Aljazeera: Eine Organisation, zwei Botschaften

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Der Nachrichtensender Aljazeera mit Sitz in Katar ist von seiner englischsprachigen Website Aljazeera English abhängig. Nur so kann er das  grösser werdende Publikum in den USA erreichen, denn der Sender kann nicht über das US-Kabelnetz empfangen werden. Das Problem dabei ist, dass sich die Inhalte von Aljazeera English bisweilen von der arabischen Version unterscheiden. Zur Verdeutlichung: in einer Zeit, in der Al-Jazeera an seinem neuen Image als Verfechter der Medienreform und Freiheit poliert, ist die Sendung mit Prediger Scheich Yusuf al-Qaradawi eine der beliebtesten arabischen Programme. Der Scheich zählt zu den Fundamentalisten innerhalb der Muslimbruderschaft. Sein funkelndes Grinsen geht einher mit scharfen antiamerikanischen und antisemitischen Hetzreden, die durchsetzt  sind mit der Zensur „antiislamischer“ Botschaften. Das soll nicht heissen, dass Aljazeera English unproblematisch oder Aljazeera Arabic gänzlich mangelhaft ist. Aber oftmals sind die Botschaften nicht dieselben..

Imagewechsel und zunehmender Einfluss

Aljazeera ist bemüht, nicht des Antiamerikanismus beschuldigt werden zu können  und mit dem radikalen Islamismus in Verbindung gebracht zu werden. Der Sender berichtet kritisch, wenn auch  selektiv über Diktatoren und deren Sicherheitsapparat. Aljazeera Büros von Kairo bis Sanaa wurden deshalb auch geplündert , Mitarbeiter und Reporter belästigt, verhaftet, entführt oder gar schlimmer getötet, wie ein Kameramann durch das libysche Militär.

Dennoch hält das reformistische Image Aljazeeras einer genauen Prüfung nicht stand. Einst sagte Scheich Hamad bin Jassim al-Thani, Premierminister von Katar gemäss einem Dokument von WikiLeaks, dass „die Fähigkeit (des Senders) zur Einflussnahme auf die öffentliche Meinung eine erhebliche Quelle des Einflusses für Katar ist.“ Im Weiteren wird in diesem Dokument impliziert, dass der Sender bereit gewesen sei, die Berichterstattung im Austausch für politische Gefälligkeiten anzupassen. Somit entspricht Aljazeeras eher politischen Interessen als journalistischer Integrität.

Englisch kontra Arabisch

Aljazeera English ist vom arabischen Pendant in vieler Hinsicht zu unterschieden:  Die englische Seite ist internationaler ausgerichtet,  die arabische  spiegelt die regionalen Interessen Katars.  Aljazeera English informiert wohlwollend über Themen, die oft auf der arabischen Seite fehlen wie Niedriglöhne, schlechte Arbeitsbedingungen, Klassenkonflikte, Feminismus und Minderheiten im Nahen Osten.

Aljazeera Arabic verfügt über weitaus weniger Freiheiten in der Berichterstattung über regionale Entwicklungen, u.a. in Katar, als die englische Seite. Man findet beispielsweise nur wenig Kritik an Doha.  Auch Berichte über die Verlegenheit der Regierung, die sich wie WeakiLeaks enthüllt hatte,  negativ über den Iran geäussert hatte, blieb fast gänzlich aus.  Kurzum: Das regionale Klima und das politische Geschacher bestimmen die Berichterstattung mit. Katar liegt zwischen zwei wetteifernden Regionalmächten, Saudi Arabien und Iran. Dennoch berichtet die arabische Website nie über interne Streitigkeiten in diesen Ländern, trotz gelegentlicher Berichte dieser Art auf der englischen Seite.

Missing in Action in Bahrain

Die arabische Online-Berichterstattung über Bahrain ist ein glänzendes Beispiel wie Politik den Journalismus übertrumpft. Saudi Arabien hat ein ureigenes Interesse, die sunnitische Monarchie auf der Insel an der Macht zu halten und betrachtet den schiitischen Aktivismus als ein iranisches Komplott. Ferner ist Katar, wie auch Bahrain, Mitglied im Golf-Kooperationsrat GCC. Aljazeera Arabic berichtete denn auch weder über die sich verhärtende Opposition in Bahrain am 8. März als diese Koalitioneine Republik Bahrain forderte und das Ende der Monarchie, noch über die Proteste vom 9., 10. und 13. März. Während diesen Tagen hatte sich Saudi Arabien entschieden, Truppen nach Bahrain zu entsenden. Der Aufmarsch am 14. März aus Riyad wurde nur knapp in den Morgennachrichten erwähnt – mit der Überschrift „Golfkräfte in Bahrain“.

Berichterstattung strategisch motiviert

Als die Unruhen in Syrien ausbrachen, entsprach Aljazeera Arabic zu Beginn seiner Berichterstattung nicht dem Ruf gegen das Establishment aufzutreten, möglicherweise aus Rücksicht auf den Iran. Im Fernsehen wurde über die ersten Proteste kaum berichtet, woraufhin Demonstranten Videos auf YouTube einstellten, die im Chor singen „Aljzeera Waynik?“ (Aljazeera, wo bist Du?). Mit zunehmendem Druck berichteten sowohl die arabischen Website als auch der Sender vermehrt.  Dennoch  war die Information nicht mit den den Berichten des englischen Pendants vergleichbar, auf dessen Website hoffnungsvolle Kommentare zu lesen waren wie „The Winds of Change Reach Syria“, „The Delusion of Bashir al-Assad“, und „The Coming Revolution in Syria?“.

Ein führender syrischer Aktivist merkte an, dass, obwohl er regelmässig im englischen Aljazzera Fernsehen zu Wort komme, er und andere bekannte syrische Dissidenten im Exil nie je auf dem arabischen Kanal von Aljazeera zu sehen seien. Der Blick auf den Inhalt der jeweiligen Websites scheint dies widerzuspiegeln.

Aljazeera Arabic Online neigt dazu, bevorzugt über Libyen und den Jemen zu berichten, beides Katar feindlich gesinnte Staaten. Gleichzeitig lassen sich so  für die führende Kaste politisch sensible Entwicklungen wie beispielsweise die Proteste in Bahrain verschleiern. Die Berichte von Al-Jazeera  zur Entwicklung in Libyen und im Jemen hätten journalistisch Standards setzen können, wenn sie nicht mit unterschlagenen Informationen  über andere regionale Entwicklungen einhergegangen wären.

Achtung Meinungsmache

Im Allgemeinen gleicht Aljazeera Arabic bahnbrechende News mit den Interessen der herrschenden Klasse in Katar ab, egal, wie plump dies daherkommen mag. Das amerikanische Publikum muss deshalb verstehen, dass die Nachrichten und Ansichten, die auf der englischen Aljazeera Website publiziert werden, oftmals nicht auf der arabischen Website zu finden sind. Diese Diskrepanz zeigt sich  auch in der Fernsehberichterstattung. Leider garantiert die Zweiteilung zwischen der arabischen und englischen Ausgabe, dass das jeweilige Publikum nie einer Meinung sein wird. Solange Aljazeera weiterhin mit zwei verschiedenen Sprachrohren agiert, kann Aljazeera nicht als wahrer Reformer oder Förderer von Demokratie verkauft werden.

David Pollack is Senior Fellow at The Washington Institute, focusing on the political dynamics of Middles Eastern countries. He would like to thank Andrew Engel for his valuable research assistance.

Gekürzte Fassung der Originalversion: Aljazeera: One Organisation, two messages, by David Pollock, Policy Watch No. 182, April 28, 2011, Copyright 2011 The Washington Institute for Near East Policy.