Anti-Israelismus: Mit zweierlei Mass messen

1
Lesezeit: 4 Minuten
© istock/Ragip Candan

Dass an Israel ein anderes Mass angelegt wird als an andere und dass damit Doppelstandards herrschen, hat sich international breit durchgesetzt. Diese Doppelstandards finden sich bei den Vereinten Nationen selbst und vielen ihrer Partner. Dazu gehören (auch westliche) Regierungen, grosse Medien – die BBC ist die bestuntersuchte Anstalt zu diesem Thema –, akademische Einrichtungen, NGOs, liberale Kirchen und viele mehr.

„Doppelstandards“ definiert das Cambridge Online-Wörterbuch prägnant: „Eine Regel oder ein Standard richtigen Verhaltens, das in ungleicher Weise von manchen Personen eingefordert wird und von anderen nicht.“ [1] Dass Doppelstandards Juden gegenüber jahrhundertelang Kern antisemitischen Verhaltens war, ist vielfach untersucht worden.

Natan Sharanksy, ehemaliger Minister und derzeit Vorsitzender der Jewish Agency, hat zur Überprüfung möglicher antisemitischer Tendenzen in Bezug auf Israel einen 3-D-Test entworfen – einen „Test“ im Hinblick auf Dämonisierung, Doppelstandards und Delegitimisierung. [2] Und die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte FRA nimmt die Anwendung von Doppelstandards in ihre Definition von Antisemitismus gegenüber dem Staat Israel auf – Antisemitismus liegt danach vor, wenn von Israel ein Verhalten erwartet wird, wie es von keinem anderen demokratischen Land verlangt wird.[3]

Sechs Kategorien

Doppelstandards lassen sich in sechs Kategorien einteilen, von denen sich einige überschneiden. Einseitige Stellungnahmen oder tendenziöse Medienberichterstattung: Die Durban-III-Konferenz, die erst kürzlich in New York stattgefunden hat, ist ein Beispiel für einen Doppelstandard, den Israel seitens der UN erfährt. Auch hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon 2011 die gezielte Tötung Osama bin Ladens durch die USA begrüsst, während die Tötung des Hamas-Anführers Sheikh Yassin 2004 durch Israel vom damaligen Generalsekretär Kofi Annan heftig verurteilt worden war. Die Europäische Kommission hatte wie auch die britische und französische Regierung und einige andere mit ähnlicher Doppelzüngigkeit reagiert.

Weiter ist da die bewusste Selbstzensur oder Auslassung essentieller Informationen für eine ausgewogenen Betrachtung: Nachdem im Jahr 2000 sich zwei israelische  Reservesoldaten verfahren und in Ramallah gelyncht worden waren, versicherte der Reporter des italienischen Staatsfernsehen Rai Ricardo Christiano in einem offenen Brief an die Palästinensische Autonomiebehörde, dass nicht sein Sender es gewesen sei, der die Bilder aus Ramallah veröffentlicht habe, sondern ein anderer. Er betonte, dass er diese Bilder nie veröffentlicht hätte.[4]

Drittens ist da die Unverhältnismässigkeit: Viele Menschenrechts- NGOs und Medien beobachten Israel durch ein Vergrösserungsglas und übersehen dabei gleichzeitig und wiederholt bedeutende Verbrechen in muslimischen Staaten.

Einmischung in interne israelische Angelegenheiten: Der Parteichef der britischen Liberalen und stellvertretende Premierminister Nick Clegg bemerkte, dass die israelische Regierung die Interessen ihrer Bevölkerung nicht erfülle. Man sollte ihn mal fragen, wann er ähnliches über die frühere tunesische Regierung unter Zine Al Abidine Bin Ali oder die ägyptische unter Husni Mubarak festgestellt hat.

Diskriminierende Handlungen: Der ehemalige israelische UN-Botschafter Dore Gold erzählt, dass es den arabischen Staaten 1997 gelungen ist, wegen Israels Häuserbau in Har Homa eine Eilsitzung der UN-Generalversammlung einzuberufen. Gold betont, dass es keine Sondersitzung gab, als die Sowjets in Afghanistan oder die Tschechoslowakei einfielen, oder bei der Invasion Vietnams in Kambodscha oder der Türkei auf Zypern.[5]

Am wenigsten bekannt sind Doppelstandards, die man als humanitären Rassismus bezeichnen kann: [6] Schwachen und nicht-weissen Völkern wird dabei eine wesentlich geringere Verantwortung zugemutet. Das ist Rassismus, denn je weniger Menschen für ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen werden, umso mehr werden sie als nicht zurechnungsfähig behandelt und in die Nähe behinderter Menschen oder  von Tieren gerückt. Die Schriftstellerin Ayaan Hirsi Ali erzählte mir, dass sie während ihres Studiums der Sozialarbeit in den Niederlanden gelernt hat, Rassismus zeige sich nur unter Weissen. Dabei erinnert sie sich, dass „mich meine Familie in Somalia als Rassistin erzog und mir beibrachte, wie überlegen wir Muslime den christlichen Kenianern gegenüber sind. Meine Mutter glaubt, dass diese Halbaffen sind.“ [7] In Bezug auf Israel ist es typisch für einen humanitären Rassismus, dass Israel für alles verantwortlich gemacht wird, was der Staat zu seiner Verteidigung gegen den Terrorismus unternimmt. Die palästinensische Verantwortung für Selbstmordanschläge, Raketenangriffe und die Verherrlichung von Mördern von Zivilisten wird immer wieder klein geredet.

Die Doppelstandards vieler Einzelpersonen und Organisationen Israel gegenüber lassen sich über ihre Stellungnahmen und Handlungen regelmässig im Internet verfolgen. Man muss ja nicht alle auf einmal aufdecken, sondern eher einige Antisemiten sorgsam beobachten. Die meisten Menschen sind Feiglinge. Viele finden sich gern gratis zu einem antisemitischen Essen ein – doch sobald klar wird, dass sie für ihre Mahlzeit zu zahlen haben, wird sich die Anzahl dieser Lunches wohl reduzieren.

Dr. Manfred Gerstenfeld hat mehr als zwanzig Bücher veröffentlicht, einige davon zum Thema Antisemitismus und Antiisraelismus.


[1] Cambridge Dictionaries Online http://dictionary.cambridge.org/dictionary/british/double-standard

[2] Naran Sharansky, “3D Test of Anti-Semitism: Demonization, Double Standards, Delegitimization,” Jewish Political Studies Review, 16:3-4, Fall 2004.

[3] fra.europa.eu/fraWebsite/material/…/AS-WorkingDefinition-draft.pdf

[4] Rory Carroll and Ian Black, “TV Row over Mob Footage ‘Betrayal,’” The Guardian, 20 October 2000.

[5] Manfred Gerstenfeld, interview with Dore Gold, “Europe’s Consistent anti-Israeli Bias at the United Nations,” in Israel and Europe: An Expanding Abyss, (Jerusalem: JCPA and Adenauer Foundation, 2005) 52-53.

[6] Manfred Gerstenfeld, Behind the Humanitarian Mask: The Nordic Countries, Israel and the Jews, (Jerusalem: Jerusalem Center for Public Affairs, 2008) 22-23

[7] Manfred Gerstenfeld, interview with Ayaan Hirsi Ali, “Confronting Israeli Realities with Dutch Ones,” in European-Israeli Relations: Between Confusion and Change, (Jerusalem: JCPA and Adenauer Foundation, 2006) 160.

1 Kommentar

  1. events in Zürich…
    http://www.agenda.uzh.ch/record.php?id=14129
    Rifts in time: Israel-­Palestine 1911-­2011
    In the human and political landscape of the modern Near East, Palestine and Asia Minor have experienced the most drastic changes of any region in the last hundred years. Both became «promised lands» for modern national projects that were implemented during and after the last years of the Ottoman Empire.
    The main focus of the academic event «Rifts in time: Israel-Palestine 1911-2011» at the University of Zurich is the presentation and discussion of recent research on late Ottoman Palestine, in particular on the Second Ottoman Constitutional Period (1908–1918).

    «From where to where? Palestine-Israel 1911–2011» – Public Panel Discussion
    Donnerstag, 13. Oktober 2011, 18:15 Uhr bis 20:00 Uhr http://www.agenda.uzh.ch/record.php?id=14130

    Arab-Jewish economy in Palestine: what future against the background of a century?
    Freitag, 14. Oktober 2011, 12:15 Uhr bis 13:45 Uhr

    Arab revolutions of 2011 against the backdrop of the 1908 Young Turk Revolution – and Israel
    Freitag, 14. Oktober 2011, 16:15 Uhr bis 18:00 Uhr http://www.agenda.uzh.ch/record.php?id=14131

Kommentarfunktion ist geschlossen.