Israels Botschafter in der Schweiz: «Historische Fakten sprechen eine deutliche Sprache»

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S. E. Jacob Keidar, Botschafter des Staates Israels in der Schweiz und für das Fürstentum Liechtenstein. Foto zVg
S. E. Jacob Keidar, Botschafter des Staates Israels in der Schweiz und für das Fürstentum Liechtenstein. Foto zVg
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Er ist ein Menschenfreund und Befürworter eines umfassenden Friedens unter Garantien für alle Beteiligten. Und entdeckt immer mehr Gemeinsamkeiten zwischen Israel und der Schweiz. Ein Gespräch mit S. E. Jacob Keidar, Botschafter des Staates Israels in der Schweiz und für das Fürstentum Liechtenstein.

 

von Thomas Feuz, EDU-STANDPUNKT

Herr Botschafter Keidar, wie gefällt es Ihnen in der Schweiz?
Ich bin seit etwas mehr als eineinhalb Jahren Botschafter Israels in der Schweiz. Es war mein Wunsch, hierher versetzt zu werden. Die Schweiz ist ein wunderschönes Land mit zahl­ reichen Facetten. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind vielfältig, etwa in den Bereichen Wirtschaft, Ausbildung und Techno­logie.

Ich schätze das vielfältige kulturelle Angebot. Es gibt hier eine grosse und lebendige jüdische Gemeinde mit einem grossartigen Veranstal­ tungsangebot.

Frühere Stationen Ihres Wirkens waren Afrika, China und Japan. Was macht für Sie den Reiz der Schweiz aus?
Ich reise sehr viel und bin praktisch jeden Tag unterwegs. Es ist schön, diese Vielfalt auf so en­gem Raum zu entdecken und dabei immer wie­der das Verbindende festzustellen. Israel ist sehr vielfältig, was Religionen, Sprachen und Kultu­ren anbelangt und hat damit viele Ähnlichkei­ten mit der Schweiz. Ich habe bisher praktisch nur freundliche Menschen kennengelernt. Wir haben viele Freunde hier.

Übrigens weist eine Studie auf den «geheimen» Erfolgsfaktor der Wirtschaftsnationen Singapur, Schweiz und Israel hin: Sie kennen unter ande­rem eine militärische Dienstpflicht. Das wirkt sich offenbar positiv auf den Zusammenhalt der Bevölkerung und den wirtschaftlichen Output aus.

Sie sprachen von Freunden Israels. Was kennzeichnet solche Menschen?
Die Basis einer solchen Haltung ist in erster Li­nie ein Interesse am Land und seinem Volk. Und auch ein Verständnis für die Herausforderun­gen Israels und das Grundwesen der israeli­schen Nation. Für mich ist wichtig: Es gibt auch unter den Kritikern viele Freunde Israels. Wich­tig ist, dass wir das eigentliche Anliegen in kriti­schen Voten heraushören. Es gibt viele Ansich­ten darüber, wie der Staat sich entwickeln soll und Gesetze formuliert werden sollen.

Zu den Freunden Israels zähle ich die Men­schen, die für das Land beten. Und all jene, die zum Beispiel via Leserbriefe Stellung zu den aktuellen Herausforderungen nehmen.

Warum sind die Israeli stolz auf ihr Land?
Dieser Eindruck trifft zu. Unser Land hat sich in nur 70 Jahren zu dem entwickelt, was es heute ist. Ich kenne kein anderes Land, das in den vielfältigsten Bereichen ähnlich erfolgreich ist wie Israel. Und dies, ich möchte es deutlich be­tonen, trotz all der vielen Probleme, mit der sich der einzelne Bürger täglich konfrontiert sieht.

Frühere Bewunderer wenden sich zunehmend von Israel ab. Warum?
Die Kibbuzbewegung hat Israel geprägt, die so­zialistische Bewegung ist heute noch stark. Die entscheidenden Köpfe, wenn nicht gar unser ganzes Establishment, war politisch eher links orientiert.

“Ich stelle fest, dass viele Menschen die Palästina­frage schwarz­weiss betrachten. Viele kennen die Fakten zu wenig.”

Der Grund für das von Ihnen geschilderte Phä­nomen ist vor allem in der Politik zu suchen. Ich stelle fest, dass viele Menschen die Palästina­frage schwarz­weiss betrachten. Viele kennen die Fakten zu wenig. Wer sich jedoch mit den Fakten beschäftigt und Israel besucht, wird bald feststellen, dass die Dinge nicht schwarz oder weiss sind, und sich eine eigene Meinung bilden können.

Israel ist die einzige Demokratie im Nahen Osten. Nirgends sonst in der Region muss sich ein Regierungschef Korruptionsvorwürfen stellen …
Bei der Staatsgründung – also kurz nach den Schrecken des Holocaust – gab es verschiedene Möglichkeiten. Unsere Gründerväter beschlos­sen, eine Demokratie zu gründen. Das ist nicht selbstverständlich und bis heute eine einzigarti­ge Form der Regierungsführung im Mittleren Osten. Wir arbeiten hart daran, dieses System beizubehalten. In einer Demokratie steht niemand über dem Gesetz – auch nicht ein israeli­scher Ministerpräsident oder Angehörige des Militärs. Die moralische Komponente ist äus­serst wichtig. Human zu sein ist eine Herausforderung, im Grossen wie im Kleinen. Dass es im­mer wieder gelingt – auch darauf sind wir stolz.

Vor welchen Herausforderungen steht Israel aktuell?
Die grösste Herausforderung ist die Sicherheit – nach wie vor. Während der vergangenen 70 Jahre hat sich die Sicherheitslage dauernd geän­dert. Mal wurde Israel von einzelnen Staaten an­ gegriffen, dann hagelte es Raketen aus dem Libanon und aktuell stehen wir verschiedenen bewaffneten Fronten gegenüber – Terroristen im Libanon (Hisbollah), in Syrien (Dschihad), in Gaza und im Sinai (Hamas, Muslimbrüder). Vor elf Jahren war die israelische Nordgrenze stark bedroht. Im Unterschied zum 2. Libanonkrieg sind heute im Südlibanon zehnmal so viele Raketen wie damals stationiert.

Eine grosse Gefahr geht vom Iran aus. Iran ist im Irak, in Syrien, im Jemen präsent. Iran will zu einer Grossmacht werden und unterstützt terroristische Organisationen. Aktuell laufen Programme zur Entwicklung von Langstrecken­ raketen (was längst nicht nur für Israel eine Be­ drohung darstellt!) und wir befürchten, dass der Iran bis in etwa zehn Jahren nukleare Waffen einsetzen könnte.

Eine andere Art von Herausforderung ist die so­ziale Struktur des Landes. Israel besteht aus den verschiedensten Bevölkerungsgruppen – Juden, Arabern (rund 20 Prozent der Bevölkerung), Drusen und vielen kleinen Minderheiten; die israelisch­-jüdische Bevölkerung aus säkularen, religiösen und ultrareligiösen Menschen aus den verschiedensten Erdteilen. Das Land zusammenzuhalten und gemeinsam erfolgreich zu bleiben ist eine enorme Herausforderung.

Viele denken, wir hätten ein Wasserproblem. Das trifft so nicht zu. Wir entwickelten neue Systeme zur Wassergewinnung – Systeme zum «Einfangen» von Tautropfen etwa. 40 % unseres Wassers stammt aus Entsalzung und wir gewin­nen Wasser aus Abwasser.

Der Mainstream bezeichnet Israel als «Besatzungsmacht». Ist dies aus historischer und realpolitischer Sicht gerechtfertigt?
Zuerst möchte ich eines klarstellen: Israel hat kein Interesse daran, die Palästinenser zu regieren. Sie sollen das alleine tun. Wir laden sie da­ zu ein, mit uns in Beziehung zu treten, und wollen eine Lösung finden. Wie diese auch immer aussehen wird, eines sollte klar sein: Die Sicherheit Israels muss gewährleistet bleiben. Wir wollen nicht, dass die Westbank zu einem zwei­ten Gazastreifen wird.

Die jüdische Geschichte umfasst 3000 Jahre, in denen die Regi­on immer von Juden bewohnt war.

Wenn Sie den Begriff Besatzung ansprechen, möchte ich die Gelegenheit nutzen und auf den historisch­-politischen Kontext hinweisen: Es hat nie einen palästinensischen Staat gegeben. Jordanien hat dieses Gebiet kontrolliert, Grossbri­tannien und Pakistan waren involviert, der Gazastreifen stand unter ägyptischer Herrschaft. Dann kam es 1967 zum 6­-Tage­-Krieg. Wir wur­den von verschiedenen arabischen Staaten an­ gegriffen. Ein Land hat gemäss internationalen Vereinbarungen das Recht, sich zu verteidigen. Das haben wir getan und gewannen den Krieg. Schon lange vor 1948 lebten Juden in Jerusalem und Teilen der Westbank. Und die jüdische Geschichte umfasst 3000 Jahre, in denen die Regi­on immer von Juden bewohnt war. Im 19. Jahr­ hundert bildeten die Juden teils sogar die Mehrheit der Bevölkerung Jerusalems.

Inwieweit könnten westliche Staaten von den Erfahrungen Israels profitieren?
Das ist sicher in verschiedenen Bereichen mög­lich, nicht nur im Bereich Sicherheit. Ich denke etwa an die Innovationskraft Israels. Unterneh­men scheuen das Risiko nicht und auch nicht den Misserfolg. Die Quote an Startups ist sehr hoch. Hier könnte Israel sehr viel Know­how tei­len. Es gibt viele Staaten, die mit Israel koope­rieren. Die Zusammenarbeit im Sicherheitsbe­reich kommt aus naheliegenden Gründen meist wenig ins öffentliche Bewusstsein.

«Ohne Palästinenser kein Friede», ist US-Präsident Donald Trump überzeugt. Wie realistisch ist die Hoffnung auf Frieden?
Wir erlebten in der jüngeren Vergangenheit di­verse Friedenspläne von verschiedenen US­ Präsidenten. Sie waren sehr hilfreich, auch im Kon­takt mit der palästinensischen Seite. Doch bis jetzt führte keine «Road Map» zu nachhaltigem Frieden. Darum setzen wir grosse Hoffnungen in Präsident Trump und erwarten, dass er seine Absichten bald öffentlich macht. Israel lebt mit Ägypten und Jordanien in Frieden und unterhält gute Beziehungen zu anderen islamischen Staaten, auch ohne offizielle diplomatische Bezie­hungen.

Viele meinen, der israelisch­palästinensische Konflikt sei der grösste in der Region. Er ist existent, aber es handelt sich dabei «nur» um einen kleinen Konflikt in einer Region voller Ausein­andersetzungen: Araber bekämpfen sich gegen­seitig, Schiiten stehen gegen Sunniten auf – im Jemen, Irak oder in Libyen. Das ist tragisch. Da­rum ist es wichtig, den Frieden immer wieder zu thematisieren.

Jerusalem, «die Stadt Davids», ist seit 50 Jahren wiedervereinigt. Was bedeutet das für Sie als israelischer Staatsbürger?
Für mich bedeutet es Heimat, obwohl ich in Hai­fa geboren wurde. 1980 zog ich nach Jerusalem um. Mein Lebensmittelpunkt ist dort, meine Tochter studiert in Jerusalem. Ich war mit weni­gen Ausnahmen in fast allen Ländern der Welt. Aber ich habe nirgends eine Stadt mit einer sol­chen Schönheit, Geschichte und Bedeutung ge­sehen. In Jerusalem leben verschiedenartigste Menschen zusammen, die Stadt kennt Religions­freiheit, ist offen und frei. Das ist die einzig mögliche Option.

Die EDU verlangt mit einer Petition die Verlegung der Schweizer Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Ihre Haltung dazu?
Für uns ist Jerusalem die Hauptstadt von Israel. Wir haben das so beschlossen und es liegt nicht an anderen, daran etwas zu ändern. Bei dieser Petition handelt es sich um eine lobenswerte Aktion. Sie orientiert sich ja am Beschluss des amerikanischen Präsidenten, einen Entscheid des US­Senats von 1995 umzusetzen. Viele Staa­ten sollten diesem Beispiel folgen, auch die Schweiz. Das würde Druck wegnehmen.

Mit einer Petition verlangt die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) die Verlegung der Schweizer Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Das Bittschreiben kann bis Ende April von Personen ab 12 Jahren unterzeichnet werden.

Petitionsbogen: 033 222 36 37, info@edu-schweiz.ch,
Online-Petition: www.schweizer-botschaft-nach-jerusalem.ch

Ich möchte noch einen Aspekt betonen. Die Pa­lästinenser versuchen, die Geschichte umzuschreiben. «Juden und Jerusalem haben nichts miteinander zu tun», heisst es immer wieder. Und die Unesco finanziert eine solche Politik noch. Doch das ändert nichts an den Tatsachen. Die Bevölkerung weiss, dass Israel ein jüdischer Staat und Jerusalem dessen Hauptstadt ist. Wir beten jeden Tag dafür, dass die Juden in Jerusa­lem bleiben.

Donald Trump will «seine» Botschaft am 14. Mai eröffnen, Ihrem Unabhängigkeitstag. Ein Signal für Frieden – oder neues Konfliktpotenzial?

Alles, was Jerusalem zum Thema hat, ist heikel. So wie auch alle Fragen, die den Tempelberg be­treffen. Ich persönlich gehe davon aus, dass es Auseinandersetzungen geben wird. Aber ich be­te dafür, dass es nicht zu einer 3. Intifada kommt. Ich möchte niemanden leiden sehen.

Welche Bedeutung hat die Partnerschaft Israel–USA?
Der amerikanische Support war immer sehr wichtig für Israel – politisch, diplomatisch und speziell in den Bereichen Wirtschaft und Sicher­heit. Hier besteht eine sehr wertvolle Kooperation. Präsident Trump ist ein Segen für Israel.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Haben Sie einen Leitvers oder ein Lebensmotto?
In den täglichen Gebeten bekennen wir, dass «ihre Wege sind liebliche Wege und alle ihre Steige sind Frieden» (Sprüche 3,17). Es ist mir wichtig, den Weg des Friedens zu erkennen und ihn zu beschreiten.

Exzellenz, vielen Dank für dieses Gespräch!

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des «EDU-Standpunkt», das Parteiorgan der Eidgenössisch-Demokratischen Union.