Eine neue Holocaust-Lektion für Polen

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Polnische Polizei im Generalgouvernement (polnisch: Granatowa policja, marineblaue Polizei), waren von Deutschland aufgestellte Polizeieinheiten, die nach dem 17. Dezember 1939 aus Mitgliedern der Vorkriegspolizei Polens auf Befehl des Generalgouverneurs Hans Frank gebildet wurden. Sie wirkten auch bei Deportationen von jüdischen Polen in die deutschen Konzentrationslager mit. Foto Bundesarchiv, Bild 101I-030-0781-07 / Iffland / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5408448
Polnische Polizei im Generalgouvernement (polnisch: Granatowa policja, marineblaue Polizei), waren von Deutschland aufgestellte Polizeieinheiten, die nach dem 17. Dezember 1939 aus Mitgliedern der Vorkriegspolizei Polens auf Befehl des Generalgouverneurs Hans Frank gebildet wurden. Sie wirkten auch bei Deportationen von jüdischen Polen in die deutschen Konzentrationslager mit. Foto Bundesarchiv, Bild 101I-030-0781-07 / Iffland / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5408448
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Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen, sagte der Philosoph George Santayana in einer zeitlosen Mahnung, die polnische Politiker nun wohl unbedingt auf die Probe stellen wollen.

 

Wenn das am 26. Januar im polnischen Unterhaus verabschiedete Gesetz in Kraft tritt, werden Schuldzuweisungen an „die polnische Nation“ für den Holocaust illegal und können eine Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren nach sich ziehen.

Das Gesetz, das noch der Zustimmung des Senats und von Präsident Andrzej Duda bedarf, hat israelische Führer auf beiden Seiten der politischen Lager aufgebracht und eine 30 Jahre währende Wiederannäherung der zwei Länder getrübt. (Der Senat in Polen hat das umstrittene Holocaust-Gesetz, dass die Formulierung “polnische Konzentrationslager” unter Strafe stellt, in einer Nachtsitzung vom 31. Januar 2018 verabschiedet. Anm. d. Red.)

In DEM GESETZ geht es nicht um Israel oder die Juden. Es geht eher um eine Verdrossenheit angesichts semantischer Implikationen, dass die polnische Nation schuld an von Nazideutschland auf polnischem Boden verübten Verbrechen sei.

„Auschwitz-Birkenau ist kein polnischer Name und ‚Arbeit macht frei‘ kein polnischer Slogan“, tweetete Premierminister Mateusz Morawiecki.

Da stimmen die Israelis auch zu. „Der Begriff ‚polnisches Todeslager‘ ist eine historische Falschdarstellung“, sagt man bei der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Was die Israelis befürchten ist, dass Fremdenführer aufgrund dessen, was sie israelischen Besuchergruppen der Todeslager erzählen, verhaftet werden und dass das Gesetz die Polen davon abhalten wird, sich mit Verbrechen einzelner Polen im Zusammenhang mit dem Holocaust auseinanderzusetzen.

„Die Geschichte kann nicht umgeschrieben werden“, sagte Premierminister Benjamin Netanjahu und bezeichnete das Gesetz als „ohne Grundlage“. Er beauftragte die Botschafterin in Warschau, Anna Azari, Premierminister Morawiecki davon in Kenntnis zu setzen, dass Israel das Gesetz ablehnt und veranlasste das Aussenministerium in Jerusalem, den amtierenden polnischen Botschafter, Piotr Kozlowski, einzubestellen und zu tadeln.

„Ich brauche keinen Unterricht über den Holocaust von Ihnen.”

Der oppositionelle Yair Lapid, Chef der liberalen Partei Yesh Atid, schloss sich Netanjahu an und verurteilte das Gesetz, „das versucht, die Beteiligung vieler polnischer Bürger am Holocaust zu leugnen“.

Die polnische Botschaft in Tel Aviv gab zurück, Lapids Behauptungen seien „unerträglich“ und belegten, „wie nötig Unterricht über den Holocaust ist, sogar hier in Israel“.

Lapid tweetete zurück: „Meine Grossmutter wurde in Polen von Deutschen und Polen ermordet.“ und: „Ich brauche keinen Unterricht über den Holocaust von Ihnen. Wir leben jeden einzelnen Tag mit den Folgen in unserem kollektiven Gedächtnis. Ihre Botschaft sollte sich sofort entschuldigen.“

Die Antwort des militant säkularen Lapid wurde unterstützt von Rabbi Israel Meir Lau, selbst Überlebender und ehemaliger Oberrabbiner Israels. „Die Endlösung wurde von den Nazis erdacht und ausgeführt“, sagte er, „aber die polnische Nation muss ihr Gewissen prüfen und sich fragen, warum die Todeslager sich auf ihrem Gebiet befanden.“

Kurz gesagt – das polnische Gesetz traf in Israel auf eine scharfe und umfassende Reaktion über alle Parteigrenzen hinweg, die die Verfasser offensichtlich nicht vorhergesehen hatten und die ihre Regierung besser vermieden hätte.

Die Wunden DES HOLOCAUST bleiben in der gesamten israelischen Gesellschaft offen, die keinerlei Herumflicken an dessen Gedenken dulden wird.

Die Frage ist nicht, wer was im Verlauf des Vernichtungsprozesses gemacht hat, sondern was die Polen getan oder nicht getan haben, während ihre jüdischen Landsleute vernichtet wurden.

Ja, die Israelis ehren die Tausenden Polen, die ihr eigenes Leben riskierten, um Juden zu retten. Die Israelis erinnern sich aber auch an Vorkommnisse wie das Massaker von Jedwabne, einer Stadt im Nordosten von Polen, wo ortsansässige Polen im Juli 1941 Hunderte Juden in einer Scheune einsperrten und bei lebendigem Leib verbrannten oder an das Pogrom in der südpolnischen Stadt Kielce, wo im Juli 1946, also bereits nach Ende des Krieges, mehr als 40 Holocaust-Überlebende ermordet wurden.

Manche polnische Nationalisten finden es schwierig, sich solchen Geschichten aus der Vergangenheit Polens zu stellen. Das wurde 2015 offensichtlich, als der Princeton-Historiker und polnische Staatsbürger Jan Tomasz Gross von polnischen Staatsanwälten vernommen wurde, nachdem er behauptet hatte, Polen hätten während des zweiten Weltkrieges mehr Juden als Deutsche getötet. Das Gesetz scheint wie massgeschneidert, diese Art Verleugnung zu befördern, die auch Gross‘ Forschung zuteil wurde.

Dennoch ist das Gesetz Teil eines weitergehenden Gefühls der nationalen Unsicherheit, das Polen in den vergangenen Jahren erfasst hat und das tatsächlich auch den Aufstieg der Nationalisten an die Macht im Jahr 2015 befeuert hat.

Wenn sie nach Osten blicken, sehen die Polen, wie Russland die Ukraine tyrannisiert, und blicken sie nach Westen, sehen sie einen Zustrom von Migranten, den ihnen die Europäische Union in ihr Land zwingen will. Aus dem Gefühl heraus, zwischen dem russischen Abenteuertum und dem europäischen Multikulturalismus in der Falle zu sitzen, suchen Millionen Polen ihr Heil in einem übertriebenen und aggressiven Patriotismus.

Israel ist sich dieser Tatsache vollkommen bewusst, und nachdem es seinen Standpunkt zum Thema Holocaust deutlich gemacht hat, sollte es nicht zulassen, dass diese Geschichte die langfristigen Beziehungen zu Polen ruiniert.

ISRAEL UND POLEN sind seit dem Fall des Kommunismus enge Freunde geworden.

Was mit der Wiederaufnahme von Handelsbeziehungen in den späten 1980ern begann, wurde rasch durch die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen im Jahr 1990, gegenseitige Besuche von Präsidenten und Premierministern, einen intensiven kulturellen Austausch und enge Sicherheitsbeziehungen erweitert.

Polen und Israel halten gemeinsame militärische Übungen ab, ihre Nachrichten- und Geheimdienste arbeiten eng zusammen und Polen hat in den vergangenen Jahren in Israel produzierte Waffen im Wert von 80 Millionen USD erworben. Nun ist Polen Berichten zufolge an israelischen Raketen und Drohnen interessiert.

Darüber hinaus hat sich das postkommunistische Polen fest in der Umlaufbahn Washingtons positioniert, ist der NATO beigetreten und beherbergt deren Truppen. Seine Haltung gegenüber Israel ist Teil dieses Kontexts. Der strategische Wert dieser Beziehung kommt beiden Seiten zugute.

Der Widerstand Polens gegen das Diktat Brüssels führt zu einer Identifikation mit dem unter Israelis verbreiteten Gefühl, die Behandlung des arabisch-israelischen Konflikts durch die EU sei arrogant, unfair und kontraproduktiv. Diese Haltung Polens ist für Israel von Wert.

Dementsprechend hat Polen in den vergangenen Jahren sein antiisraelisches Abstimmungsverhalten in der UN aufgegeben und sich beispielsweise bei der jüngsten Abstimmung der Generalversammlung gegen die Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt Israels durch die Vereinigten Staaten enthalten.

Daraus folgt, dass Jerusalem und Warschau gut daran täten, die aktuelle Krise zu deeskalieren. Wie die beiden Premierminister am 28. Januar in einem Telefongespräch vereinbart haben, wird ein gemeinsamer Ausschuss das Holocaust-Gesetz prüfen, ehe es weitergeleitet wird.

Nur was die Verfasser des Gesetzes aus dieser Angelegenheit lernen, bleibt abzuwarten. Vielleicht (oder auch nicht) erkennen sie dann, dass der richtige Weg, auf die Geschichtsschreibung einzuwirken, nicht über eine Gesetzgebung, sondern über die Wissenschaft erfolgen sollte.

Was sie aber sicherlich schon gelernt haben ist, dass Politiker, die am Holocaust-Gedächtnis herumbasteln wollen, lieber erst einmal beim jüdischen Staat anklopfen sollten.

Über Amotz Asa-El

Amotz Asa-El ist leitender Berichterstatter und ehemaliger Chefredakteur der Jerusalem Post, Berichterstatter Mittlerer Osten für Dow Jones Marketwatch, politischer Kommentator bei Israel's TV-Sender Channel 1 und leitender Redakteur des Nachrichtenmagazins Jerusalem Report.

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