Christliche Provokation?

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© istock/Scott Sharick

Im Jahresbericht des US-Aussenministeriums zur internationalen Religionsfreiheit werden hunderte von Vorfällen von religiösem Eifer und von Gewalt aufgeführt, besonders in der arabisch-muslimischen Welt, Asien, und den Staaten des ehemaligen Sowjetblocks. Auf einer Pressekonferenz am 13. September 2011 wurden Burma, China, Eritrea, Iran, Nord-Korea, Saudi-Arabien, Sudan und Usbekistan ganz aktuell als „Länder besonderer Besorgnis“ benannt. Religiös motivierte Angriffe und systematische Diskriminierung aufgrund des Glaubens werden aus diesen Ländern oft berichtet.

In der zweiten Reihe jedoch und als Länder, die keine „besondere Besorgnis“ auslösen, stehen Nationen wie Ägypten, Pakistan (Sufis, Shiiten, Ahmadiyas und christliche Gläubige werden in alarmierenden Zahlen verfolgt), und Kasachstan, wo der Machthaber Nursultan Nasarbayew  gerade dabei ist, ein Gesetz zur Begrenzung der Aktivitäten religiöser Missionare zu unterzeichnen.

Natürlich weiss man, wer an diesen Verfolgungen die Schuld trägt: Die Christen. Zumindest scheinen die grossen christlichen Organisationen darauf bedacht, dies zu versichern. Die schikanierten Christen in diesen Ländern haben sie „herausgefordert“: indem sie offen glauben und missionieren, erhöhen sie die globale Gefahr für die Religionsfreiheit. Der Weltkirchenrat, der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog und die Weltweite Evangelikale Allianz WEA schlossen sich zusammen, um gemeinsam etwas dagegen zu unternehmen – indem sie ihre Mitchristen dazu drängten, sich weniger provokativ zu verhalten.

Der Bericht dieser Arbeitsgruppe trägt den Titel „Christliches Zeugnis in einer multi-religiösen Welt: Verhaltensempfehlungen“. Christen werden dazu aufgerufen, „die Zerstörung von Gebetsstätten, heiligen Symbolen oder Texten“ abzulehnen. Der Bericht verdeutlicht, dass es jede Menge Gewalt und Zerstörung gab; was er allerdings nicht klarstellt, ist, dass die meisten Vorfälle von Gewalt und Zerstörung an Christen verübt worden sind. Die genannten drei Organisationen nehmen für sich in Anspruch, 90 Prozent der Christenheit weltweit zu vertreten. In Italien, Frankreich und Thailand haben sie sich zur Aufstellung dieser Regeln getroffen, deren Grundlage das ehrenwerte Prinzip des Respekts allen Glaubensrichtungen gegenüber ist.

Dass sich keine einzige nicht-christliche Organisation ihrem Aufruf zum Ende der religiösen Provokation anschloss, ist zumindest von kleiner Bedeutung. Die armen Christen konnten keine einzige muslimische Organisation gewinnen, sich ihnen in der Ächtung religiöser Gewalt anzuschliessen, auch wenn die Christen noch zugaben, selbst für die Provokation der Gewalt schuldig zu sein.

Erzbischof Dominique Mamberti

Der vatikanische Sekretär für Beziehungen mit den Staaten, Erzbischof Dominique Mamberti, war diesbezüglich etwas klarer. Gegenüber Vertretern aus Staaten des ehemaligen Sowjetblocks erklärte er kürzlich, dass deren Regierungen für das Klima der latenten Gewalt verantwortlich seien, das Übergriffe auf religiöse Minderheiten erlaube. Um Intoleranz und Diskriminierung zu bekämpfen, so Mamberti, „ist es unerlässlich, Religionsfreiheit zu fördern und zu festigen“, was nicht „mit der einfachen Glaubensfreiheit gleichgesetzt werden kann“, sondern das Recht enthalte, „zu predigen, zu lehren, zu konvertieren, zum politischen Diskurs beizutragen und vollumfänglich an öffentlichen Aktivitäten teilzunehmen“.

Als Echo auf Worte Benedikts XVI prangerte Mamberti „einen radikalen Säkularismus“ in den Ländern Europas an, der „alle Arten religiöser Erscheinungsformen a priori in die Privatsphäre zurückdrängt.“ Die Europäer haben den Relativismus verinnerlicht und glauben, das mache sie tolerant. Aber ihre „postmoderne Vorstellung, dass Religion nur am Rand des öffentlichen Lebens von Bedeutung ist“, führt zu einer Verunglimpfung sowohl des Glaubens als auch des Gläubigen und lässt perverser Weise die Gewalttätigen aktiv werden: Intoleranz wird von Pseudo-Toleranz ermutigt.

Als generelle Kritik an der globalen Lage scheint genau das zu stimmen: Während die vormodernen Fanatiker unverblümt gegen Minderheitenreligionen vorgehen, stellen die postmodernen Mächte das Feigenblatt bereit.

Als Erzbischof Mamberti noch seine Rede hielt, schloss sich der Vatikan dem selbstbezichtigenden Bericht „Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt” schon an. Während Benedikt XVI den deutschen Bundestag aufforderte, die Ansichten der europäischen Elite zur Religion abzulehnen, versuchten sich die Vertreter der Weltchristenheit bei genau diesen Eliten einzuschmeicheln.

Das Ergebnis ist nicht nur widersprüchlich in sich selbst, sondern auch selbstzerstörerisch, es hat mörderische Konsequenzen. Man muss nur die Christen in Ägypten fragen. Oder in Pakistan. Oder in Kasachstan. Wenn man sie denn noch findet.

 

Joseph Bottum ist Redakteur des Weekly Standard und Autor des Buches The Second Spring: Words into Music, Music into Words. Dieser Bericht entstand mit Material von Lauren Weiner.

Originalversion: Christian Provocation by Joseph Bottum, © Hudson-NY.org, September 28, 2011

 

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