Gibt es muslimische Fachkräfte in Israel?

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Ein Meeting im Nazareth Business Incubator Center. Foto Nazareth Business Incubator Center
Ein Meeting im Nazareth Business Incubator Center. Foto Nazareth Business Incubator Center
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Nie zuvor war es in Israel so einfach wie heute, im Bedarfsfall einen qualifizierten, kompetenten und bereitwilligen Arzt, Rechtsanwalt oder Steuerberater zu finden. An ihnen besteht kein Mangel. Zum 30. März 2018 waren 2.341 Ärzte, 16.291 Rechtsanwälte und 19.101 Steuer- und Wirtschaftsberater in ihren jeweiligen Berufsverbänden registriert und praktizierten. Vielleicht benötigen Sie aber auch einen Ingenieur, denn auch in dieser Berufsgruppe kommen auf 10.000 Einwohner 135 Ingenieure. All diese Fachkräfte sind durch mindestens einen Abschluss an einer der neun Universitäten Israels qualifiziert. Sie alle haben die Prüfungen für die Zulassung und den Einstieg ins Berufsleben nach der praktischen Probezeit bestanden. Sie alle sprechen fliessend Hebräisch und haben ausserdem eine englische Sprachprüfung abgelegt, um vom ersten ins zweite Studienjahr zu gelangen.

 

von Dr. Glen Segell, Universität Haifa

Es gibt einige unverkennbare Charakteristika bei diesen Medizinern, Rechtsanwälten, Steuer- und Wirtschaftsberatern und Ingenieuren. Sie alle sprechen auch fliessend Arabisch. Sie alle sind Muslime. Sie alle sind israelische Staatsbürger, Angehörige der rund 20,7 % zählenden muslimischen Bevölkerungsgruppe in Israel. Für sie alle ging ihr Wunsch, in dem von ihnen gewählten Beruf arbeiten zu können, in Erfüllung. Niemand hat sie aufgehalten oder davon abgehalten, weil sie einer Religion angehören , die sich von der der Mehrheit des Landes, in dem sie leben, unterscheidet. Sie wurden nicht diskriminiert, weil andere Muslime Terroristen sind. Niemand hat ihnen gesagt, dass sie nur deshalb zum Studium zugelassen wurden und ihre Abschlüsse machen konnten, weil sie Minderheitsrechte geniessen. Der Zugang zu einem Hochschulstudium basiert in Israel ausschliesslich auf Leistung. Gleichheit und Gleichberechtigung in der Bildung und für die Bildung sind, wie im Gesetz des Staates Israel festgeschrieben und in der Praxis angewendet, ein und dasselbe.

Beispiel: Das Galilee Medical Center in der nördlichen Küstenstadt Nahariya

Man kann noch weiter ins Detail gehen, indem man sich beispielsweise Ärzte im öffentlichen Sektor ansieht. Ich sprach mit dem Generaldirektor des Galilee Medical Center, Dr. Masad Barhoum, der zwar nicht jüdisch, aber ein israelischer Staatsbürger ist. Er erzählte mir, dass sein Krankenhaus das grösste staatliche Krankenhaus Israels in der Region Galiläa, im Norden des Landes, sei. Es hat 69 Abteilungen und Fachabteilungen und verfügt über 700 registrierte Betten und einen Mitarbeiterstab von 2.200 Beschäftigten sowie 300 Freiwilligen, was es zum grössten Arbeitgeber der Region macht. 2017 verzeichnete die Klinik 115.000 Besuche in der Notaufnahme, 50.000 stationäre Aufnahmen, 14.000 chirurgische Eingriffe, 5.500 Geburten, 28.000 Dialysen und 142.000 ambulant betreute Patienten.

Als Therapiezentrum für die nördliche Grenzregion Israels zum Libanon steht das Krankenhaus an vorderster Front und versorgt eine demographisch gemischte Bevölkerung von 600.000 Menschen, die aus dem galiläischen Potpourri von Juden, Moslems, Christen, Bahai und Drusen besteht. Abgesehen von der zivilen Betreuung ist die Klinik auch ein Behandlungszentrum für die Israelischen Streitkräfte (IDF), die bisher auch mehr als 1.600 muslimische Patienten aus den Bürgerkriegsgebieten in Syrien zur Behandlung hierher brachten. Dr. Barhoum war vor Kurzem als besonderer Gast der israelischen Delegation bei der EU und der NATO, um über diese letztgenannte Versorgung zu berichten.

Palästinensische Ärzte und Patienten in Israel

Man kann sogar noch weiter ins Detail gehen, denn es gibt auch muslimische Ärzte, die keine israelischen Staatsbürger sind und dennoch in israelischen Krankenhäusern arbeiten. Diese Information ist keine Überraschung, denn es gibt einen Überfluss an Ärzten in den Städten des Westjordanlands wie Bethlehem und Hebron. Die lokale muslimische Bevölkerung im Westjordanland hat keinen Bedarf für zusätzliche medizinische Versorgung und Ärzten droht daher dort die Arbeitslosigkeit. Diese Ärzte sind weltweit anerkannte und begehrte Fachkräfte. So zum Beispiel Dr. Firas Eleyan, ein ausgebildeter Onkologe, der im israelischen Hadassah-Krankenhaus in Jerusalem arbeitet und seit acht Jahren Tag für Tag zwischen dem Westjordanland und Jerusalem hin und her pendelt. Ein weiteres Beispiel ist Dr. Mohamed Said, 32 Jahre alt, aus Bethlehem, dessen Spezialgebiet die Behandlung bösartiger Tumore ist. Zur Klarstellung: Israelische Krankenhäuser machen keine Unterschiede zwischen ihren Patienten. In Israel erhalten auch palästinensische Führer und deren Familien kostenlose medizinische Versorgung, so etwa Schwiegermutter und Tochter von Hamas-Führer Ismail Haniyeh.

Die Kundschaft der muslimischen Fachkräfte

Auch der private Sektor floriert – wenn nicht sogar noch stärker – für muslimische Fachkräfte wie etwa Anwälte und Steuerberater. Lassen Sie uns mit einer Hypothese starten, die wir dann später überprüfen. Die Hypothese ist, dass es überall auf der Welt normal wäre, zu erwarten, dass ein Rechtsanwalt oder Steuerberater seine oder ihre Praxis mit einem Klientel aus seiner oder ihrer lokalen Gemeinschaft ausbaut. Ausserdem könnte man vermuten, dass Vertrauen und ein Gefühl der Sicherheit in einer gemeinsamen Identität gründen und diese daher für den Mann auf der Strasse wichtige Elemente bei der Auswahl eines Anwalts oder Steuerberaters darstellen. Weiterhin wäre zu vermuten, dass es für muslimische Rechtsanwälte und Steuerberater nicht unüblich wäre, in muslimischen Städten zu arbeiten, um auf diese Weise möglichst viele Aufträge zu generieren. Die Mehrheit der Israelis lebt in städtischen Gebieten. Was geschieht also in gemischten Städten wie Haifa, wo 11 % der Bevölkerung muslimisch sind oder in Akkon, Ramla oder Lod, deren Bevölkerung zu 30 % aus Muslimen besteht oder in der Hauptstadt Jerusalem, wo der Anteil der Moslems sogar 40 % beträgt? Diese Frage stellte ich dem muslimischen Rechtsanwalt und Notar Nidal Malawi in der bevölkerungsmässig durchmischten Stadt Akkon. Seine Antwort sagte jedoch das Gegenteil unserer Hypothese aus. Er hat sogar Übersetzer bei sich angestellt, damit er die ganze Bandbreite der Menschen vertreten kann, die seine Dienste aufgrund der von ihm gelieferten Qualität und nicht aufgrund seiner Religion in Anspruch nehmen wollen.

Viele weitere Beispiele könnten genannt werden, die im Endeffekt alle auf eines hinauslaufen: Israelische Hochschulbildung. Es wäre eine echte Herausforderung – weil es das schlicht und einfach nicht gibt – irgendeinen Bürger des Staates Israel zu finden, dem aufgrund von Religionszugehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht oder irgendeines anderen Grundes der Andersartigkeit oder Minorität der Zugang zu einem Studium an einer israelischen Universität verweigert wurde. Israelische Universitäten nehmen Studenten auf Basis ihrer Leistung an. Sie bilden die Studenten aus, damit deren Träume Wirklichkeit werden. Es gibt muslimische Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater und Ingenieure, nicht weil sie Muslime sind, sondern aufgrund der staatlichen israelischen Grund- und Sekundarschulbildung und weil ihre Eltern ihnen Bildung vermitteln, damit sie aufgrund ihrer schulischen Leistung Zugang zu den Universitäten erlangen. Gleichheit und Gleichberechtigung in der Bildung sind im Staat Israel gesetzlich festgeschriebene Grundsätze, die auch in der Praxis angewendet werden.

Dr. Glen Segell ist am Ezri Center for Iran & Persian Gulf Studies an der Universität von Haifa als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich der Genehmigung des Scientists Program of the State of Israel (MIA) angestellt. Zuvor war er, nach seiner Ankunft in Israel im Jahr 2010, am Institute for National Security Studies in Tel Aviv und an der Bar-Ilan-Universität tätig. Außerdem engagiert er sich als Berater für Projekte der NATO-STO, als Leiter einer Sprachschule für britisches Englisch und beteiligt sich u. a. an Projekten der Urbanisierung und Stadterneuerung in seiner Heimatstadt Akkon. Sein Fachwissen auf dem Gebiet von Geheimdienststudien, zivil-militärischen Beziehungen, Fragen der Verteidigung, Militärgeschichte und -soziologie, strategischer Kommunikation und Studien kam nicht nur in zahlreichen Publikationen, sondern von 1990–2010 auch in operativen Aufgaben im Irak, Kuwait, Libyen und dem Sudan zum Ausdruck. Eine Liste seiner Veröffentlichungen ist verfügbar unter: http:/www.segell.com/Publications.pdf