„Ich mag dich nicht, weil du jüdisch bist“ – Antisemitismus an französischen Schulen

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Antisemitismus an französischen Schulen. Symbolbild. Foto Clio, CC BY 2.5, Link
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An einer Pariser Schule wurde am 21. September ein zehnjähriges jüdisches Mädchen von einem muslimischen Mitschüler so schwer verletzt, dass es mit inneren Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. „Ich mag dich nicht, weil du jüdisch bist“, sagte der Junge, bevor er das Mädchen schlug. Und: „Sprich meinen Namen Ismael nicht aus, denn das ist der Name eines Propheten.“

Audiatur-Online wollte wissen, wie häufig solche antisemitischen Angriffe an französischen Schulen sind und fragte Jean Patrick Grumberg, einen aus Frankreich stammenden und heute in Tel Aviv lebenden Journalisten. „Ein Fall wie der des Mädchens ist extrem selten“, sagt Grumberg. „Sie denken, das sei eine gute Nachricht, stimmt`s? Leider ist es genau das Gegenteil.“ Wie Grumberg erklärt, schicken jüdische Eltern ihre Kinder kaum noch auf öffentliche Schulen. Obwohl die öffentlichen Schulen kostenlos seien, die privaten hingegen ziemlich teuer, entschieden sich jüdische Eltern meist für private, da die öffentlichen für jüdische Schüler zu gefährlich seien – „so gefährlich, dass sogar die Schulleiter den Eltern davon abraten“. Er verweist auf eine Studie der Bildungsbehörde Education nationale (EN) aus dem Jahr 2004 und auf das gerade erschienene Buch eines pensionierten Schulleiters aus Marseille, in dem dieser Erfahrungen aus seinem Berufsleben schildert.

„Unzählige Hakenkreuze“ 

„Medien und Institutionen“, heisst es in dem Bericht der EN, hätten „in letzter Zeit oft über den wachsenden Antisemitismus im gesellschaftlichen Leben und an Schulen“ berichtet; die „Schwere“ dieses Problems könne „nur bestätigt werden“. „Jude“ (juif, feuj) sei ein „gebräuchliches Schimpfwort“, welches beliebig benutzt werde, auch gegen Nichtjuden. Der Bericht erwähnt den Fall eines aus der Türkei stammenden Schülers, der in der Klasse schweren Anfeindungen ausgesetzt gewesen sei, weil ihm vorgeworfen wurde, sein Land sei „ein Verbündeter Israels“. Dass sowohl Mitschüler als auch Lehrer nach ihrer Religionszugehörigkeit gefragt würden, sei an der Tagesordnung. Gegenüber jüdischen Schülern würden sich die Aggressionen und Drohungen noch einmal „vervielfachen“ – sowohl „innerhalb als auch ausserhalb des Schulgebäudes“. Die Angriffe kämen von Schülern „aus dem Maghreb“, die ihren Hass sowohl mit „Entwicklungen im Nahen Osten“ rechtfertigten als auch mit Koranzitaten. Die Aggression reiche bis zum „Befürworten der Verfolgung und Vernichtung der Juden“. Bewunderung für den Nationalsozialismus sei „keine Ausnahme“: „Sie zeigt sich massiv in unzähligen Graffiti, vor allem Hakenkreuzen, und sogar in entsprechenden Äusserungen, die gegenüber Lehrern, Grundschullehrern und anderem Lehrpersonal gemacht werden.“

Gewalt gegen Juden nicht zu stoppen

Dieser Bericht, sagt Grumberg, sei „so verheerend“ gewesen, dass das Ministerium ihn habe geheim halten wollen; erst, nachdem er dennoch nach aussen gedrungen sei, habe die Regierung ihn öffentlich gemacht. „Damals wurde uns vorgeworfen, islamophob zu sein“, sagt der für die Studie verantwortliche damalige EN-Chef Jean Pierre Obin. „Heute“, so Obin, „gibt es in einigen urbanen Ghettos kein jüdisches Kind mehr, das eine öffentliche Schule besucht. Und wenn man den Lehrkörper fragt, wie er die Situation deutet, antworten einige, dass die jüdischen Schüler nicht mehr zahlreich genug seien, um sich zu verteidigen.“ Aus den Schulen höre man, dass die Gewalt auf dem Schulweg auch durch harsche Strafen wie den Ausschluss von der Schule nicht unterbunden werden könne, so Obin.

Schulleiter warnte jüdische Eltern

„Das geschieht den Juden recht“

Das bezeugt auch der pensionierte Lehrer Bernard Ravet in seinem gerade erschienen Buch Principal de collège ou imam de la République? Darin schildert er Szenen aus seinem Alltag als Schulleiter an verschiedenen Schulen in Marseille. Er erzählt, wie das offensive Zurschaustellen islamischer Überzeugungen seit der Jahrtausendwende immer mehr um sich gegriffen hat: Schüler verliessen den Unterricht, wenn Rousseau oder Molière gelesen wird; lehnten Geschichtsunterricht ab, wenn es dort um Christen, Juden oder Muslime geht; weigerten sich, mit geometrischen Figuren zu arbeiten, die Kreuzen entfernt ähnlich sehen; lehnten es ab, in der Schulkantine Fleisch zu essen, dass nicht „halal“ ist und verlangten von Lehrern nordafrikanischer Herkunft, den Ramadan zu halten und nicht zu rauchen – selbst wenn diese nicht gläubig seien. Dazu geselle sich ein unbändiger Hass auf Juden; wenn die Shoah thematisiert werde, fielen oft Sätze wie: „Das geschieht den Juden recht“ oder „Das hat Hitler gut gemacht“.

Französische Soldaten bewachen den Eingang zu einer Synagoge in Paris. Foto Serge Attal / Flash 90.
Französische Soldaten bewachen den Eingang zu einer Synagoge in Paris. Foto Serge Attal / Flash 90.

Ravet gibt offen zu, dass er jüdischen Eltern davon abgeraten habe, ihr Kind in seine Schule zu schicken:

„Als ich Direktor des Collège Versailles war, kam eine Frau zu mir. Sie war gerade aus Israel kommend neu in der Nachbarschaft und wollte ihren Sohn am Collège einschreiben. Ich traf sie. So gut das Französisch der Mutter war, so stockend war das des Sohnes, der in Israel aufgewachsen war und dort auf Hebräisch unterrichtet worden war. Ich hätte ihn in einem Kurs für Neuankömmlinge einschreiben müssen, damit er Französisch als Fremdsprache lernt. Kaum hätte er mit seinem scharfen Akzent zwei Worte gesprochen, würden die anderen fragen, woher er komme. Würde er die Wahrheit sagen, würde man ihn zusammenschlagen. Daran hatte ich keine Zweifel: Ein paar Monaten zuvor war Edouard Zambeaux, ein Reporter von RFI, in die Schule gekommen und hatte sich nach den Beziehungen zu Juden erkundigt. Die Schüler hatten geantwortet: ‚Es gibt hier keine. Wenn es sie gäbe, müssten sie sich verstecken.’ Ich wollte kein Risiko eingehen und diesen Jungen annehmen. Ohne die Gründe für meine Verlegenheit zu verbergen, fragte ich die Mutter: ‚Haben Sie darüber nachgedacht, ihn an der jüdischen Privatschule anzumelden?’ – ‚In Yavne? Ja. Aber es gibt dort keinen Platz mehr.“

Ravet habe dann in Anwesenheit der Mutter zum Telefonhörer gegriffen und bei der jüdischen Privatschule angerufen. Diese habe ihm bestätigt, dass es keinen Platz für den Jungen mehr gebe. Daraufhin habe er „seine persönlichen Freundschaften aktivieren“ müssen und einen jüdischen Abgeordneten angerufen, der schliesslich erreicht habe, dass die Schule für den Jungen eine Ausnahme gemacht habe. „Ich stehe dazu“, sagt Ravet, „an diesem Tag handelte ich einmal mehr wie der Direktor einer NGO, der das tut, was ihm am dringendsten scheint, und nicht wie ein Schulleiter, der damit betraut ist, die republikanischen Werte zu verteidigen – Werte, die es mir in der Lage nicht erlaubt hätten, die Sicherheit dieses Schülers an einer Schule zu garantieren, die zu 95 Prozent aus Muslimen besteht, welche Abend für Abend von den arabischen Satellitenfernsehsendern zur Weissglut getrieben werden, die Israel, die Juden und jenes Frankreich anprangern, das schuldig sei, den Schülerinnen das Tragen des Schleiers zu verbieten.“ Er habe den jüdischen Schüler zurückweisen müssen, da es nicht möglich gewesen wäre, ihn „Tag für Tag zu beschützen“.

„Bloss keinen Staub aufwirbeln!“

Auch Lehrer können in Frankreich Opfer von Antisemitismus werden, wie Grumberg gegenüber Audiatur online erklärt: „Catherine Pederzoli-Ventura war Geschichtslehrerin. Bis 2010. Damals wurde die seinerzeit 58-Jährige, die immer wieder Klassenfahrten nach Osteuropa organisiert hatte, um die Schüler über die Shoah zu unterrichten, rausgeworfen, nachdem ein Bericht des Generalinspektorats zu dem Schluss gekommen war, sie würde die Verpflichtung zur ‚Neutralität und zum Säkularismus’ vernachlässigen, sie ‚instrumentalisiere die Schüler’ und unterziehe sie einer ‚Gehirnwäsche’.“ Die Lehrerin habe Grumberg zudem berichtet, dass jüdische Schüler nur noch zu Universitätsvorbereitungskursen an öffentliche Schulen kämen. Wenn doch einmal ein jüdischer Schüler an einer öffentlichen Schule sei, versuche er, „unsichtbar“ zu bleiben, „vor allem, wenn er der einzige in der Klasse ist“. „Und wenn ein Problem auftaucht, überreden die Schulleiter die Eltern dazu, nichts zu sagen, um nicht die Reputation der Schule zu beflecken. Bloss keinen Staub aufwirbeln!“

Tränen des Glücks

Die Beispiele zeigen, dass die Juden in Frankreich mehr und mehr aus der Gesellschaft verschwinden – sei es, dass sie sich „unsichtbar“ machen oder sich in getrennte Räume zurückziehen müssen. „Keine Juden, kein Antisemitismus“, sagt Grumberg sarkastisch; „zerbrich das Thermometer und es gibt kein Fieber mehr!“ Unterdessen wandern immer mehr französische Juden nach Israel aus. In der Küstenstadt Netanya sind ganze Viertel französischsprachig geworden. Der Filmemacher Joachim Schroeder berichtete im Sommer in einem Interview mit dem Autor, wie er für seine Fernsehdokumentation über Antisemitismus in Holon bei Tel Aviv einen Hebräischsprachkurs für Neuankömmlinge aus Frankreich besucht habe (die Aufnahmen wurden nicht mit in den Film aufgenommen). Eine Teilnehmerin habe „Tränen des Glücks“ geweint, als sie ihm erzählt habe, wie froh sie sei, nicht mehr mit täglichen antisemitischen Anfeindungen leben zu müssen.

Über Stefan Frank

Stefan Frank ist freischaffender Publizist und lebt an der deutschen Nordseeküste. Er schreibt regelmässig über Antisemitismus und andere gesellschaftspolitische Themen, u.a. für die „Achse des Guten“, „Factum“, das Gatestone Institute, die „Jüdische Rundschau“ und „Lizas Welt“. Zwischen 2007 und 2012 veröffentlichte er drei Bücher über die Finanz- und Schuldenkrise, zuletzt "Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos."

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1 Kommentar

  1. Dem französichen Staat muss ein Totalversagen vorgeworfen werden. Für den islamistischen Hass auf Juden durch Einwanderer kann die französische Gesellschaft nichts, wohl aber ist sie dafür verantwortlich, Landsleute jüdischen Glaubens diesem Hass auszuliefern. Unvergessen, wie der unsägliche François Hollande Arm in Arm ausgerechnet mit dem palästinensischen Clanführer Abbas gegen islamistischen Terror (Charlie-Hebdo-Morde) demonstrierte. Die mediale Kumpanei des Regierungssenders ARTE (inkl. dem deutschen WDR!) mit diesem Milieu ergänzt dieses Bild auf das Schlimmste.

    Die französische Zivilgesellschaft scheint nicht mehr zu existieren.

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