Anschlag auf Moschee bezeugt die Machtlosigkeit Ägyptens auf dem Sinai

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Screenshot Youtube
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Fürs Erste scheint Kairo es sich leisten zu können, Aufständische und lokale Stämme ihre Konflikte untereinander austragen zu lassen, aber letztlich werden die Angriffe der Terroristen in grösserer Nähe erfolgen.

 

von Avi Issacharoff

Der Terroranschlag am Freitag auf eine Moschee in der kleinen Stadt Bir al-Abd im nördlichen Sinai war nicht besonders raffiniert. Statt fortgeschrittener militärischer Fähigkeiten zeugte die grausame Szene nur von der moralischen Blindheit und Grausamkeit der Täter.

Zuerst zündeten sie zwei Bomben in der Moschee, in der sich die Menschen zum Freitagsgebet drängten. Als dann die Überlebenden in Richtung der Ausgänge strömten, wurden sie von den Terroristen draussen in ihren Geländefahrzeugen erwartet, welche sich die Herauskommenden vornahmen.

Auf diese Art wurden ungefähr 305 Menschen getötet und 128 verletzt. Über die sozialen Medien konnte man erfahren, dass Bir al-Abd vor dem Anschlag eine Stadt mit ca. 1500 Einwohnern gewesen ist, was bedeutet, dass ungefähr jeder dritte ihrer Einwohner dem Anschlag zum Opfer fiel.

Bis Samstagabend hatte noch niemand die Verantwortung für den Anschlag übernommen, aber es fällt ein unmittelbarer Verdacht auf den Sinai-Ableger des Islamischen Staates, die Gruppe, die zuvor als Ansar Bayt al-Maqdis bekannt war. Deren Anführer, der unter dem Pseudonym Abu Osama operiert (sein echter Name lautet Muhammad al-Isawi), übernahm nach der Ermordung seines Vorgängers Abu Du’a al-Ansari im August 2016 die Macht.

Den Vorwand für den Anschlag am Freitag lieferte wahrscheinlich die Verbindung der Moschee mit der mystischen Sufi-Strömung des Islam. Der Ort ist als der Geburtsort von Sheikh Eid al-Jariri, der als der Begründer des Sufismus auf dem Sinai gilt, bekannt. Der Islamische Staat hat die Sufis, wie zuvor bereits al-Qaida und andere radikale sunnitische Organisationen, öffentlich angeprangert.

Für den IS geht es aber nicht nur um religiöse Unterschiede: In den vergangenen beiden Jahren haben die Sufis eng mit den ägyptischen Sicherheitskräften auf der Halbinsel zusammengearbeitet, um sich dem Islamischen Staat entgegenzusetzen und dessen Rekrutierungsarbeit unter den lokalen Beduinen einzudämmen.

In den vergangenen Monaten kam es auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Clans, in deren Folge mehrere Stämme (vor allem die Tarabin) gegen den Islamischen Staat aufgebracht wurden. Die Welle gegenseitiger Tötungen, darunter auch Enthauptungen (nicht nur aufseiten des IS) kann auch in Verbindung zum Anschlag vom Freitag stehen. Im vergangenen Mai haben Stammesangehörige acht Mitglieder des IS-Ablegers im Sinai in einem Vergeltungsakt für eine Autobombe hingerichtet, die die Terrorgruppe nahe einem Lager der Tarabin detonieren liess.

Ausgelöst wurden diese Vorfälle unter anderem durch die vom IS-Sinai-Ableger unternommenen Anstrengungen, den Schmuggel entlang der Grenze zum Gazastreifen zu kontrollieren und so dafür zur sorgen, dass weniger Zigaretten – die bei ihnen verboten sind – in den Sinai gelangen. Diese Einschränkungen bedrohten die Lebensgrundlage der Tarabin, die mit Gewalt antworteten.

Was dieser Anschlag, abgesehen von der Grausamkeit des IS und den Konflikten zwischen den Stämmen, deutlich macht – und durchaus nicht zum ersten Mal – ist das Ausmass der Schwierigkeiten, mit denen sich die ägyptische Armee bei ihren Anstrengungen, die islamistischen Aufstände auf dem Sinai zu bekämpfen, konfrontiert sieht. Zwar sank die Anschlagsfrequenz im ägyptischen Kernland in letzter Zeit, und sogar auf dem Sinai konnte das Militär relativ ungestört agieren. Der ägyptische Geheimdienst stösst aber bei seinen Bemühungen, auf der Halbinsel wirklich Fuss zu fassen, auf offensichtliche Schwierigkeiten. Eine davon ist, genug Menschen und Technologie hierherzubringen, um resolut gegen den Terrorismus vorgehen zu können.

Direkt infolge des Anschlags vom Freitag kündigte der ägyptische Präsident Abdel-Fattah el-Sissi einen neuen militärischen Angriff gegen die Täter an. Stunden später tauchten Berichte über Luftschläge gegen Terrorziele und über Dutzende von Toten aufseiten der Aufständischen auf. Es stellt sich die Frage, was Ägypten davon abhielt, bereits vor dem Anschlag zu solchen Massnahmen zu greifen, und warum frühere, aufgrund vorangegangener Anschläge unternommene Anstrengungen nicht zu entscheidenden Erfolgen geführt haben.

Ägypten hat umfangreiche Einsätze, wie die von den israelischen Verteidigungskräften im Rahmen der Operation Schutzschild im Westjordanland und in Gaza 2002 geführten, lange vermieden. Vielleicht wären die Kosten für eine solche Kampagne untragbar, oder Kairo schenkt den Problemen weniger Beachtung, solange sich der Terrorismus mehr oder weniger auf den nordöstlichen Sinai begrenzt.

Irgendwann einmal werden jedoch dieselben Terroristen, die die Einwohner der kleinen Stadt Bir al-Abd dezimierten, auch die Urlauber an den sonnigen Ufern des Roten Meers ins Visier nehmen und dann die Menschen in Kairo selbst.

Avi Issacharoff ist Nahost-Analyst bei The Times of Israel. Auf Englisch zuerst erschienen bei The Times of Israel.