Zwei Schritte nach vorn, einer zurück: Das Frauenwahlrecht in Saudi-Arabien

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© istock/murat sarica

Saudi-Arabien ist nicht immun geblieben gegen die Forderungen nach Veränderung, die durch die arabische Welt fegen. König Abdullah verkündete am 25. September 2011, dass in den kommenden Jahren Frauen in die Beratende Versammlung (Majlis al-Shura) berufen würden und dass ihnen von 2015 an ermöglicht würde, bei Kommunalwahlen zu kandidieren und abzustimmen. Aber ist dies tatsächlich ein deutlicher Fortschritt für die Rechte der saudischen Frauen, oder doch nur ein weiteres Beispiel für die Reformpolitik des Königreichs unter dem Motto „zwei Schritte nach vorn, einer zurück“?

Der so genannte Arabische Frühling hat Erwartungen nach Liberalisierung und mehr Demokratie im gesamten Nahen Osten geweckt. Beobachter haben solche Entwicklungen auch im Königreich Saudi-Arabien erwartet. Die königliche Familie reagierte auf die Herausforderung zunächst vor allem, indem sie ihren enormen Ölreichtum dazu nutzte, ihren Untertanen finanzielle Mittel in Form von Lohnerhöhungen, Wohnbeihilfen und anderem im Gesamtwert von etwa 120 Milliarden Dollar zukommen zu lassen. Demonstrationen waren selten und beschränkten sich hauptsächlich auf die schiitische Bevölkerungsminderheit in der Ostregion.

Doch während es den Anschein hat, dass kaum ein Saudi ernstlich an ein Ende der Monarchie zugunsten der Demokratie denkt, gibt es doch regelmässig Forderungen nach Veränderung und in der Folge auch mehr Demonstrationen, wie sie gegen Ende 2010 in der Region aufkamen. Diese Forderungen richten sich auf verstärkte demokratische Beteiligung und die Rechte der Frauen. Vielen modernen Saudis ist die Stellung der Frauen im Königreich derzeit regelrecht peinlich.

In der Öffentlichkeit Saudi-Arabiens sind Frauen immer noch spürbar abwesend. Geradezu berühmt ist das Fahrverbot für Frauen, ihre Bewegungsfreiheit ist von männlichen Verwandten abhängig. Fortschritte vollziehen sich in einem quälend langsamen Tempo. So dürfen Frauen  zum Beispiel die Beratende Versammlung beobachten (seit 1999). Die Ernennung einer Frau zur stellvertretenden Staatssekretärin des Bildungsministeriums (2000) war ein weiterer Meilenstein, und im Jahr 2010 wurden zwei Frauen in den Vorstand der Handelskammer der Ostregion berufen; die Handelskammer von Jeddah hatte davor schon eine Frau zur stellvertretende Vorsitzenden des Vorstandes, und zwei weitere Frauen für eine vierjährige Amtszeit ernannt.

Es gibt im saudischen Fernsehen inzwischen Nachrichtensprecherinnen, Frauenthemen werden immer populärer und nehmen in den Medien breiten Raum ein. An westlichen Massstäben gemessen, ist die Situation für Frauen natürlich düster.  Immerhin ist überhaupt Veränderung erkennbar; gemessen an der Ausgangslage wird deutlich, dass die Verbesserung der Situation der Frauen unter Abdullah zu einer vorrangigen Angelegenheit geworden ist.

Saudische Aktivisten haben die Kraft der Revolution in Ägypten und anderswo in einen konkreten Entwicklungsschritt umzusetzen versucht  – das Thema Frauenrechte war naheliegend. So machten sie es zum Schwerpunkt,  das Frauenwahlrecht  für die Gemeinderatswahlen am 29. September zu erlangen; auch  das drastische Fahrverbot für Frauen verlangte Aufmerksamkeit. Doch die Wahlen haben inzwischen  – mit schwacher Wahlbeteiligung – ohne Wählerinnen und Kandidatinnen stattgefunden.

Für eine Fahrerlaubnis organisierten Frauen am 17. Juni einen demonstrativen Protest, der in der internationalen und lokalen Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit fand.

Die Erklärung des Königs zum Wahlrecht von Frauen war ein Schritt nach vorne, der aber genauso zögerlich ausfiel wie die ganze Rede des Königs. Die Beratende Versammlung, der anzugehören prestigeträchtig ist, auch wenn sie in Wirklichkeit wenig Macht besitzt, hat viele prominente und bestens ausgebildete Mitglieder. Doch schon bald wurde klar, dass auch der Erfolg für die Frauen, ihre Beratung zu beobachten, einen Haken hatte: die Frauen würden keinen Zutritt zum Hauptsaal haben und die Geschehnisse über eine Lautsprecheranlage verfolgen. Abdullahs Ankündigung zu den Kommunalwahlen war gewichtiger: Frauen würden in einem wichtigen öffentlichen Bereich den Männern gleichgestellt sein. Doch die headlines westlicher Zeitungen  – „Saudischer Herrscher gesteht Frauen das Wahlrecht zu“  titelte die New York Times – erfassten nicht das Wesentliche. Sie vermitteln den Eindruck, Abdullah würde die frauendiskriminierende Wahlbenachteiligung aufheben. Es ist wahr, Frauen erhalten das aktive und passive Wahlreicht bei Kommunalwahlen – aber diese Gremien behandeln untergeordnete Themen, und die königliche Familie stellt die Hälfte ihrer Mitglieder.

Die Ankündigung wurde vor Ort mit einiger Begeisterung aufgenommen. Doch für andere war sie keine grosse Sache. „Ich kann also wählen – aber ich kann keinen Führerschein bekommen“, sagte eine Einwohnerin von Jeddah. Während das Führen eines Kraftfahrzeugs für Unabhängigkeit und Gleichheit steht und im Alltagsleben einen tatsächlichen Unterschied ausmacht, ist das Wahlrecht zwar symbolisch wichtig, schafft aber keine Möglichkeit für einen tatsächlichen Wandel.

Aufgrund seines hohen Alters und schlechten Gesundheitszustands wird Abdullahs es womöglich gar nicht mehr erleben, dass eine Frau an der Beratenden Versammlung teilnimmt oder für einen Platz im Gemeinderat kandidiert. Der Kronprinz, Sultan, ist ein gebrechlicher Achtzigjähriger. Der Nächste in der Erbfolge, Innenminister Naif, ist deutlich jünger, aber weitaus konservativer. Es könnte sein, dass er Angehörigen des religiösen Establishments nachgibt, die von Abdullah offensichtlich nicht konsultiert worden sind. Scheich Salih al-Luhaydan, Mitglied des Ältestenrates der islamischen Rechtsgelehrten (Ulama) warnte mit einem arabischen Sprichwort, dass „der Faden zwischen einem Anführer und seinem Volk reissen wird, wenn man zu stark daran zieht“. Diese Warnung meint den schmalen Grat, auf dem sich die Führung der saudischen Königsfamilie bewegt, die schrittweise Reformen ohne politische Beteiligung unterstützt.

Die saudische Gesellschaft ist sehr konservativ, und viele begreifen, dass der Wandel sich langsam vollziehen muss. Niemand wünscht sich jene Art von Aufruhr und Instabilität, deren Zeugen wir in Ägypten, Tunesien, Jemen und Syrien wurden. Diejenigen, die mit dem gegenwärtigen System mehr oder weniger zufrieden sind, werden durch die symbolischen Zugeständnisse König Abdullahs ruhiggestellt. Doch die jüngere Generation wird sich, inspiriert von der Möglichkeit des Wandels von unten wie in Ägypten, davon kaum überzeugen lassen. Sie wird weiterhin Druck machen für beschleunigte Reformen; aber auch sie ist sich der Begrenzungen durch die saudische Gesellschaft und den eisernen Griff, mit dem die saudische Königsfamilie an der Macht festhält, bewusst.

 

Dr. Joshua Teitelbaum ist leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Begin-Sadat Center for Strategic Studies, Forschungsbeauftragter am GLORIA Center des IDC, und Dozent an der Bar-Ilan-Universität. Er ist auch Gastdozent und Referent der Task Force on Islamism and the International Order an der Hoover Institution in Stanford. Sein jüngstes Buch ist Saudi Arabia and the New Strategic Landscape (Stanford: Hoover Press).

 

Kurzfassung der Originalversion: Two Steps Forward, One Step Back: Women’s Suffrage in Saudi Arabia by Dr. Joshua Teitelbaum, © BESA Center Perspectives Paper No. 150, October 9, 2011