Palästinenser: Opfer arabischer Apartheid

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Der Eingang zu Ain al-Hilweh. Foto Twitter / Paltoday
Der Eingang zu Ain al-Hilweh. Foto Twitter / Paltoday
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Der Libanon ist eines von mehreren arabischen Ländern, in denen Palästinenser diskriminierenden Rechtsbestimmungen sowie Apartheidgesetzen und -Massnahmen ausgesetzt sind. Die Not der Palästinenser in arabischen Ländern ist für die internationale Gemeinschaft und pro-palästinensische Aktivisten und Gruppierungen aus der ganzen Welt jedoch scheinbar nicht von Interesse.

 

von Khaled Abu Toameh

Vor kurzem errichteten die libanesischen Behörden elektronische Sicherheitstore an allen Eingängen von Ain al-Hilweh, dem grössten Flüchtlingslager im Libanon. Dieser Schritt löste eine Welle von Protesten in Ain al-Hilweh und unter Palästinensern, die in anderen Flüchtlingslagern im Libanon leben, aus. Sie sehen die Errichtung der elektronischen Tore als Kollektivstrafe an.

Bis vor wenigen Jahren hatte Ain al-Hilweh eine Bevölkerung von 75.000. Mit dem 2011 einsetzenden Zustrom von Flüchtlingen aus Syrien schätzt man die Bevölkerung des Lagers jedoch mittlerweile auf über 160.000 Menschen.

Vor zwei Jahren begann die libanesische Armee im Rahmen ihrer Bemühungen, dschihadistische Terrororganisationen zu bekämpfen, die angeblich das Lager infiltriert hatten, mit dem Bau eines Sicherheitszauns rund um Ain al-Hilweh. Mit der Fertigstellung des Zauns entschieden die libanesischen Behörden, elektronische Tore zu installieren, um alle Personen, die das Lager betreten und verlassen, zu überprüfen. Für die Palästinenser kam der Schritt überraschend. Die libanesischen Behörden geben an, die Tore seien unerlässlich, um Sprengstoff und andere Arten von Waffen zu entdecken.

Die Installierung der elektronischen Tore erfolgte während des heiligen Monats Ramadan – ein Schritt, der die Spannungen innerhalb des Lagers Ain al-Hilweh weiter verschärfte und massive Verurteilung seitens der Lagerbewohner und anderer Palästinenser nach sich zog.

Die Führer verschiedener palästinensischer Gruppen im Libanon, die Anfang dieser Woche eine Krisensitzung abhielten, um die Errichtung der elektronischen Tore zu besprechen, appellierten an die libanesische Regierung, die Sicherheitseinschränkungen für die Lagerbewohner zu lockern. Einige der Anführer behaupteten, die neuen Tore seien Teil einer von den USA angeführten „Verschwörung“ gegen palästinensische Flüchtlingslager im Libanon. „Wir befürchten, dass die jüngsten Massnahmen des Libanons das Ergebnis von US-Druck auf die libanesische Regierung sind, um diese zur Verhängung von Strafmassnahmen gegen die palästinensischen Lager [im Libanon] zu drängen“, sagte ein palästinensischer Vertreter, der an der Krisensitzung teilnahm. Er gab an, dass die meisten der Terroristen, die von den libanesischen Behörden gesucht würden, Ain al-Hilweh trotz der scharfen Sicherheitsmassnahmen um das Camp bereits verlassen hätten und es daher keinerlei Rechtfertigung für die elektronischen Tore gebe.

Nach Auskunft von Bewohnern des Lagers Ain al-Hilweh haben die elektronischen Tore ihr Leben in eine Misere verwandelt. Durch die ausgiebigen Durchsuchungen der Soldaten aller Palästinenser, die das Lager betreten und verlassen, entstünden lange Schlangen und Verzögerungen. Sie beklagen, dass die Tore an sämtlichen Eingängen zum Lager installiert wurden, obwohl die Sicherheitslage im Camp sich vergleichsweise verbessert hatte und es in jüngerer Zeit ruhig geblieben war. „Derartige Sicherheitsmassnahmen sind ungerechtfertigt und dienen nur dazu, den Ärger und die Frustration zu verstärken“, erklärte Yasser Ali, offizieller Vertreter einer Gruppe, welche palästinensische Flüchtlinge im Libanon repräsentiert. „Warum behandeln sie Ain al-Hilweh, als ob es eine Insel voller ansteckender Krankheiten wäre?“

In den vergangenen Tagen veranstalteten die Bewohner des Lagers eine Reihe von Protesten gegen die elektronischen Tore und verlangten ein Ende der harten Massnahmen der libanesischen Behörden gegen die Palästinenser im Libanon im Allgemeinen und in Ain al-Hilweh im Besonderen. „Lieber sterben wir, als dass wir uns demütigen lassen“, und „Die Menschen im Lager sind gegen die Tore“, skandierten die Demonstranten.

 

Eine palästinensische Menschenrechtsorganisation verurteilte ebenfalls den Entschluss der libanesischen Armee, elektronische Tore an den Eingängen zum Lager zu installieren. Sie stellte fest, diese Massnahme erkläre alle Bewohner von Ain al-Hilweh zu mutmasslichen Terroristen. „Diese Massnahme ist eine Beleidigung und eine Demütigung für die Bewohner des Lagers und ein Angriff auf ihre Würde“, hiess es von der Organisation in einer Stellungnahme.

„Derartige elektronische Tore kommen an Flughäfen und internationalen Grenzen zum Einsatz und es ist schwer zu verstehen, warum sie verwendet werden, um die Bewohner eines Lagers zu überwachen. Offensichtlich handelt es sich dabei um eine Kollektivstrafe, die sich auf Zehntausende Menschen auswirkt. Die Sicherheitsmassnahmen, einschliesslich der elektronischen Tore und der Betonmauer, haben aus dem Lager ein echtes Gefängnis gemacht. Die Bewohner sind zu Gefängnisinsassen geworden, die nur mit der Genehmigung des an den Eingängen positionierten Militärs das Lager betreten und verlassen dürfen.“

Einige Palästinenser klagen die libanesische Führung wegen ihrer Heuchelei an. Der palästinensische Politikkommentator Ahmed Al- Ali fragte: „In wessen Interesse ist es, die Palästinenser im Libanon zu demütigen?“ „Wie schizophren sind libanesische Offizielle, wenn sie zwar über die Befreiung Palästinas reden, aber gleichzeitig harsche Massnahmen gegen die Palästinenser ergreifen?“

Am 13. Juni traf sich eine aus Vertretern der palästinensischen Gruppierungen bestehende Delegation mit Bahia Hariri, einer Angehörigen des libanesischen Parlaments, die gleichzeitig auch die Tante des libanesischen Premierministers Saad Hariri ist, und appellierten an sie, sich für die Entfernung der elektronischen Tore an den Eingängen zu Ain al-Hilweh einzusetzen. Die Delegation beklagte sich bei ihr, dass die Tore negative Auswirkungen auf das Leben der Lagerbewohner hätten und drängten sie, ihren Einfluss bei den libanesischen Behörden zu nutzen, um die über die Palästinenser im Libanon verhängten Einschränkungen zu lockern.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass die 450.000 im Libanon lebenden Palästinenser schon lange und in allen Bereichen unter einer Politik der systematischen Diskriminierung und Marginalisierung durch die libanesischen Behörden leiden.

Bis 2005 waren Palästinenser von 70 unterschiedlichen Kategorien von qualifizierten Berufstätigkeiten ausgeschlossen, darunter die Sparten Medizin, Recht und Ingenieurwesen. Wenngleich der libanesische Arbeitsminister 2005 ein Memorandum ausgab, welches Palästinensern die legale Ausübung handwerklicher und kaufmännischer Tätigkeiten erlaubte, ist das Verbot für Palästinenser, die einen Facharbeitsplatz suchen, nach wie vor in Kraft. 2001 verabschiedete das libanesische Parlament ein Gesetz, das Palästinensern den Besitz und das Erbe von Eigentum untersagt. Ausserdem haben palästinensische Flüchtlinge keinen Zugang zu den staatlichen Krankenhäusern des Libanon. Wie es ein Palästinenser formulierte:

„Die Palästinenser im Libanon und in anderen arabischen Ländern werden nicht wie Menschen behandelt. Die Araber halten uns in Ghettos und verweigern uns grundlegende Menschenrechte. Im Libanon ähneln palästinensische Flüchtlingslager eher einem Zoo oder einem Gefängnis. Es ist beschämend, dass Araber in der Lage sind, ihre arabischen Schwestern und Brüder auf diese Art und Weise zu behandeln. Noch beschämender ist das Schweigen der internationalen Gemeinschaft und der UN.“

Als ob all das noch nicht genug wäre, startete die libanesische Armee 2007 eine grossangelegte Militäraktion gegen ein weiteres Flüchtlingslager, Nahr al-Bared, bei der Hunderte Menschen getötet und ein Grossteil der dortigen Häuser zerstört wurden. Die Mehrheit der 32.000 Lagerbewohner war gezwungen, ihre Wohnungen zu verlassen. Laut dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) „haben die Auswirkungen dieser Vertreibung die bereits vorher schon harten sozioökonomischen Bedingungen, unter denen diese Flüchtlinge leben, verschärft und stellen eine chronische humanitäre Krise dar.“

Die internationale Gemeinschaft schenkt Palästinensern nur dann Aufmerksamkeit, wenn es möglich ist, Israel die Schuld zuzuschieben.

Die Einwohner von Ain al-Hilweh fürchten nun, dass die scharfen Sicherheitsmassnahmen rund um ihr Lager, darunter auch die Aufstellung der elektronischen Tore, bedeuten, dass ihnen womöglich das gleiche Schicksal droht.

Aus diesem Grund planen sie, ihre Proteste in den kommenden Tagen und Wochen zu verstärken. Die Palästinenser im Libanon täten jedoch schlecht daran, grosse Hoffnungen auf die internationale Gemeinschaft oder palästinensische Führer zu setzen.

Die internationale Gemeinschaft schenkt Palästinensern nur dann Aufmerksamkeit, wenn es möglich ist, Israel die Schuld zuzuschieben. Die einzigen Palästinenser, die offensichtlich in der Lage sind, die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft und Medien zu erregen, sind jene, die im Westjordanland und dem Gazastreifen leben und sich in direktem Konflikt mit Israel befinden. Palästinenser, die in Ghettos irgendwo in der arabischen Welt leben und die von arabischen Armeen getötet und vertrieben werden, finden keine Beachtung seitens der internationalen Gemeinschaft oder der Mainstream-Medien.

Niemand schert sich darum, wenn ein arabisches Land Palästinenser schlecht behandelt, diskriminiert oder tötet. Wenn jedoch etwas im Westjordanland oder dem Gazastreifen passiert, wachen die internationale Gemeinschaft und die Medien plötzlich auf. Warum? Weil sie keine Gelegenheit, Israel zu verurteilen, verpassen wollen.

Die Bewohner von Ain al-Hilweh hätten sich glücklich schätzen können, wenn es Israel gewesen wäre, das die elektronischen Tore an den Eingängen zu ihrem Lager aufstellte. In diesem Fall wären Dutzende ausländischer Journalisten und Menschenrechtsaktivisten vor dem Lager zusammengelaufen, um eine „Verletzung der palästinensischen Menschenrechte“ durch Israel zu dokumentieren. Man kann sich nur annähernd den weltweiten Aufschrei vorstellen, wenn Israel ein Gesetz verabschieden würde, das Arabern Jobs oder das Recht, Eigentum zu erben, verbieten würde.

Zehntausende Palästinenser leben derzeit in einem Ghetto namens Ain al-Hilweh und die ganze Welt scheint damit kein Problem zu haben. Tatsächlich leben die meisten Palästinenser im Libanon schon lange in Ghettos, die von der libanesischen Armee umstellt sind.

Und doch gibt es auf den Strassen von London oder Paris keine Proteste. Der UN-Sicherheitsrat hat – und wird – keine Krisensitzung abhalten, um den Libanon zu verurteilen. Selbstverständlich werden die Mainstream-Medien im Westen nicht über arabische Apartheid und Unterdrückungsmassnahmen gegen Palästinenser berichten. Und was die Anführer der Palästinenser im Westjordanland und dem Gazastreifen anbetrifft – diese haben keine Zeit, sich um die Probleme der Lagerbewohner zu kümmern. Die Palästinensische Autonomiebehörde und die Hamas sind zu beschäftigt damit, sich gegenseitig zu bekämpfen und das Letzte, worum sie sich Gedanken machen, sind die Interessen und das Wohlergehen ihres Volks.

Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent. Auf Englisch zuerst erschienen bei Gatestone Institute.