Dialog oder Scherbengericht?

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© istock/Joel Carillet

In Zürich wird am Samstag am Hirschengraben über einen Text von einer Handvoll palästinensischer Christen beraten, der vom Ökumenischen Rat der Kirchen unter dem Titel „Kairos-Palästina-Dokument“ verbreitet wurde. Der ÖRK hat mit dieser Benennung auf ein berühmtes Dokument von 1985 angespielt, in dem südafrikanische Christen und Christinnen die Kirchen weltweit herausgefordert haben, zur Apartheid-Politik Stellung zu beziehen. Es ist also damit unterstellt, dass der Text palästinensischer Christen und Christinnen eine vergleichbare Stimme ist wie die aus Südafrika. Und zugleich ist auch die Beschuldigung Israels als Apartheid-Staat unterstellt. Die Veranstalter der Tagung in Zürich sind die Reformierte Kirche des Kantons Zürich und das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz. Das Programm fragt u.a.: Wie reagieren christliche und jüdische Stimmen auf die  Kernaussage des Dokuments, „dass die israelische Besetzung palästinensischen Landes Sünde gegen Gott und die Menschen ist“?

Es verheisst also, dass „jüdische Stimmen“ zu Wort kommen. Womöglich sogar israelische. Und das wäre nur fair. Denn immerhin klagt das Dokument, auf das die Tagung sich bezieht, Israel und immer wieder Israel an. Gleichwohl werden jüdische oder israelische Stimmen nicht vertreten sein. Man redet über Juden und Israel, aber nicht mit ihnen. Zudem ist der Veranstaltungstermin nicht gerade dazu geeignet, dass Juden sich als besonders erwünscht betrachten könnten. Man tagt am Samstag.

Der Text einiger palästinensischer Christen und Christinnen sollte in der Tat von europäischen Christen und Christinnen genau analysiert werden. Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund hat kürzlich seine Stellungnahme dazu veröffentlicht. Sie zeigt Sympathie, ist aber auch äusserst kritisch hinsichtlich der mangelnden Selbstkritik in dem Dokument und den ziemlich einseitigen Beschuldigungen der Israelis als „Sündern“. Auch dass das Dokument zwar für Gewaltfreiheit eintritt, aber „Hochachtung“ ausdrückt für Palästinenser, die für ihre Nation ihr Leben gelassen haben, wobei terroristische Mörder nicht ausgeschlossen wurden, hat dem SEK ganz und gar nicht gefallen. Das theologische Problem des Dokumentes, nämlich die ziemlich massive Fortsetzung von alteuropäischen antijüdischen Auslegungen der Bibel, wurde nicht einmal angesprochen. Aber es besteht. Am Ende ist entscheidend, dass das Dokument auch nichts über den grassierenden Antisemitismus in den palästinensischen Medien (und in arabischen Staaten überhaupt) sagt. Das ist ein fatales Manko.

Wir haben uns in den Christlich-Jüdischen-Arbeitsgemeinschaften der Schweiz seit der Erklärung von Seelisberg 1947 versprochen, dass wir den Antisemitismus nie wieder unter uns dulden werden. Es gibt keine guten, politischen oder moralischen Gründe, Antisemitismus zu dulden und nicht als „Sünde wider Gott und die Menschen“ zu benennen, wie es die Schweizer Katholiken in einer gemeinsamen Stellungnahme mit dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund getan haben. Wir haben uns als Juden und Christen versprochen, aufeinander zu hören, nicht über den jeweils Anderen zu sprechen, ohne dass er selbst zu Wort kommen darf. Kritik muss durchaus geäussert werden. Aber: Der Kritisierte muss sich dazu äussern dürfen. Ein Scherbengericht über Juden oder Israel wollen wir nicht. In der Schweiz wurde 1948 eine humanitäre Dialogkultur zwischen Christen und Juden begründet. Wir sollten uns auch in der reformierten Kirche daran erinnern und nicht nur an Gedenktagen aus schrecklichsten Anlässen damit prahlen.Und vielleicht können wir palästinensischen Christen auch so vermitteln, dass wir aus den dunkelsten Zeiten gelernt haben und – ohne Arroganz oder Überheblichkeit – ihnen etwas zu vermitteln haben: Dialog ist humanisierend. Und das Wort meint: Ein intensives Gespräch führen mit denen, und nicht einfach über die, mit denen wir etwas  – auch durchaus Kritisches – zu bereden haben. Schade, dass dies in Zürich am Hirschengraben am Samstag nicht stattfinden wird.

Prof. Dr. Ekkehard W. Stegemann, Präsident der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft beider Basel

siehe auch: Theologischer Rückfall, Stellungnahme des CJA Schweiz zum Kairos-Palästina Dokument

 

3 Kommentare

  1. An der Zürcher Tagung über das Kairos-Palästina-Dokument haben neben vier palästinensischen Christen auch vier israelfreundliche Christen/Innen (1 katholisch und 3 protestantisch) teilgenommen.
    Viele gedruckte, farbige Flyer lagen auf den Tischen gegenüber der Fensterfront bereit. Sie berichteten von den Sünden der Israelis. Bruder Tilbert Moser, ein katholischer Christ, hatte seine Überlegungen auf einem A5-Blatt zusammengefasst unter dem Titel: Dient das „Kairos-Palästina-Dokument“ dem Frieden?. Nach Absprache legte er seine Flyer auf die Fensterbank auf der Seite des Lichts.
    siehe: http://www.tilbert.info
    Im Plenum wurde Frau Pfarrer Kristin Rossier als Vertreterin des SEK (Schweiz. Evangelischer Kirchenbund) kritisiert. Das Papier des SEK sei zu kritisch gegenüber dem Kairos-Palästina-Dokument.
    Sehr spannend wurde es im Workshop „Wem gehört das Heilige Land?“. H. äusserte sich zu den völkerrechtlichen Grundlagen des Staates Israel (Forschungsarbeit von Dr. Jacques Gauthier, Toronto. Er verteilte ein A4-Blatt. Einige Teilnehmer/Innen verweigerten die Entgegennahme.
    L., die rote Zora lehrte uns ausführlich über biblische Wahrheiten.
    W., der Mann im roten Hemd erzählte uns über die Verkündigungen des Prophetes Jesaja, wonach es in der langen Geschichte Israels ein zweimaliges Exil und eine zweimalige Rückkehr in das Land Kanaan (Israel) geben wird. Die Gründung des modernen Staates Israel 1948 ist eine Erfüllung biblischer Prophetie.
    Ausserdem gäbe es 24 arabische Staaten und nur einen jüdischen Staat. Araber können sich ins israelische Parlament wählen lassen und sich dort gegen Israel äussern.
    Viola Raheb, die palästinensische Christin reagierte nun wie ein feuriger Drache und drohte, den Workshop zu verlassen. Sie fühlte sich missioniert. Der Workshopleiter war verunsichert und wollte den Workshop abbrechen. Dies passierte aber nicht. Eine Dame war zu dieser Veranstaltung gekommen, um Viola zu hören. Diese Erwartung wurde nun aber zu wenig erfüllt.
    In einer offenen Tagung sollten auch kritische Stimmen gehört werden, sonst wäre es ja ähnlich gewesen wie auf einer Veranstaltung der Kommunistischen Partei.
    Ein Pfarrer erzählte noch eine Landraubstory, da die Geschichten über die jüdischen Brunnenvergifter aus der Mode gekommen sind. Solche Geschichten können wahr sein oder auch nicht. Wenn man die Hintergründe kennt, sieht vielleicht alles viel anders aus. Der Wahrheitsgehalt konnte man an der Tagung jedenfalls nicht überprüfen.
    Ich (W.) bin sehr froh, dass wir eine Gerichtsverhandlung über nicht anwesende Juden/Innen verhindern konnten.
    In einem Punkt gebe ich Viola Recht. Die Europäer, auch die Schweizer Christen sind schuldig gegenüber den Juden. Der Prophet Obadja sagt in Kapitel 1,14: Du sollst dich auch nicht beim Scheideweg aufstellen, um die Flüchtlinge niederzumachen, und sollst seine Entronnenen nicht ausliefern am Tage der Not!
    Bei den arabischen Christen vermisse ich jegliche Selbstkritik und das Bestreiten einer Bedrohung der Christen durch den Islam. Auch die Bedrohung Israels wird ignoriert.
    Wir sollten wie der Prophet Daniel beten: Wir und unsere Vorfahren haben gesündigt… Nur dann kann echte Versöhnung entstehen zwischen westlichen und arabischen Christen und zwischen Arabern und Juden. Die Menschen sind schwach, aber dem Gott Israels und dem jüdischen Messias an seiner rechten Seite ist alles möglich.
    Denn so spricht der HERR der Heerscharen, nachdem die Herrlichkeit mich ausgesandt hat, über die Nationen, die euch geplündert haben – denn wer euch antastet, tastet seinen Augapfel an (Sachaja 2,12)

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