Antisemitismus auf Hollands Fussballfeldern

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In der Welt des Fussballs ist Antisemitismus ein wiederkehrendes Problem. Nirgendwo sonst aber sind die antisemitischen Stadiongesänge so merkwürdig wie in den Niederlanden. Anfang August waren antisemitische Slogans Gegenstand einer Gerichtsverhandlung zwischen BAN – einer niederländischen Organisation, die sich dem Kampf gegen Antisemitismus verschrieben hat – und dem Fussballclub ADO Den Haag.[i] Während des Spiels zwischen den Erstligisten ADO und Ajax Amsterdam im März, welches ADO gewann,

hörte man ADO-Fans mit den Sprechchören „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“ und „schreckliche Krebsjuden“. Auf der Siegerparty sangen Fans und zwei Spieler unter Anwesenheit ihres Trainers „Wir werden die Juden jagen“. [ii] In seinem Urteil erklärte der Richter jetzt, das ADO-Management sei verantwortlich, solche Ausbrüche bei zukünftigen Spielen zu unterbinden; wenn das nicht gelänge, müsse das Management das Spiel abbrechen. [iii]

Wenn ADO-Fans von „Juden“ singen, meinen sie eigentlich keine echten Juden. Irgendwann hatten fanatische Ajax-Fans angefangen, sich selber als „Juden“ zu bezeichnen und ihre Mannschaft mit israelischen Flaggen und Davidsternen ausgerüstet in die Stadien zu begleiten. Eine Zeit lang gehörte auch das israelische Lied „Hava Nagila“ zu ihrem Repertoire, wenn Ajax ein Tor schoss. Einige Fans tragen sogar Davidsterne als Tattoo.

Ajax hatte einige jüdische Vorstandsmitglieder, und es gibt eine kleine Anzahl nicht-gewalttätiger jüdischer Ajax-Fans: etwa ein Prozent der Besucher bei Heimspielen. Anfangs haben diese den Spitznamen und seine Begleiterscheinung noch mit Wohlwohlen betrachtet, dabei aber nicht die langfristigen Konsequenzen bedacht.

Fanatische Fans anderer Fussball-Clubs, vornehmlich die der grossen Städte Rotterdam, Den Haag und Utrecht, verstanden den Spitznamen als Provokation und begannen ihn mit Hass-Gesängen zu quittieren. Sie waren antisemitisch, zielten aber auf Nicht-Juden. Ajax-Fans konterten mit „bombardiert Rotterdam“, als sie auswärts gegen Feyennoord spielten, und bezogen sich damit auf die tödliche Bombardierung der Stadt während der deutschen Invasion der Niederlande im Mai 1940.

Allmählich änderten die antisemitischen Sprechchöre den Text. Im Oktober 2004 brach Schiedsrichter Rene Temmink die Begegnung ADO – PSV Eindhoven ab, weil es während des Spiels zu längeren Rufen von „Hamas, Hamas, Temmink ins Gas“ kam. Zum ersten Mal wurde damit in den Niederlanden ein Spiel der Ersten Liga wegen Hass-Gesängen abgebrochen.

Allmählich begannen Fussballfans, auch anderenorts antisemitische Sprechchöre anzustimmen, die sich gegen „echte“ Juden richteten. Rabbiner Binyomin Jacobs – Oberrabbiner der Niederländischen Provinzstädte  -, erzählt, dass er zusammen mit einem nicht-jüdischen Psychologen einmal einen Zug mit Feyenoord-Fans bestieg. Als die Fans sie erblickten, begann der Gesang: „Juden ins Gas.“ Er hatte das Gefühl, der ganze Zug voll „gewöhnlicher Holländer“ wende sich gegen sie, so Jacobs. Der Rabbiner erzählt weiter, dass „der  Psychologe vor Angst regelrecht schrumpfte. Mir schien, Angst zu zeigen, würde uns nicht viel helfen, also tat ich so, als ob es mich nichts anginge – um Stärke zu zeigen. Man könnte diesen Vorfall als Hooliganismus abtun, aber wenn nur einer dieser Idioten uns angegriffen hätte, wären ihm bestimmt viele gefolgt.“[iv]

Heute hört man den Sprechchor „Hamas, Hamas, Juden ins Gas” bei Demonstrationen gegen Israel in den Niederlanden, hauptsächlich von Muslimen. Auch wenn solche Ausbrüche per Gesetz verboten sind, werden Zuwiderhandlungen selten bestraft. Im Januar 2009 nahmen zwei Parlamentarier der Sozialistischen Partei an einer Demonstration teil, an der diese Schlachtrufe zu hören waren. Später gaben sie an, nichts von solchen Rufen und Gesängen gehört zu haben. [v] Berichte wissen von  muslimischen Schülern an verschiedenen niederländischen Schulen, die die gleichen Hass-Lieder anstimmen, um jüdische Mitschüler zu beleidigen. [vi]

Seit einigen Jahren haben die niederländischen Behörden begriffen, dass die Ausbreitung dieser Hasslieder gestoppt werden muss. Nachdem Ajax die Meisterschaft gewonnen hatte, empfahl im Mai Amsterdams Bürgermeister Eberhard van der Laan, Ajax– Fans sollten den Spitznamen „Juden“ nicht mehr verwenden. Er bemerkte aber: „Es kann an die zehn Jahre dauern, dieses Verhalten zu ändern.“ [vii]

Dass sich Antisemitismus im Fussball ausbreitet, kann als Sonderlektion für die kleine jüdische Gemeinde der Niederlande dienen. Einmal mehr zeigt sich, dass Juden Problemen vorgreifen müssen, bevor sie die Gesamtheit der Gesellschaft erreicht – und dass sie darum wachsamer sein müssen als andere gesellschaftliche Gruppen.

Manfred Gerstenfeld

 

 

 


[i] Kemal Rijken, “Welles-nietes tussen BAN en ADO,” NIW, 5 August 2011 [Dutch].

[ii] ‘Geschrokken Immers: Jodenjacht leek mij onschuldig’, AD, 21 March 2011 [Dutch].

[iii] LJN: BR4406, Voorzieningenrechter Rechtbank ‘s-Gravenhage, 398200 / KG ZA 11-812, 9 August 2011

[iv] Interview with Binyomin Jacobs, “rabbijn in een polariserende samenleving.” in Manfred Gerstenfeld Het Verval, (Amsterdam; Van Praag 2009), 175-176. [Dutch]

[v] Cnaan Lipshiz, “Dutch MP: I never heard Gaza protesters shouting ‘Jews to the gas,’ Haaretz 15 January 2009.

[vi] Annual reports on Anti-Semitism in the Netherlands from The Center for Information and Documentation on Israel (CIDI). [Dutch]

[vii] Hugo Logtenberg, ‘Van der Laan wil “Joden, Joden” verbannen uit de Arena’, Het  Parool, 13 May  2011. [Dutch]