syrische Sicherheitskräfte das Feuer auf eine 5.000-köpfige Menschenmenge in der nordsyrischen Stadt al-Raqqah. Die versammelte Menschenmenge wollte das kurdische Fest Nowruz feiern. Drei Menschen, darunter ein 15-jähriges Mädchen, wurden getötet und mehr als 50 Menschen verletzt. Dutzende verletzter Zivilisten wurden in Isolationshaft genommen. Einige befinden sich noch immer  in Haft. Dieser Zwischenfall ist nur eines von vielen Beispielen für die Unterdrückung der grössten nationalen Minderheit in Syrien – der syrischen Kurden.

Kurden stellen 9 – 10% der syrischen Bevölkerung, das sind rund 1.77 Millionen bei einer Gesamtbevölkerung von 22 Millionen. Seit dem Aufstieg des militanten arabischen Nationalismus in Damaskus erleben die Kurden eine andauernde Kampagne, die darauf abzielt,  ihre Gemeinde aufzulösen.

All dies geschieht fern abseits der globalen Aufmerksamkeit. Die derzeitige US-Regierung verfolgt eine allgemeine Politik der überlegten Stille bezüglich der Menschenrechte in Ländern des Nahen Ostens. Folglich werden die Kurden Syriens wohl in absehbarer Zeit die vergessene Minderheit der Region bleiben.

Die Wurzeln der Unterdrückung liegen in der frühen Periode der Ba’ath Regierung in Syrien, die sich durch die Anwesenheit einer grossen nicht-arabischen nationalen Mehrheit bedroht fühlte.

Nach einem Zensus im Jahr 1962 in der al-Hasaka Provinz, wo die grösste kurdische Bevölkerung ansässig war, wurde 120.000 – 150.000 syrischen Kurden willkürlich die Staatsbürgerschaft aberkannt.  Sie und ihre Nachkommen sind bis zum heutigen Tage Unpersonen.

Sie können weder aus dem Land ausreisen, noch Eigentum besitzen oder im öffentlichen Sektor arbeiten. Von ihnen gibt es heute ca. 200.000 – obwohl keine offiziellen Statistiken über sie existieren. Sie sind als ajanib (Ausländer)  bekannt.

Eine weitere grosse Gruppe von ca. 100.000 Kurden in Syrien ist gänzlich undokumentiert und unregistriert. Diese Gruppe ist bekannt als maktoumeen (schweigend) und sie leben ebenfalls ohne Staatsbürgerschaft oder Reise- und Beschäftigungsrechte.

Der bürokratische Kampf des syrischen Regimes, sich die nicht-arabische Bevölkerung wegzuwünschen, wurde lange Zeit von praktischen Massnahmen  begleitet, die das demographische Gleichgewicht des Landes verändern sollten.

In den 1970er Jahren wurde die „Arabisierung” der kurdischen Gebiete auf Befehl von Präsident Hafez Assad eingeleitet.  Ein „Gürtel“ mit arabischer Bevölkerung entlang der nördlichen und nordöstlichen Grenze zwischen Syrien und der Türkei und dem Irak sollte  geschaffen werden, dort wo die meisten Kurden des Landes leben.  Kurdische Ortsnamen wurden durch arabische ersetzt, Kurden wurde ihres Landes beraubt und angewiesen, ins Landesinnere umzusiedeln. Die kurdische Sprache, Musik, Publikationen und politische Organisationen wurden verboten. Eltern durften ihre Kinder nicht mit einem kurdischen Namen registrieren.

Die dynamische Politik der Arabisierung ging später in eine grossenteils bürokratische Dumpfheit über. Aber eine Zeitlang erzielte sie das gewünschte Ergebnis – eine geteilte, demoralisierte, unterdrückte und grossenteils schweigenden Bevölkerung.

Diese Situation trifft nicht länger zu. Nach Anerkennung einer kurdischen Autonomiezone im Nordirak in 2004, begann so etwas wie ein Aufruhr unter den Kurden Syriens.

Die Erschiessung von sieben Kurden durch Sicherheitskräfte, nachdem Kurden und Araber nach einem Fussballspiel in Qamishli aufeinandergestossen waren, war der Funke, der die Protestwelle auslöste. An der Beerdigung der Erschossenen fielen weitere Schüsse, die Unruhen breiteten sich über Jazira  sogar bis nach Aleppo und Damaskus aus. Die Armee marschierte mit schweren Panzern und Fliegerschutz in die kurdischen Gebiete ein und die Proteste wurden niedergeschlagen.

Im August 2005, im Oktober 2008 und erneut Anfang 2010 kam es zu Zwischenstössen zwischen kurdischen Bürgern und Sicherheitskräften in Qamishli.

Syrische Oppositionelle sprechen vom Entstehen einer jungen, zunehmend nationalistischen jüngeren Generation, die sich sowohl von der arabischen Opposition in Syrien, wie vom Regime entfremdet hat. Bisher ist noch keine Bewegung entstanden, die diese Stimmung reflektiert. Kurden tun sich schwer damit, ihrer Stimme auf der internationalen Bühne Gehör zu verschaffen. Ihre Unterdrücker sind ihre muslimischen Landsmänner statt Christen oder Juden. Folglich ist die mächtige Allianz muslimischer Staaten auf internationaler Bühne nicht interessiert. Arabische Staaten sind per definitionem ihren Belangen gegenüber gleichgültig oder feindliche gesinnt.

Das Unglück der syrischen Kurden besteht darin, dass im Gegensatz zum anerkannten Klischee, der Feind ihres Feindes nicht ihr Freund ist. Weil nämlich der Feind der Feinde der syrischen Kurden der Westen und die USA sind. Diese lassen sich heute von einer Philosophie leiten, welche eher an ein Entgegenkommen als eine Konfrontation der Rivalen glaubt. Demzufolge scheint sich die systematische, ein halbes Jahrhundert alte Kampagne der syrischen arabischen Republik, die Existenz seiner kurdischen Minderheit zunichtezumachen, rasch fortzusetzen.

http://www.gloria-center.org/gloria/2010/07/the-forgotten-minority

Kurzfassung der Originalversion: The Forgotten Minority, by Jonathan Spyer, July 9, 2010 ©Global Research in International Affairs (GLORIA) Center