Zur Lage der Christen in Syrien

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„Wir haben keine Angst vor dem Islam. Wir fürchten ein Chaos wie im Irak.“ Der Wortführer der syrischen Christen, der melkitische, mit Rom unierte, Erzbischof Gregorius III (früher als Lutfi Laham Erzbischof von Jerusalem) hat offene Briefe an Regierungen in Europa und den USA geschickt mit der Bitte, sich in Syrien nicht einzumischen. Die rund zwei Millionen Christen in Syrien halten sich bedeckt und unterstützen uneingeschränkt das Regime des Präsidenten Bashir al-Assad. Während zunehmend westliche Politiker ihre Abscheu über Massaker in Syrien mit immer schärferen Worten verurteilen, die Türkei offen mit Krieg droht, Assad ein Ultimatum gestellt hat und Reservisten einberuft für den Fall, dass die Flüchtlingsströme überhand nehmen, ziehen erste arabische Länder sogar ihre Botschafter ab.

Erzbischof Gregorius III hat vom Libanon aus gegenüber dem deutschen Programm von Radio Vatikan sein „Beileid für die Toten beider Seiten“ ausgesprochen. Das war ein gewagter Schritt, den er gegenüber den syrischen Staatsmedien nicht gewagt hätte. Denn das offizielle Syrien sieht in den toten Zivilisten „Terroristen“, denen kein Beileid gebührt, da sie Angehörige von Armee und Polizei ermorden. Gemäss den dürftigen und unzuverlässigen Informationen aus dem abgeschotteten Staat scheinen sich Christen nicht an den Demonstrationen zu beteiligen. Ob Christen zu den Opfern gehören, ist unbekannt, zumal ihre Zentren in Aleppo, Latakije, Hama und anderen Städten liegen, aus denen Beschuss der Marine, vorrückende Panzer und Tote gemeldet werden.

Der syrisch orthodoxe Patriarch Ignatius Zakka I hat sich offen zum Befürworter Assads erklärt. Der ebenfalls in Damaskus residierende Erzbischof von Antiochien schweigt geflissentlich, hat aber seinen Bischöfen die Freiheit gelassen, selber zu entscheiden, auf welche Seite sie sich stellen. Ein „ökumenisches Gebet“ für Frieden in Syrien in der belagerten Stadt Hama endete allerdings als Solidaritätsveranstaltung mit Präsident Assad. Nach Angaben des Erzbischofs Ignatius IV sei der amerikanische Botschafter Robert Ford aus der patriarchalischen Kathedrale vertrieben worden, weil er Solidarität mit den Menschen im belagerten Hama bezeugt hätte. Gegen den Willen der Regierung war Ford nach Hama gefahren, wo die Regierungstruppen besonders brutal gegen Aufständische vorgehen und wo Bashir al-Assads Vater Hafes el Assad 1982 über 20.000 Moslembrüder abschlachten liess.

Die Treue zu Assad hat für die christliche Minderheit einen guten Grund. Ähnlich wie im Irak unter Saddam Hussein definiert sich Syrien unter dem Regime der Baath-Partei als „weltlich“. Den religiösen Minderheiten, allen voran den Christen, wird Religionsfreiheit gewährt. Die Gläubigen geniessen eine weitgehende Gleichberechtigung und Autonomie. Zwar muss in Syrien laut Verfassung der Präsident ein Moslem sein, aber Christen dienen als Offiziere in der syrischen Armee neben Drusen und Kurden. So geniessen die Christen deutlich mehr Freiheiten als in den meisten anderen arabischen Staaten.

Gregorius III erwähnte in Interviews die Angst der Christen vor „Chaos“. Irak dient ihm als abschreckendes Beispiel. Unter dem Schreckensregime des Saddam Hussein konnten die Christen weitgehend „in Frieden“ überleben. Seit dessen Sturz haben muslimische Gruppen für eine Massenflucht von Christen aus dem Zweistromland gesorgt mit Selbstmordattentaten bei Kirchen und Christenverfolgungen. Hunderttausende flohen in die Türkei und nach Syrien.

Einige syrische Bischöfe beginnen angeblich, hinter vorgehaltener Hand in Privatgesprächen das Blutvergiessen in Frage stellen, seitdem Qatar und Saudi Arabien ihre Botschafter abgezogen haben, die Wirtschaft zugrunde geht und damit das Elend der Bevölkerung zunimmt. Auch der Vatikan hält sich bedeckt und schliesst sich nicht dem Chor der westlichen und arabischen Politiker an, die mit „Erschütterung“ und „Abscheu“ die Massaker in Syrien verurteilen. Beim Angelus Gebet im Juli äusserte Papst Benedikt XVI „tiefe Besorgnis“ und meinte neutral, dass „Waffen nirgendwo Probleme gelöst hätten“. Ohne Gaddafi oder Assad namentlich zu nennen rief der Papst zum „Dialog“ zwischen der Bevölkerung und den Behörden in Libyen und Syrien „für eine friedliche Koexistenz“ auf. Der Papst redete nicht von Sanktionen, sondern nur von einer „angemessenen Antwort auf die legitimen Bestrebungen der Bürger“.

Genauere Informationen, auch zum Schicksal der Christen in Syrien, gibt es nicht. Die Patriarchen und Bischöfe befolgen klare politische Ziele und unterwerfen sich dem Regime. Ihren Äusserungen ist deshalb nur eine bedingte Glaubwürdigkeit beizumessen. In den offiziellen Medien Syriens finden weder Aufstände noch Massaker statt. Die aktive Opposition befolgt eigene politische Ziele und erweist sich mit ihren Angaben als äusserst unzuverlässig. Seit etwa zwei Monaten wird die Zahl der Toten in Syrien mit 1700 angegeben, obgleich fast täglich zwischen zwanzig und über hundert Tote aus Daraa, Latakije, Hama und Städten nahe den Grenzen zur Türkei und Irak hinzukommen. Besonders peinlich war die Behauptung der Opposition, dass Verteidigungsminister Ali Habib Mahmud einen Tag nach seiner Absetzung in seiner Wohnung ermordet worden sei. Keine 24 Stunden später trat der vermeintlich tote Mahmud vor die Kameras des Staatsfernsehens und begrüsste das Vorgehen des Präsidenten.

 

(C) Ulrich W. Sahm