Der Anschlag von Har Adar erinnert an das zerbrechliche Sicherheitsumfeld Israels

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Ein Sicherheitsbeamter am Tatort, an dem ein palästinensischer Terrorist drei Israelis getötet hat. Foto Yonatan Sindel / Flash90.
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Der vor kurzem erfolgte Terroranschlag, bei dem drei Israelis in Har Adar getötet wurden, ist eine Erinnerung an die fragile Sicherheitslage in Israel, dem Westjordanland und dem Gazastreifen.

von Yaakov Lappin

Meist sieht die Lage ruhig aus. Von aussen unsichtbar tobt jedoch rund um die Uhr ein intensiver Kampf zwischen den israelischen Sicherheitskräften und palästinensischen Terroristen. Letztere arbeiten unablässig an der Planung und Durchführung weiterer Gräueltaten. Allein in den Monaten Juli und August zerschlugen der Inlandsgeheimdienst Schin Bet und die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) mehr als 70 Terrorzellen in den Autonomiegebieten, die entweder Anschläge vorbereiteten oder mit deren Ausführung beschäftigt waren.

Es gibt zwei primäre Arten von Bedrohungen, welche die israelischen Sicherheitskräfte zu verhindern suchen: unorganisierte und organisierte.

Wenn es um die Welt des organisierten Terrorismus geht, steht die Hamas an erster Stelle. Im Gazastreifen bildet die Hamas eine islamistische Regierung, die ihre eigene Armee befehligt und über ein eigenes Raketenarsenal verfügt. In den Autonomiegebieten agiert sie jedoch nach wie vor wie eine Terrororganisation. Permanent versucht die Hamas in den Gebieten Terrorzellen zu gründen, zu finanzieren und zu bewaffnen, um sie dann zu dschihadistischen Anschlägen auf israelische Ziele loszuschicken – beiderseits der Waffenstillstandslinie von 1949.

Mit diesen Bemühungen laufen sie jedoch gegen eine Wand an, auch bekannt als die Anti-Terror-Operationen Israels.

Zu deren Massnahmen gehört auch das harte Durchgreifen gegen Waffenfabriken in den Gebieten. In den vergangenen Monaten führten der Schin Bet und das Militär Dutzende von Razzien in Metallwerkstätten durch, in denen Waffen produziert wurden, wobei sie grosse Mengen an Schusswaffen beschlagnahmten. Diese Razzien trugen auch dazu bei, dass sich die Anzahl der bewaffneten Anschläge deutlich verringerte.

Parallel dazu hat Israel bei der Bekämpfung des nichtorganisierten Terrorismus in Form von Einzelanschlägen revolutionäre Fortschritte gemacht. Schin Bet-Chef Nadav Argaman berichtete, seine Behörde habe seit Anfang 2016 2.000 mutmassliche Terroristen über den Cyber-Bereich ausfindig gemacht.

Ein weiterer zentraler Akteur im Kampf gegen den Terrorismus – insbesondere gegen die organisierten Zellen nach Machart der Hamas – ist die Abteilung für militärische Aufklärung der IDF.

Seit Jahrzehnten arbeitet die Abteilung mit der Befehlszentrale der IDF zusammen, die für sämtliche Militäroperationen in den Autonomiegebieten verantwortlich ist. Gemeinsam bekämpfen sie die Hamas und arbeiten zusammen, um grosse Terroranschläge zu verhindern, wie jene, die während der Zweiten Intifada die Städte Israels verwüsteten. Damals benutzte die Hamas Stützpunkte in den Gebieten wie Nablus und Hebron, um ganze Wellen von Selbstmordattentätern und bewaffneten Schützen in einer blutigen Terrorkampagne, die 2002 ihren Höhepunkt erreichte, loszuschicken.

In jenem Jahr startete die IDF die Operation Schutzschild und eroberte Städte in den Gebieten zurück, in denen sie erneut die Kontrolle übernahm und schliesslich alle Attentate ausmerzte. Seither landen Personen, die in den Autonomiegebieten terroristische Aktionen planen, in der Mehrzahl der Fälle in Untersuchungshaft, da das Netzwerk der israelischen Nachrichtendienste sie aufspürt und ihnen zuvorkommt. Wenngleich die palästinensischen Autonomiegebiete auch weiterhin unerreichbar für die Hamas blieben, fiel der Gazastreifen in einer gewaltsamen Machtübernahme 2007 in die Hände der Terrororganisation.

Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA), die befürchtete, die Hamas würde ihre Revolte im Gazastreifen auch in den Autonomiegebieten wiederholen, begann häufig auf eigene Faust Razzien gegen die Hamas durchzuführen, um die islamistische Organisation zu unterdrücken. Diese Bemühungen dauern bis heute an.

2010 war die Hamas mittlerweile frustriert, weil es ihr nach wie vor nicht gelang, in den Autonomiegebieten Fuss zu fassen. Daraufhin entschied sie, ihren Kurs zu ändern und eine Präsenz zu schaffen, indem sie Wohltätigkeitsinitiativen startete und religiöse Organisationen, Schulen und Moscheen unterstützte. Dieses sozial-religiöse Programm, in arabischer Sprache unter der Bezeichnung „Da‘wa“ bekannt, bietet Palästinensern Unterstützung und verschafft so der Hamas als Alternative zur Fatah öffentliche Anerkennung. Auf diese Weise gelingt es der Hamas letztlich, diese religiös-politische Affinität in terroristischen Nachwuchs zu verwandeln.

Aufhetzung und Fundamentalismus

Palästinensische Familien, die über Jahre hinweg finanzielle Hilfen von der Hamas erhalten haben, werden auch deren radikaler islamistischer Aufwiegelung gegenüber aufgeschlossen sein und eher auf ihre Handlungsaufforderungen reagieren.

Die gleiche Taktik wird auch an den palästinensischen Universitäten in den Autonomiegebieten angewendet. Die Hamas gründet Studentenorganisationen – auf Arabisch als „Kutla“ bekannt – die Aufhetzung und Fundamentalismus verbreiten.

2011 erhielten die Anstrengungen der Hamas, sich in den Autonomiegebieten zu etablieren, neuen Auftrieb. Im Austausch für die Freilassung des entführten IDF-Soldaten Gilad Shalit entliess Israel über 1.000 Sicherheitsgefangene, die meisten von ihnen Hamas-Angehörige. Viele von ihnen verfügten über ein hohes Mass an operativer terroristischer Erfahrung aus der Zeit der Zweiten Intifada. Zu dieser Gruppe zählte auch Saleh al-Arouri, der von Israel aus der Region ausgewiesen wurde und weiterhin Zweigstellen der Hamas im Ausland gründete.

Arouri reist mit anderen ehemaligen Gefangenen des Shalit-Austauschs durch den Nahen Osten und hat im Prinzip eine Schatten-Exilregierung der Hamas aufgebaut. Sein oberstes Ziel bleibt es, sich Wege auszudenken, wie er die Basis der Hamas in den Autonomiegebieten wieder aufleben lassen kann. Dieses Exil-Hauptquartier macht sich die Tatsache zunutze, dass sich seine Mitglieder ausserhalb der Reichweite der Terrorabwehroperationen Israels befinden.

Das strategische Ziel der Hamas ist es, auch in den übrigen Autonomiegebieten die Macht zu übernehmen – ebenso wie es ihr im Gazastreifen gelang. Da sie jedoch erkennt, dass dieses Ziel sich ausserhalb ihrer unmittelbaren Reichweite befindet, täuscht sie Flexibilität vor. Ohne das nötige Kleingeld und unter Reformdruck seitens Ägypten, sagte die Hamas vor Kurzem, sie sei willens, eine Einheitsregierung mit der Fatah zu bilden.

Geheimes Konsolidierungsprogramm

Prof. Boaz Ganor, Geschäftsführer des israelischen International Policy Institute for Counter-Terrorism (ICT) in Herzliya, erklärte, dass die Politik der Hamas aus zwei parallel laufenden und einander ergänzenden Teilen besteht. „Einer dieser Teile ist ein geheimes Konsolidierungsprogramm im Westjordanland, um die Basis für einen zukünftigen gewaltsamen Zusammenstoss mit der Fatah und den Sicherheitskräften der PA zu schaffen“, sagte er gegenüber dem Jewish News Service. „Der zweite Teil besteht darin, Rehabilitation bei der PA und Abbas zu suchen, eine Einheitsregierung zu bilden und dann Abbas‘ Abgang abzuwarten, damit die Einheitsregierung wie eine reife Frucht in die Hände der Hamas fallen kann, ohne dass ein gewaltsamer Zusammenstoss der beiden Bewegungen überhaupt erforderlich wäre.“

Gleichzeitig versucht die Hamas weiterhin, Israelis in die Luft zu jagen. Ihre Terrorzellen versuchen, Sprengstoff herzustellen und an israelischen Bussen oder entlang der Strassen zu deponieren. Ausserdem plant sie Entführungen, in der Hoffnung, dass eine israelische Geisel gegen weitere palästinensische Gefangene ausgetauscht werden kann.

Die Terrororganisation ist bereit, geduldig abzuwarten, während sie gleichzeitig neue Wege sucht, um mehr Macht anzuhäufen. Die Hamas ist nicht wählerisch, wenn es darum geht, wie sie die Autonomiegebiete übernehmen will. Sowohl Wahlen als auch eine bewaffnete Revolte sind für sie gangbare Wege – welcher auch immer am besten funktioniert.

Fette Gehälter an führende Hamas-Angehörige

Unterdessen sammeln die Wohltätigkeitsorganisationen der Hamas Spenden aus der ganzen Welt, zahlen armen Palästinensern regelmässig Gelder und bauen sich somit eine breite Unterstützung auf. Die gleichen „Wohltätigkeitsorganisationen“ schleusen auch fette Gehälter an führende Hamas-Angehörige, die in den Autonomiegebieten leben. Diese Agenten haben die Order vor Ort zu verharren, bis die Zeit für eine neue Aktivitätsphase gekommen ist.

Im vergangenen Jahr stellten israelische Sicherheitskräfte 370.000 USD bei Hamas-Angehörigen in den Autonomiegebieten sicher und beschlagnahmten rund 50 Fahrzeuge. Der Schin Bet und die IDF arbeiten derzeit enger zusammen als je zuvor und teilen Geheimdienstinformationen und Einsätze gleichermassen miteinander. Der Schin Bet leitet die Anti-Terror-Operationen, während das Militär die Führung übernimmt, wenn es um die Bekämpfung der Terrorfinanzierung geht.

Die Lage ist nach wie vor unbeständig und jeder neue Zwischenfall – wie etwa der Terroranschlag im Juli in der Nähe des Tempelbergs – kann eine neue Lawine der Gewalt lostreten. Die Vision der Hamas ist destruktiv wie eh und je. Den israelischen Sicherheitskräfte ist bewusst, dass es eine langwierige Angelegenheit ist, bei der es um den höchsten Einsatz geht.

Yaakov Lappin ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Begin-Sadat Center for Strategic Studies. Er ist spezialisiert auf den Verteidigungsapparat Israels, militärische Angelegenheiten und die strategische Umgebung des Nahen Ostens. Dieser Artikel wurde am 2. Oktober 2017 vom Jewish News Service veröffentlicht.