Israelisches Diagnoseverfahren um Neugeborene auf Autismus zu testen

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Symbolbild Foto PD
Symbolbild Foto PD
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Vor dreissig Jahren diagnostizierte ein führender Autismus-Experte an der University of California den vierjährigen Sohn von Raphael (Raffi) Rembrand zu spät für entscheidende Frühinterventionstherapien.

 

von Abigail Klein Leichman

Drei Jahrzehnte später erfüllt der israelische Vater seinen Traum, eine einfache, nichtinvasive Möglichkeit anbieten zu können, um Neugeborene auf Zeichen für Autismus – eine Diagnose, die jedes Jahr rund 3 Millionen Kinder trifft – zu testen.

„Einer von 45 Neugeborenen in diesem Jahr wird später im Leben mit Autismus diagnostiziert. Das Problem ist, dass die Diagnose zu spät kommt und auf Verhaltensbeobachtungen basiert. SensPD wird all das ändern”“, verspricht Rembrand, Gründer und Technischer Leiter des Ein-Mann-Startup-Unternehmens in der israelisch-arabischen Kleinstadt Bosmat Tab’un im Norden Israels.

Das SensPD-Diagnoseverfahren, das jetzt für klinische Studien zur Verfügung steht, verwendet das gleiche Instrument, das derzeitauf Säuglingsstationen und in Vorsorgekliniken verwendet wird, um das Hörvermögen von Säuglingen durch Messung der otoakustischen Emissionen (OAE) zu testen. Die Neuheit von Rembrand ist die Verwendung der OAE-Messung als Indikator für die gesamte sensorische Wahrnehmung des Babys.

„Eines der wichtigsten Merkmale aller von Autismus betroffenen Personen ist Reizüberflutung“, erklärt Rembrand. Da ihnen die Fähigkeit fehlt, all die sensorischen Daten, die ihr Hirn erreichen, zu filtern und zu konzentrieren, haben sie das Gefühl, „in ihren Köpfen finde eine Riesenparty statt.“

Ein weiteres zentrales Merkmal für Autismus ist soziale Beeinträchtigung. Rembrands Forschung sowie Gespräche mit Experten in Amerika und Israel führten ihn zu der Schlussfolgerung, dass diese beiden Symptome miteinander zusammenhängen: Probleme mit der Sinneswahrnehmung führen zu einer Beeinträchtigung der Fähigkeit, soziale Signale wie Körpersprache und Augenkontakt zu nutzen und zu interpretieren.

“Das Geräusch, das man hört, wenn man eine Muschel ans Ohr hält”

„Ich bin Ingenieur und das heisst, immer wenn ich versuche, ein Problem zu lösen, versuche ich zuallererst zu verstehen, was das Problem ist. Was den Autismus anbetrifft, so herrscht nach wie vor kein Konsens hinsichtlich des defekten Mechanismus. 2002 wurde mir klar, dass niemand nach diesem Mechanismus suchte und das hat mich so sehr frustriert, dass ich die Suche zu einem Vollzeitjob machte“, berichtet Rembrand.

Sinneswahrnehmung, so lernte er, hängt von einem Mechanismus im Innenohr ab, der Töne produziert „wie das Geräusch, das man hört, wenn man eine Muschel ans Ohr hält“. Es kann gemessen werden, indem ein winziges Mikrofon im Gehörgang platziert wird.

Das Gehör eines Neugeborenen wird in Israel getestet. Foto Raffi Rembrand.
Das Gehör eines Neugeborenen wird in Israel getestet. Foto Raffi Rembrand.

„Wenn Neugeborene auf ihr Hörvermögen überprüft werden, misst man dieses Geräusch. Das Gerät dafür gibt es also bereits. Wir verwenden lediglich andere Reize, um zusätzlich zu den standardmässigen Hörtests auch die sensorische Wahrnehmung zu messen“, erklärt Rembrandt.

Die Ergebnisse würden dann in einer Cloud-basierten, zentralen Datenbank analysiert und innerhalb von Minuten wieder an die untersuchende Person zurückgesendet. Alle Abweichungen von der normativen Reaktion würden als Hinweis auf eine beeinträchtigte sensorische Verarbeitung gekennzeichnet.

„Wir haben Vorstudien mit Autisten und Nicht-Autisten gemacht, um die Wirksamkeit und Genauigkeit zu beweisen“, berichtet Rembrand. „Jetzt müssen wir an verschiedenen Standorten klinische Studien durchführen. Wir konnten drei Krankenhäuser in den USA und drei in Israel dafür gewinnen und aktuell starten wir eine Förderrunde.“

Bislang finanzierte er SensPD aus eigener Tasche sowie mithilfe einer Zuwendung der Israel Innovation Authority.

Im Juli gewann er den mit 100.000 Dollar dotierten ersten Preis bei der kalifornischen Merage Institute Entrepreneurs Competition, einem Unternehmer-Wettbewerb für Teilnehmer ab 45 Jahre. Das Institut stellt Rembrand potentiellen Investoren in Kalifornien vor und bringt ihn mit erfahrenen Mentoren zusammen.

Rembrand erklärt, dass das Geschäftsmodell von SensPD eher darauf beruht, Gewinne aus der Datenbankanalyse zu generieren als aus dem Screening-Test. Dieser kann bereits wenige Stunden nach der Geburt durchgeführt werden, und da sich der Innenohr-Mechanismus im dritten Schwangerschaftstrimester ausbildet, wird es vielleicht sogar eines Tages möglich sein, bereits vor der Geburt auf Störungsbilder des autistischen Spektrums zu testen.

Je früher das Beschwerdebild erkannt wird, desto besser sind die möglichen Ergebnisse.

„Die Durchführung von Massnahmen vor dem Alter von 2 Jahren zeigt eine Erfolgsrate von über 90 % bei der Bildung und Verankerung sozialer Kompetenzen für die soziale Integration“, sagt Rembrand, nach dessen Wissen es kein anderes Startup gibt, das etwas Ähnliches leistet wie SensPD.

„Es gibt Menschen, die versuchen, Verhaltensmuster [des autistischen Spektrums] zu identifizieren, welche sich bereits in frühem Kindesalter manifestieren können, es hat jedoch noch nie jemand eine umfassende Theorie über die sensorische Wahrnehmung entwickelt“, stellt er fest.

Der Mann aus Kiryat Tivon hofft, dass die Lösung von SensPD „allen Menschen mit Störungen der Sinneswahrnehmung helfen wird, die Welt besser zu verstehen.“

Auf Englisch zuerst erschienen bei Israel21c.