Die Grenzen von Jerusalem – die unerzählte Geschichte

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Jerusalem. Foto Chris Yunker from St. Louis, United States - Damascus Gate, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39497171
Jerusalem. Foto Chris Yunker from St. Louis, United States - Damascus Gate, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39497171
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Als er die Hänge des Gebirges Benjamin in Richtung Süden herabgaloppierte, musste Titus, der römische Eroberer Jerusalems, erst den Berg Skopus erreichen, bevor er schließlich die Türme, Zitadellen und Mauern seines Ziels erblicken konnte.

 

Das war im Jahr 70 n. Chr. Wenn jemand heute dieselbe Route nähme, so wäre Jerusalem bereits viel früher zu erkennen, da es sich mittlerweile 6 km weiter in Richtung Westen, 8 km nach Süden und 5 km nach Norden von eben jenem Berg Skopus aus erstreckt. Heute erregt diese geographische Entwicklung politische Angst.

Im Jahr 1860 dehnte Jerusalem erstmals seine Stadtmauern aus, als Bewohner des überfüllten jüdischen Viertels in ein neues Stadtviertel gegenüber dem Zionsberg zogen.

Es war der Beginn einer rasanten Expansion, die nach dem Krieg von 1948, der Jerusalem zwischen Israel und Jordanien aufteilte, alleine dem Westen der Stadt 144.000 neue jüdische Einwohner bescherte – im Vergleich dazu belief sich die Gesamteinwohnerzahl Jerusalems im Jahr 1860 auf weniger als 18.000.

Bis 1967 gab es nur knapp 200.000 Juden in West-Jerusalem, nahezu 55.000 Muslime im jordanischen Teil und weitere 12.600 Christen, ebenfalls hauptsächlich im Ostteil der Stadt. Dann, nach dem Sechstagekrieg, vereinte Israel die Stadt erneut, annektierte den östlichen Teil und nahm eine neue Strukturierung der Stadtgrenzen vor.

Jerusalem erstreckte sich nun südlich bis zu den Hügelkuppen mit Sicht auf Bethlehem, in nördliche Richtung bis nach Neve Yaacov, wo es bis 1948 ein jüdisches Viertel gab, und nach Westen bis zu den Hängen nördlich des Stadtausgangs von Jerusalem in Richtung Tel Aviv.

Kein arabischer Einwohner wurde vertrieben – nicht ein einziger in dem gesamten Prozess. Im Gegenteil. Die Araber Jerusalems erhielten israelische Personalausweise, einen dauerhaften Aufenthaltsstatus und die Option, vollwertige israelische Staatsbürger zu werden.

Israel reihte darauf neue Stadtviertel rund um Jerusalem herum und die jüdische Bevölkerung verdoppelte sich auf mehr als 542.000. Doch auch die arabische Bevölkerung nahm zu und wuchs, laut dem Statistical Yearbook of Jerusalem, von einem Bevölkerungsanteil von 25,8 % im Jahr 1967 auf 37,4 % der insgesamt 865.700 Einwohner zählenden Stadtbevölkerung im Jahr 2015 an.

Bei dem demographischen Wachstum der Araber ging es jedoch nicht nur um Biologie, sondern auch um Wirtschaft. Arabische Einwohner Jerusalems haben einen besseren Zugang zu israelischen Jobs und gelangen in den Genuss israelischer Gesundheitsversorgung, sozialer Dienstleistungen und der Vorteile der staatlichen Sozialversicherung. Das ist auch der Grund für eine hohe Zahl an Migrationen und Eheschliessungen zwischen Bewohnern des Westjordanlands und Bürgern Ost-Jerusalems.

Diese Umstände wären möglicherweise glücklicher gewesen, hätte es nicht die Dynamik des arabisch-israelischen Konflikts gegeben.

Die ARABISCHE BEVÖLKERUNG JERUSALEMS wurde 1967 von der PLO angewiesen, die israelische Staatsbürgerschaft nicht anzunehmen und nicht an den Jerusalemer Bürgermeisterwahlen teilzunehmen. Nur wenige Hundert bewarben sich jährlich um die israelische Staatsbürgerschaft, da der Einbürgerungsprozess einen Treueeid gegenüber dem Staat Israel erfordert.

1987 verkündete ein Araber seine Kandidatur für den Posten des Bürgermeisters von Jerusalem, nur um seinen Plan allzu bald wieder aufzugeben, nachdem er Morddrohungen erhalten hatte. Ähnlich verhält es sich mit der Bürgermeisterwahl, an der sich kaum 1 % der Jerusalemer Araber beteiligen.

Das Resultat dieser politischen Entfremdung ist kommunale Vernachlässigung, denn für die Politiker besteht kaum ein Anreiz, dort Gelder zu investieren, wo sie keine Stimmen erwarten können. Als Folge davon bedeutet das aber auch, dass die arabischen Teile Jerusalems über schlechtere Infrastruktur und Dienstleistungen verfügen.

Es wird allerdings erwartet, dass die 2014 erfolgte Gewährung einer Regierungsinvestition in Höhe von 300 Millionen Schekel für Bildung und Infrastruktur in den arabischen Stadtvierteln sowie die vermehrten Ausgaben von Stadtbürgermeister Nir Barkat für Dinge wie Spielplätze, Krankenhäuser, Bibliotheken und Schwimmbäder die physischen Lücken zwischen den Stadtteilen im nächsten Jahrzehnt schließen werden.

Dennoch sind sich alle einig, dass solch einseitige Finanzspritzen nur so lange eine derartige Wirkung zeigen können, wie sich die Bevölkerung weigert, am politischen Prozess teilzunehmen, sowohl in Führungspositionen wie auch als Wähler.

Der frühere Premierminister aus dem Lager der Arbeitspartei, Ehud Barak, hatte gehofft, diese kommunale Dissonanz würde durch die Schaffung des palästinensischen Staates gelöst werden, die er Yassir Arafat im Sommer 2000 in Camp David angeboten hatte, als er vorschlug, Ost-Jerusalem solle die palästinensische Hauptstadt werden. In einer solchen Konfiguration würden die arabischen Stadtviertel Jerusalems von der Palästinensischen Autonomiebehörde verwaltet werden – wie Bethlehem oder Ramallah.

Arafat lehnte jedoch Baraks Angebot ab und startete stattdessen die Zweite Intifada, bei der mehr als 1.000 Israelis ermordet wurden.

An der folglich in den Jahren 2000 bis 2005 dauernden Gewalt beteiligten sich Hunderte Terroristen, meist aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland, aber auch über 170 Terroristen kamen aus Ost-Jerusalem. Als Folge  dieser hohen Zahl aus Ost-Jerusalem, errichtete Israel den Anti-Terror-Zaun, der entlang der Grenze zum Westjordanland und auch zwischen dem arabischen und dem jüdischen Teil Jerusalems verläuft.

Aus Perspektive der Sicherheit war diese Barriere effektiv, aber aus der kommunalen Sicht war sie problematisch.

Obwohl offiziell unter israelischer Verwaltung stehend, wurden die Stadtviertel jenseits des Zauns faktisch ihrem eigenen Schicksal überlassen und somit in vielerlei Hinsicht gesetzlos. Am offensichtlichsten tritt dies im Bauwesen zutage: überall schießen große Mietshäuser wie Pilze aus dem Boden – ohne Baugenehmigung, Flächennutzungs- oder sonstige Stadtplanung. Weniger offensichtlich und doch noch weitaus gefährlicher ist die Tatsache, dass die Stadtviertel jenseits des Zauns unter die Kontrolle von Straßengangs gerieten. Und letztlich verschlechterten sich auch die hygienischen Verhältnisse, da Abwässer nicht geklärt und der Müll nicht entsorgt wurde.

Nun war der Likud aufgerufen, eine Formel anzubieten, um die arabischen Teile Jerusalems neu zu definieren.

Ein Plan des Ministers für Jerusalemer Angelegenheiten, Zeev Elkin, sieht vor, vier arabische Gebiete vom Stadtgebiet Jerusalem abzutrennen: drei entlang der Ostgrenze der Stadt und eines im Südwesten der Stadt.

Diese Gemeinden, in denen rund 150.000 Palästinenser leben, würden ihre eigenen Bürgermeister und Räte wählen, die dann Grundsteuern einziehen und Planung, Bildung, Sozialwesen und öffentliche Ordnung in die Hand nehmen würden.

Ein anderer Plan von Knessetmitglied Anat Berko würde die im Norden Jerusalems lebenden Araber in die sozialen und kommunalen Struktur von Ramallah und die Araber in Süd-Jerusalem in jene von Bethlehem integrieren.

Bei beiden Plänen würden keine Araber wegziehen müssen, Israel behielte die Souveränität und seine Streitkräfte wären weiterhin für die Überwachung der Sicherheit zuständig, so dass verhindert würde, dass Ost-Jerusalem zur Ausgangsbasis für Raketenangriffe würde, wie jene, die nach der Evakuierung Gazas durch Israel im Jahr 2005 von dort erfolgten.

Elkins Plan veranlasste viele zu der Befürchtung, er ziele darauf ab, eines Tages dazu beizutragen, Ost-Jerusalem der Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde zu übertragen.

„Araber, die sich mit Palästina identifizieren, sollten ihren israelischen Ausweis und alle Vorteile, die Israel bietet, aufgeben und sich ins Westjordanland begeben.“

Um ein solches Szenario zu verhindern, verabschiedete die Netanyahu-Koalition im Januar einen Zusatz zum Jerusalemgesetz, demnach jedes zukünftige Friedensabkommen, das in irgendeiner Weise eine Veränderung der Kartierung der israelischen Hauptstadt beinhaltet, der Zustimmung einer besonderen Mehrheit von 66 % der Knessetmitglieder bedarf.

In einer Reaktion auf die Aussicht, dass sein Stadtviertel Zur Baher wieder unter palästinensische Vormundschaft gelangen könnte, sagte Dr. Ramdan Dabash, er sei der Auffassung, dass „Araber, die sich mit Palästina identifizieren, ihren israelischen Ausweis und alle Vorteile, die Israel bietet, aufgeben und sich ins Westjordanland begeben sollten, um dort unter Abu-Mazen zu leben.“

Der 51-jährige Dabash, welcher der Kommunalverwaltung seines Viertels vorsteht, sagt, die Araber Jerusalems sollten die Tatsache akzeptieren, dass Jerusalem die Hauptstadt Israels ist und ihre Kommunalpolitik vereinen. Dabash, der die von ihm provozierten Drohungen ignoriert, erklärt, er würde bei den diesjährigen Kommunalwahlen für einen Sitz im Jerusalemer Stadtrat kandidieren. Darüber hinaus ist er der Likud-Partei beigetreten und sagt, er bewundere den messianischen Gelehrten Rabbi A. I. Kook.

Dabash mag sich möglicherweise nur als eine Eintagsfliege erweisen, für seine Instinkte gilt dies jedoch nicht.

In den kommenden Jahren werden mehr Israelis Ze’ev Elkin folgen, wenn es darum geht, die Grenzen der Expansion Jerusalems anzuerkennen; und mehr Araber werden akzeptieren, wie kostbar Jerusalem für das jüdische Volk, den jüdischen Glauben und den jüdischen Staat ist.

Über Amotz Asa-El

Amotz Asa-El ist leitender Berichterstatter und ehemaliger Chefredakteur der Jerusalem Post, Berichterstatter Mittlerer Osten für Dow Jones Marketwatch, politischer Kommentator bei Israel's TV-Sender Channel 1 und leitender Redakteur des Nachrichtenmagazins Jerusalem Report.

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